RN-Parteichef Bardella Der smarte Aufsteiger von Le Pens Gnaden
Jordan Bardella vom extrem rechten RN könnte in wenigen Wochen neuer Premierminister Frankreichs werden. Dabei ist er erst 28 Jahre alt. Wer ist der Mann - und was erklärt seinen Aufstieg?
Jordan Bardella kommt aus "Neuf Trois", dem berüchtigten 93. Departement Frankreichs, das ärmste des Landes. "Seine Saint Denis" liegt im Nord-Osten von Paris, und nirgendwo gibt es so viele Menschen mit Einwanderungsgeschichte wie hier.
Bardella ist selber Kind beziehungsweise Kindeskind von Einwanderern. Seine Mutter, eine Italienerin, kam in den 1960er-Jahren nach Frankreich. Sein französischer Vater hat algerisch-italienische Wurzeln.
Die Herkunft - sein Kapital
Daraus schlägt Bardella politisches Kapital. Wenn er über die Vororte redet, genießt er besonders hohe Glaubwürdigkeit. Seine Jugend sei ein Spießrutenlauf zwischen den Dealer-Terrains am Fuße seines Hochhausblocks gewesen, berichtet er gerne.
Nach den Unruhen, die im letzten Jahr von den Banlieues ausgingen, erklärte er: "Das alles ist umso frustrierender als es Leute gibt wie mich, die aus diesen Vierteln stammen und die es geschafft haben, sich vollständig zu integrieren."
In seinen Reden erwähnt Bardella häufig seine Mutter, eine Kindergartenhelferin, bei der er aufwuchs. Am Ende des Monats seien ihr oftmals nur 20 Euro geblieben, sagt er. Die Geschichte zieht beim Publikum.
Zwei Versionen seiner Jugend
Dass sein Vater Leiter eines mittelständischen Unternehmens für Getränkeautomaten ist, erwähnt Bardella in diesen Reden nicht. Bei ihm verbrachte der jugendliche Jordan laut Medienberichten die Wochenenden, flog mit ihm an seinem 18. Geburtstag in den Urlaub nach Miami, bekam von ihm sein erstes Auto, einen Smart, geschenkt.
Unerwähnt lässt Bardella ebenfalls, dass er nicht auf eines der staatlichen Lycées um die Ecke seines Wohnblocks ging, sondern an einer kostenpflichtigen katholischen Privatschule etwas weiter weg das Abi ablegte.
Das sind Details, die er geflissentlich weglässt. Sie passen nicht gut zum Image des Underdogs, das Teil seines Erfolgs ist.
Bardellas Geburtsort Drancy gilt auch als sozialer Brennpunkt. Doch an der Darstellung seiner Herkunft gibt es deutliche Zweifel.
Unerwarteter Wandel
Warum Bardella schließlich in den extrem rechten Front National, der Vorläufer des heutigen Rassemblement National, eintrat, können einige seine Schulkameraden bis heute nicht verstehen. Gegenüber der Zeitung "Le Monde" berichten sie von einem jungen Mann, der sich in der multikulturell geprägten Schulklasse mit lauter ambitionierten Einwandererkindern sehr wohl gefühlt habe.
Eine Weile lang unterrichtet der Schüler Bardella in seiner Freizeit sogar Migranten, bringt ihnen Französisch bei. Doch dann wendet er sich der Partei zu, die eine rassistische und antisemitische Vergangenheit hat. Mit 17 wird er Parteimitglied.
Nur wenig später beginnt seine steile Karriere an der Seite Marine Le Pens. Geholfen hat da wohl auch, dass er schnell private Bande mit engen Vertrauten Le Pens knüpft. Klatschblätter berichten, er sei mit ihrer Nichte Nolwenn zusammen.
Bardella wird der politische Ziehsohn Le Pens. Sie erkennt sein Talent, den Wert seiner Herkunft aus den Banlieues. Ihr verdankt er alles.
Durch "Marine" habe er die Politik entdeckt und sich entschieden, sich zu engagieren, beschreibt er ihren Einfluss: "Sie hat mir die Leidenschaft für unser wunderbares Volk eingeimpft."
Rasanter Aufstieg
2017, mit gerade mal 22 Jahren, wird Bardella einer von drei Parteisprechern, sein Geographie-Studium hat er da bereits abgebrochen. 2019 ernennt ihn Le Pen zum Spitzenkandidaten bei den Europawahlen. Schon damals schlägt Bardella die Liste von Präsident Emmanuel Macron knapp.
2022 wird er Parteivorsitzender. Er verkörpert den neuen, den entdämonisierten Rassemblement National. Dabei propagiert Bardella eine harte Law and Order-Politik. Auf seinen Wahlkampfmeetings vor den Europawahlen fordert er "die Rückkehr der staatlichen Oberhoheit auf jedem Quadratmeter Frankreichs". Die Einwanderung und die EU bedrohten die "Seele Frankreichs".
Ob "Green Deal" oder Immigrationspakt, die Beschlüsse in Brüssel seien eine Gängelung des Landes; das Land stehe vor der "Auslöschung", die "französische Identität und Souveränität" stünden auf dem Spiel.
Dramatisch schleudert er in den Saal: "Wir haben noch nicht aufgehört, Französisch zu sein!"
Der RN - Beschützer der Juden?
Die Massen jubeln ihm zu. Um dahin zu gelangen, hat sich Bardella in der Vergangenheit hartes Medientraining verordnet. Lange galt er als Sprechautomat, als Roboter, heute gibt er sich lächelnd dem Selfie-Rausch seiner Anhänger hin und stolpert selten.
Ende vergangenen Jahres ist so ein Moment. Im Interview mit BFMTV erklärt er, er glaube nicht, dass der Gründervater der Partei, Jean-Marie Le Pen, Antisemit gewesen sei. Dabei wurde dieser wegen Antisemitismus verurteilt. Dessen eigene Tochter Marine hatte ihn deswegen 2015 aus der Partei geworfen.
Später rudert Bardella zurück. Politischen Schaden trägt der geschmeidige 28-Jährige nicht davon. Im Gegenteil, er erklärt den extrem rechten Rassemblement National zum einzig wahren Beschützer der Juden gegen die Islamisten im Land.
Das Grundübel ist und bleibt für ihn die Immigration. Und er punktet mit vermeintlich einfachen Rezepten. Die einzige Lösung "angesichts des Chaos, das uns die Immigration jetzt und in Zukunft beschert", ruft er aus, "ist Härte und Entschiedenheit, immer".
Viel Rückhalt bei jungen Wählern
Für seine Partei ist der hochgewachsene, breitschultrige, stets akkurat frisierte und gut gekleidete Bardella Gold wert. Ende 2023 rangierte er unter den 50 beliebtesten Persönlichkeiten des Landes. 1,6 Millionen Menschen folgen ihm auf TikTok. Knapp ein Drittel der 18- bis 24- Jährigen haben bei der Europawahl für ihn gestimmt.
Und er hat entscheidend dazu beigetragen, dass der RN bei den Europawahlen in fast allen Wählerschichten deutlich dazu gewinnen konnte: nicht nur bei den Jungen, sondern auch bei Schichten mit höheren Bildungsabschlüssen und Rentnern.
Mit ihm an der Spitze ist seine Partei bei den Europawahlen in 93 Prozent der Kommunen auf dem ersten Platz gelandet.
In den Staatsmann-Modus geschaltet
Seit Präsident Macron Neuwahlen ausgerufen hat, hat Bardella in einen anderen Modus geschaltet: vom Wahlkämpfer zum Staatsmann. Erfolgreich verhandelt er mit dem Spalter der konservativen Republikaner, Eric Ciotti, über eine gemeinsame Kandidatenliste. Geduldig erklärt er, im Falle eines Wahlsieges Anfang Juli, zunächst einen Notfallplan umsetzen zu wollen: für mehr Kaufkraft, weniger Einwanderung und mehr Sicherheit.
Von der Aufhebung von Macrons Rentenreform, die ein Renteneintrittsalter von 64 Jahren eingeführt hat, ist keine Rede mehr. Angesichts der horrenden Staatschulden werde man sich jetzt darauf beschränken, die Reform so zu verändern, dass alle, die noch unter 20 begonnen haben, zu arbeiten, bereits mit 60 in Rente gehen können, erklärt er.
Bardella, der Polemiker und Hetzer, tritt seit der Wahl als Stimme der Vernunft auf. Der Karriereschritt zum Premierminister scheint den Shootingstar der extrem Rechten nicht bange zu machen.