Globale Nahrungsmittelkrise Krieg, Schulden, Mangel, Hunger
Die globale Nahrungsmittelkrise, ausgelöst durch den Krieg in der Ukraine, droht laut IWF und Weltbank zur "humanitären Katastrophe" in Afrika zu werden: In der Pandemie haben viele arme Staaten Schulden gemacht - nun droht Hunger.
Lenine Mendes, Geschäftsmann in der Republik Kap Verde, ist beunruhigt: "Die Preise für alle Produkte sind besorgniserregend, vor allem für Lebensmittel. Wir kennen die internationale Lage," sagt er in einer Fußgängerzone der Inselhauptstadt Praia in eine Reporterkamera. Und schimpft: "Aber oft machen sich das auch Produzenten und Händler zunutze und erhöhen die Preise zusätzlich." Eine Spirale ist in Gang gesetzt.
Bis zum Februar hatten die Preise auf der Inselgruppe vor Afrikas Westküste schon um sieben Prozent zugelegt im Vergleich zum Vorjahresmonat, vor allem getrieben durch die Pandemie. Nun kommt der Krieg zwischen der Ukraine und Russland hinzu. Es geht vor allem um Nahrungsmittel aus diesen Ländern wie Speiseöl und Weizen.
Längst aber hat die Preiswelle auch andere Produkte erfasst, darunter Reis, Zucker und Fleisch. Die Bewohner der Inselgruppe rufen nach dem Staat, nach Subventionen und Preisdeckelung für Grundnahrungsmittel. Die Menschen trifft es hart - doch in den meisten anderen Ländern Afrikas sind die Problem noch größer als im politisch stabilen Inselreich.
"Risiko einer Hungersnot ist real"
Die Welternährungsorganisation (FAO) hat für den März den höchsten Preisindex für Nahrungsmittel seit dessen Einführung 1990 erhoben. Der Index gibt die globalen Preisbewegungen für die wichtigsten Grundnahrungsmittel an. Der Sprung vom Februar, dem Monat des Kriegsbeginns, auf den März liegt bei satten zwölf Prozent in nur einem Monat.
Die Weltbank erklärte diese Woche, ein Anstieg von durchschnittlich mehr als 30 Prozent sei möglich. Es treffe einmal mehr die Ärmsten - erst die Pandemie, nun der Krieg. Wenn Geld zum Überleben fehle, werde an allem anderen gespart, wie am Schulgeld.
Die Lage war schon vorher dramatisch
283 Millionen Afrikaner hatten schon vor dem Konflikt nicht ausreichend zu essen, so die Vereinten Nationen. Es könnten nun noch viel mehr werden. Fast alle Länder Afrikas beziehen Weizen aus der europäischen Krisenregion, 18 Länder sogar mehr als die Hälfte ihres Bedarfs. In Ostafrika sind es sogar 90 Prozent.
Gerade diese Region ist aber - nach langer Trockenheit und Heuschreckenplagen - ohnehin schon am Ende ihrer Kräfte. "Wir schätzen, dass schon für 81 Millionen Menschen in Ostafrika und am Horn von Afrika die Ernährungslage unsicher ist," sagt der für Ostafrika zuständige Direktor des Welternährungsprogramms (WFP), Michael Dunford. Das sei ein Anstieg von 60 Prozent gegenüber Juni 2021. "Das Risiko einer Hungersnot ist real."
Ukrainische Bauern stellen auf Kriegswirtschaft um
Andrej Vaytenko, Agrarunternehmer aus der Westukraine, kennt die Lage. "Wir können nicht mehr über die Schwarzmeerhäfen exportieren," sagt er. Man müsse nach neuen Handelswegen suchen. Vaytenko baut nun erstmal mehr Weizen an, dafür weniger Mais - eine Art Umstellung auf Kriegswirtschaft. Dabei gehe es aber erstmal um die Ukraine selbst, denn das Land müsse zunächst eigene Löcher stopfen, bevor es wieder mehr exportieren könne.
In den russisch besetzen Gebieten im Osten der Ukraine ist die Agrarproduktion weitgehend zusammengebrochen. Im Westen fehlen Landarbeiter, denn die junge Landbevölkerung ist im Krieg. Vaytenkos Bürgermeister, Oleh Volskyj, klagt: "Wir suchen nun nach den Über-60-Jährigen, um Traktoren zu fahren."
Ein Ende des Krieges ist nicht in Sicht, damit auch kein Ende der Preisspirale. Die Hoffnung ruht nun auf guten Ernten in wichtigen Weizen-Exportländern wie Argentinien und Australien. Womöglich wird das nicht reichen, um Armut und Hunger nicht gemeinsam mit den Preisen steigen zu lassen.
Ukrainische Bauern stellen da, wo der Krieg nicht tobt, die Produktion um - aber das Land wird zunächst den eigenen Bedarf decken müssen.
Nahrungsmittel-Produktion ankurbeln - nur wie?
Die armen Länder haben aber kaum noch Chancen, durch Subventionen die Preise zu stabilisieren - ihnen fehlt dazu einfach das Geld. Sie waren von westlichen Kreditgebern ermuntert worden, Schulden zu machen, um die Corona-Folgen für ihre Länder abzumildern. Nun steigen die Zinsen auf den Geldmärkten - und mit dem Krieg in der Ukraine und der Lebensmittelkrise folgen neue Unwägbarkeiten für die Staatskasse.
Weltbank-Präsident David Malpass wies in der BBC darauf hin, dass 60 Prozent der ärmsten Länder schon überschuldet seien. Subventionierung oder Preisdeckelung für teure Lebensmittel sei schon deshalb nicht die Lösung. Stattdessen müsse die Produktion von Nahrungsmitteln angekurbelt werden, auch durch stärkeren Einsatz von Düngemitteln.
Doch das dürfte keine Lösung für alle sein: 22 Länder Afrikas beziehen ihre Düngemittel auch aus der Schwarzmeer-Region. Die Preise für die Wachstumshelfer sind - natürlich - auch in die Höhe geschossen. "Länder wie Äthiopien oder Sudan sind bei Düngemitteln auf bis zu 90 Prozent auf Importe aus der Ukraine und Russland angewiesen," sagt Michael Dunford vom WFP. Die Lage werde sich weiter verschlechtern, wenn die internationale Gemeinschaft nicht mehr Geld gebe.