Bob Geldof "Es ist möglich, die Armut zu stoppen"
Ukraine-Krieg, Hungersnöte, Klimawandel: Es gäbe viele Gründe für Künstler, sich zu Wort zu melden. Der Rocksänger Bob Geldof sagt im Interview, wer sich über Konzerte hinaus engagiere, könne etwas bewegen. So könne die Armut besiegt werden.
tagesschau.de: Sie sind nicht nur Musiker, sondern auch Aktivist und mischen sich in politische und gesellschaftliche Debatten ein. Ukraine-Krieg, Klimawandel, Armut - sollten nicht viel mehr Künstler ihre Stimme erheben? Verantwortung übernehmen?
Bob Geldof: Ich glaube nicht, dass Künstler überhaupt eine Verantwortung haben! Ihre einzige Aufgabe ist es, gute Künstler zu sein, und sie scheitern, wenn sie schlechte Künstler sind. Wie bei einem Installateur. Wenn du eine kaputte Toilette hast und der Installateur kommt und spricht mit dir über die Ukraine, sagst du: "Verpiss dich, reparier meine Toilette!" Das ist das Gleiche bei einem Musiker. Es ist nicht der Job. Wenn du das in deinem Kopf hast, wenn du darüber reden willst: Ok. Aber es ist nicht der Job von Ed Sheeran oder Beyoncé.
Der Ire Bob Geldof erlangte ab dem Ende der 1970er-Jahre als Sänger der Boomtown Rats internationale Berühmtheit. Unter anderem der Song "I Don't Like Mondays" über den ersten Amoklauf an einer US-Schule wurde ein weltweiter Erfolg. Zugleich engagierte sich Geldof, der heute als Solo-Künstler auftritt, immer wieder gesellschaftlich und organisierte unter anderem das Bandprojekt Band Aid sowie 1985 das weltweite Konzert Live Aid. Für seinen Engagement wurde Geldof vielfach ausgezeichnet.
"Alles, was wir tun können, ist Lieder zu singen"
tagesschau.de: Sie engagieren sich nach wie vor auch abseits des Musikbusiness. Im März sind Sie bei einem Ukraine-Solidaritätskonzert aufgetreten.
Geldof: Ja, ich wurde gefragt und habe gesungen, weil ich das unterstütze. Ich finde es toll, dass Leute sich engagieren, aber was dann? Darum wird der Krieg nicht aufhören. So wird der Rohling Putin nicht gestoppt werden. Nicht ein Mensch weniger wird sterben, nicht ein Feld weniger wird verbrannt werden. Es braucht mehr.
Alles, was wir tun können, ist Lieder zu singen. Aber damit dieses Engagement Bedeutung bekommt, muss man über die Konzerte hinausgehen. Wer die Konzerte gibt, müsste sich politisch engagieren. Würde das den Krieg beenden? Nein. Aber wenn sich daraus eine "soziale Sache" entwickelt, wie zum Beispiel die Anti-Kriegs-Bewegung in den 1960er-Jahren, dann könnte das etwas werden.
"Eine andere Möglichkeit des Lebens"
tagesschau.de: In den 1960er- und 1970er-Jahren hat Musik viel bewegt - heute weniger, oder?
Geldof: Ich denke, es gab eine Rock'n'Roll-Periode. 50 Jahre lang, von 1956 bis 2000, vielleicht 2005, da war Rock'n'Roll das soziale Medium. Es war der Rock'n'Roll, der kulturelle Ideen übertragen und übersetzt hat - politisch, sozial, wirtschaftlich, philosophisch, theologisch.
Es ist die Haltung in der Musik und den Spielern, die eine andere Idee vermittelt. Eine andere Möglichkeit des Lebens. Und das war es, was ich unter Rock’n‘Roll verstand, als ich elf war. In einem anderen Teil meines Lebens habe ich mich politisch engagiert und tue es immer noch.
tagesschau.de: Internet, social media, Streaming-Dienste - ist es für Musiker heute nicht viel leichter, Gehör zu finden?
Geldof: Es ergibt keinen Sinn, sich hinzusetzen und Protestsongs zu schreiben, denn sie ändern nichts. Bob Dylan schrieb großartige Lieder wie "The Times They Are a-Changin'" oder "Blowin’ In The Wind". Sie spiegelten einen Moment und eine Haltung wider. Aber damals gab es eben eine kulturelle Resonanz, die Lieder artikulierten eine Zeit. Das ist heute mit Musik nicht mehr möglich, weil man Musik überall und umsonst bekommen kann. Und es gibt eine Million Künstler. Also sucht man sich einfach den aus, der einem gefällt.
Als ich Kind war, gab es ein Fernsehprogramm. So sahen alle in der Schule die gleichen Bands, nicht nur in meiner Schule, sondern im ganzen Land. Es gab nur einen Radiosender. Wir hörten also dieselbe Musik. Das hatte einen großen Einfluss, einen kulturellen Einfluss. Das ist heute nicht mehr so. Es gibt eine Million Sender, es gibt eine Million Dinge im Internet. Die sozialen Medien von heute sind zwar soziale Medien, aber sie sind zu diffus. Sie haben also auch keinen großen Einfluss auf die Öffentlichkeit. Wir werden dadurch auch nicht wirklich ein einheitliches, gemeinschaftliches Gefühl bekommen.
"Manchmal mit Erfolg, manchmal nicht"
tagesschau.de: Was ist Ihnen wichtig?
Geldof: Es ist möglich, die Armut zu stoppen - das klingt hippy und albern -, aber es ist möglich, die Armut zu stoppen. Tatsächlich ist es dumm, sie nicht zu stoppen. Und wenn man die Armut stoppt, dann gibt es weniger Terrorismus, weniger Krieg, weniger Klimawandel und so weiter. Alle diese Dinge sind Folgen der Armut, und ich engagiere mich deshalb, manchmal mit Erfolg und manchmal nicht.
tagesschau.de: 2005 gab es die "Live 8"-Konzerte in Anlehnung an die Live-Aid-Konzerte von 1985 und den G8-Gipfel, der parallel in Schottland stattfand. Wäre so etwas heute noch denkbar?
Geldof: Heutzutage gibt es keine "Führung" mehr in der Welt. 2005 saßen die Staats- und Regierungschefs der reichsten Länder der Welt in Schottland zusammen und sprachen über einen Kompromiss, es gab Konsens und Zusammenarbeit. Sie einigten sich schließlich darauf, etwas für die Armen der Welt zu tun - fünfzig Milliarden Dollar pro Jahr an Hilfe und Streichung der Schuldenlast der ärmsten Länder, damit sie wachsen können. Unglaublich! Kofi Annan sagte, dass dies der Moment war, in dem der Rubikon zwischen dem Norden und dem Süden überschritten wurde.
Weniger als 20 Jahre später - können Sie sich vorstellen, dass sich Xi, Putin, Erdogan, Biden - ok, ja, Biden, aber nicht Trump, der der nächste sein wird - in einem Raum zusammensetzen? Einigung durch Kompromiss? Nein. Konsens? Nein. Wir befinden uns heute in einer völlig anderen politischen und wirtschaftlichen Welt.
Das bis dahin größte Konzert der Welt: Im Juli 1985 bejubelten Fans in London den Auftritt der Band Queen bei Live Aid - das Konzert wurde an jenem Tag mit anderen Künstlern in Philadelphia fortgesetzt.
Das Gespräch führte Ute Spangenberger, SWR Mainz