Türkisch-griechische Spannungen "Ich spaße nicht"
Der türkische Präsident Erdogan fordert die Entmilitarisierung mehrerer griechischer Inseln und droht indirekt mit Krieg. Viele Griechinnen und Griechen fürchten, dass es nicht bei Drohungen bleibt.
In einer türkischen Fernsehsendung des regierungsnahen Privatsenders Habertürk wird über den türkisch-griechischen Grenzverlauf diskutiert. Auf dem Screen im Hintergrund ist eine Karte der beiden Länder zu sehen. Einer der Studiogäste, der Journalist Gürkan Zengin, stellt sich davor, in der Hand hält er einen Zeigestab.
Zengin setzt den Stab am westlichen Zipfel des türkischen Festlands an und zieht eine senkrechte Linie in Richtung Süden - so sollte seiner Meinung nach der eigentliche Grenzverlauf zwischen Griechenland und der Türkei aussehen. Die Konsequenz: Mehrere griechische Inseln wie zum Beispiel die Ferieninseln Rhodos und Kos wären plötzlich türkisches Territorium.
Dieser TV-Ausschnitt hat sich in den vergangenen Tagen in Griechenland wie ein Lauffeuer über die sozialen Medien verbreitet. Denn das, was Journalist Zengin da sehr populistisch im Fernsehen präsentiert hat, entspricht dem, was in den vergangenen Tagen und Wochen auch immer häufiger von hochrangigen türkischen Politikern reproduziert wird. Im Mittelpunkt des Territorialstreits stehen vor allem die Dodekanes-Inselgruppe, zu der auch Rhodos gehört, aber auch weitere bewohnte Inseln wie Lesbos, Samos und Kos.
Dabei ist der türkisch-griechische Grenzverlauf eigentlich seit fast 100 Jahren geregelt, dennoch ist die Frage nach den Hoheitsrechten in der Ostägäis völkerrechtlich kompliziert: Die Verträge von Lausanne (1923) und Paris (1947) beispielsweise legen fest, welche Inseln welchem Land zugesprochen werden, aber auch, dass bestimme Inseln nicht militarisiert werden dürfen. Dazwischen ist der Vertrag von Montreaux (1936) entstanden, der wiederum teilweise den Lausanner Vertrag ersetzen soll. Unter anderem aus diesem Vertrag leitet die Türkei ihre umstrittenen Gebietsansprüche ab.
Botschaft bei Militärmanöver
Vergangene Woche besuchte der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan in der westtürkischen Küstenstadt Izmir ein großes Militärmanöver, an dem auch NATO-Verbündete beteiligt waren. In seiner Rede warf er Griechenland zum wiederholten Male vor, eine Reihe von Ägäis-Inseln völkerrechtswidrig aufzurüsten und warnte Athen vor einer weiteren Militarisierung.
Athen solle "Träume, Äußerungen und Handlungen vermeiden, die es bedauern" würde. Solche Aktionen könnten "katastrophale Konsequenzen" haben und: "Ich spaße nicht." Diese Aussagen ließ Erdogan hinterher schriftlich auch auf Englisch und Griechisch über seinen Twitterkanal verbreiten.
Gelassen, aber wachsam
In Griechenland wird dies als klare Kriegsdrohung aufgefasst. Allerdings reagiert die Regierung bislang gelassen: Man werde nicht zur Eskalation mit der benachbarten Türkei beitragen, indem man sich an beleidigenden Äußerungen, rechtswidrigen und unangemessenen Forderungen und Anschuldigungen beteilige, so der griechische Außenminister Nikos Dendias beim Gipfeltreffen südosteuropäischer Staaten in Thessaloniki.
Das griechische Außenministerium veröffentlichte außerdem 16 Karten, die "das Ausmaß des türkischen Revisionismus" dokumentieren sollen. Sie sollen türkische Gebietsansprüche von 1923 bis heute zeigen.
Klare Rückmeldung an die Gegenseite: Griechenlands Außenminister Dendias, hier im Gespräch mit seinem türkischen Amtskollegen Cavusoglu
Jetzt gerade nicht entmilitarisieren
Angesichts der Drohgebärden aus dem Osten sieht sich Athen zudem darin bestätigt, die Inseln in der Ostägäis gerade nicht zu entmilitarisieren. Griechenland übe damit sein Recht auf Selbstverteidigung aus, schließlich befänden sich an der türkischen Westküste zahlreiche Landungsboote.
Außerdem verletzen türkische Kampfjets momentan fast täglich griechischen Luftraum und überfliegen selbst große bewohnte Inseln wie Rhodos, Samos und Kos.
Erdogan will eine Entmilitarisierung mehrerer griechischer Inseln - der Forderung verleiht er auch mit Militärübungen Nachdruck.
Ein mulmiges Gefühl
Das, vor allem aber die verbale Eskalation, hinterlässt bei vielen Griechinnen und Griechen ein mulmiges Gefühl. Die meisten hoffen, dass die Kriegsrhetorik des türkischen Präsidenten lediglich Teil seiner Wahlkampfstrategie ist. Denn in der Türkei finden nächstes Jahr Präsidentschaftswahlen statt, und Erdogan hat angekündigt, erneut antreten zu wollen.
Doch die wirtschaftliche Lage in der Türkei ist schlecht, die Inflation liegt laut offiziellen Angaben bei mehr als 70 Prozent. Warum also nicht zur Ablenkung einen seit Jahrzehnten schwelenden Konflikt wieder schüren?
Wie weit Erdogan dabei gehen wird, darüber will niemand so richtig eine Prognose wagen. Die Griechinnen und Griechen erinnern sich aber noch gut an den Spätsommer 2020, als sich türkische und griechische Kriegsschiffe im östlichen Mittelmeer gegenüberstanden.