Frankreich Klarsfeld adelt Le Pens Partei
Fast sein ganzes Leben hat Serge Klarsfeld damit verbracht, Nazi-Kriegsverbrecher aufzuspüren. Doch nun spricht ausgerechnet er die Partei Le Pens davon frei, rechtsextrem zu sein. Das kommt für sie einem Geschenk gleich.
Serge Klarsfeld empfängt in seinem Büro im Erdgeschoss eines stattlichen alten Baus in der Nähe der Champs-Élysées. Gemeinsam mit seiner deutschen Frau Beate hat er hier in Regalen, die bis unter die Decke reichen, ihren gemeinsamen Kampf gegen den Rechtsextremismus dokumentiert. Bücher, Kladden, Ordner über Ordner. Ihr Werk, ihr ganzes Leben steckt in diesen Räumen.
Zum Gespräch bittet Serge Klarsfeld an einen riesigen schmucklosen Schreibtisch mit Holzplatte. An der Wand hängt die Karte des Konzentrationslagers Auschwitz-Birkenau, in dem sein Vater starb. Klarsfeld kommt sofort zum Punkt. Der Rassemblement National (RN) sei heute kein Feind der Juden mehr - im Gegenteil, sagt der 88-Jährige: "Ich betrachte Rassemblement National als Verbündeten."
Schließlich habe sich die Fraktionschefin der Partei, Marine Le Pen, von Jean-Marie le Pen, ihrem antisemitischen Vater und Gründer der Vorgänger-Partei Front National, losgesagt - ihn sogar aus der Partei geworfen.
Die Gefahr drohe heute von anderer Seite. Die Attentate auf Juden seien in den vergangenen Jahren von radikalisierten Muslimen ausgegangen. Der Rassemblement National hingegen werde immer respektabler. Da sei es doch normal, dass sich Juden und RN annähern.
Serge und Beate Klarsfeld haben ihr Leben dem Kampf gegen Rechtsextremismus und Judenhass gewidmet. Heute erkennen sie in Le Pens Partei einen Verbündeten.
Andere Feinde, neue Verbündete
In der Tat ging in Frankreich die schlimmste Gewalt gegen Juden in den vergangenen 20 Jahren von Islamisten aus. Nach dem Anschlag der Hamas am 7. Oktober letzten Jahres steigerte sich die Zahl antisemitischer Taten im Vergleich zum Vorjahr noch, um rund 280 Prozent.
Der RN hat die Hamas danach ohne Wenn und Aber als terroristische Organisation verurteilt. Die Parteivertreter nahmen im November auch an der großen Demonstration gegen Antisemitismus teil, während Präsident Emmanuel Macron fernblieb und gleichzeitig die Teilnahme der Rechtsextremen geißelte: Sie hätten dort nichts zu suchen.
Klarsfeld hingegen begrüßte, dass der Rassemblement National bei dem Marsch dabei war - ein Donnerschlag! Der 28 Jahre junge RN-Parteichef Jordan Bardella nahm Klarsfelds Worte mit Wohlwollen auf: "Ich habe sehr aufmerksam verfolgt, was Monsieur Klarsfeld gesagt hat. Dass man uns keinen Antisemitismus mehr vorwerfen kann und dass wir auf dem Marsch gegen Antisemitismus willkommen sind."
Nachsicht für "Jugendsünden"
Klarsfeld bleibt bei seiner Position, obwohl Bardella in einem Interview im November gesagt hat, er glaube nicht, dass Parteigründer Jean-Marie le Pen ein Antisemit gewesen sei. Dabei wurde der mehrfach wegen antisemitischer Äußerungen verurteilt. Klarsfeld wischt Bardellas Aussage als Jugendsünde beiseite.
"Für mich ist eine Partei dann rechtsextrem, wenn sie antijüdisch ist. Das ist ihre DNA. In dem Moment, wo sie diese antijüdische Identität aufgibt, erachte ich sie nicht mehr als Feind."
Die Jüdinnen und Juden in Frankreich seien in einer Lage, in der sie ihre potentiellen Verbündeten und Beschützer nicht vernachlässigen dürften. Also sei für ihn die prioritäre Frage "antijüdisch oder nicht".
Le Pens Strategie geht auf
Damit erteilt einer der bekanntesten Nazi-Jäger der Welt dem Rassemblement National gewissermaßen die Absolution. Marine le Pens Strategie der Entdiabolisierung, der Normalisierung scheint voll aufgegangen zu sein.
Dass sich der Hass vieler Mitglieder und Wähler des RN mittlerweile zwar nicht mehr gegen die Juden, dafür aber gegen die Muslime im Land wendet, schreckt Klarsfeld nicht ab. Ist eine Partei, deren Mitglieder und Anhänger Muslime nicht selten unter Generalverdacht stellen und als Bedrohung für die nationale Identität Frankreich ausmachen, nicht eine Gefahr für die Einheit des Landes?
Auf diese Frage geht Klarsfeld nicht ein. Stattdessen sagt er: "Während die Juden schon seit Napoleon die Regeln des französischen Lebens akzeptiert haben, gibt es unter Muslimen einen Anteil, dessen Größe nicht genau zu ermitteln ist, die das nicht tun wollen."
Das betreffe zum Beispiel die Trennung von Staat und Religion. Und das sei ein Problem.
Widerspruch vom Zentralrat
Jonathan Arfi schlägt andere Töne an. Der Präsident des Zentralrats jüdischer Institutionen (CRIF), warnt davor, den Rassemblement National als Verbündeten zu bezeichnen. Er teile die Position Klarsfelds nicht, betont er. Der RN sei sicher nicht mehr derselbe wie vor 20, 30 Jahren, aber er bleibe populistisch und demagogisch.
"Für uns Juden Frankreichs ist der Rassemblement National ein falscher Freund, der so tut, als kämpfe er gegen den Antisemitismus, der aber nicht in der Lage ist, den Antisemitismus in seinen eigenen Reihen und im extrem rechten Lager anzuprangern."
Der CRIF sei sehr wachsam, wenn es darum gehe, den Antisemitismus politisch zu instrumentalisieren.
"Keine Angst mehr vor dem RN"
Serge Klarsfeld betont, dass er selbst den Rassemblement National nicht wählen wird. Die Juden in Frankreich hätten noch andere Alliierte; die Republikaner zum Beispiel und Teile der politischen Mitte.
Aber er ist überzeugt, dass bereits jetzt die Mehrheit der Juden in Frankreich für den Rassemblement National stimmt. "Sie sagen es nicht, aber sie haben überhaupt keine Angst mehr vor dem RN." Und das sei verständlich.
Noch vor zwei Jahren, im Zuge des Präsidentschaftswahlkampfs 2022, unterzeichnete Serge Klarsfeld einen Aufruf in der Zeitung "Libération", gegen Kandidatin Marine "Le Pen, Tochter des Rassismus und des Antisemitismus" zu stimmen. Diese Zeiten sind vorbei.