Beweise aus Encrochat-Überwachung EuGH stärkt deutschen Anklagebehörden den Rücken
Tausende Festnahmen, Beschlagnahmungen in Millionenhöhe - alles dank Beweisen aus der Überwachung von Encrochat-Kryptohandys. Der Europäische Gerichtshof hat nun zur Verwendung dieser Daten vor deutschen Gerichten geurteilt.
Es war ein Sensationserfolg französischer und niederländischer Ermittler: 2020 gelang es ihnen, das Kommunikationssystem der Firma Encrochat zu knacken. Encrochat hatte Mobiltelefone inklusive Software angeboten, die abhörsicher sein sollten. Diese wurden von organisierten Kriminellen in mehr als 120 Ländern für Drogen- und Waffengeschäfte, aber auch für Mordaufträge und Geldwäsche benutzt.
Die Kommunikation über Encrochat konnten die Ermittler aus Frankreich technisch überwachen. Mithilfe der vielen Daten aus der Encrochat-Überwachung konnten bisher mehrere Tausend Menschen festgenommen und rund 900 Millionen Euro beschlagnahmt werden. Auch deutsche Ermittler bekamen Zugang zu den Daten.
"Es geht um eine ganz große Masse an Daten, nämlich über Millionen Nachrichten zu mehreren Tausend Nutzern in Deutschland", sagt Benjamin Krause, Oberstaatsanwalt in Frankfurt am Main bei der Zentralstelle zur Bekämpfung der Internetkriminalität. Über 2.000 Ermittlungsverfahren habe man gegen Encrochat-Nutzer bisher einleiten können.
Ein Bolzenschneider macht noch keinen Fahrraddieb
Krause erklärt, warum die Encrochat-Daten für deutsche Ermittler so wichtig sind. "Encrochat galt unter Tatverdächtigen als abhörsicher und deswegen wurde ganz offen über die Vorbereitung und die Begehung von schweren Straftaten gesprochen", so der Jurist. "Beispielsweise, wann man mit wem wie viel Betäubungsmittel gehandelt hat. Und das war für uns quasi kriminalistisches Gold, um einzelne Taten nachweisen zu können."
Die meisten deutschen Gerichte sahen keine rechtlichen Probleme, die Encrochat-Daten in deutschen Strafverfahren als Beweise zu nutzen. Strafverteidiger sind da jedoch kritisch. Sie sagen: Über den Umweg Frankreich hätten die deutschen Ermittler mit den Encrochat-Daten Kommunikationsdaten bekommen, die sie nach deutschem Recht gar nicht hätten erheben dürfen.
Die Franzosen hätten mehr als 30.000 Encrochat-Nutzer pauschal überwacht. Das sei so, als ob man jeden für einen Fahrraddieb hält, der einen Bolzenschneider zu Hause hat. Die Datennutzung sei nur verhältnismäßig, wenn gegen jeden Überwachten ein konkreter Verdacht besteht, dass er an einer schweren Straftat beteiligt sei.
Unterschiedliche Auffassungen an BGH und Landgericht
Der Bundesgerichtshof ist dem jedoch nicht gefolgt und hatte die Datennutzung für zulässig erklärt. Für den BGH kommt es auf die Rechtslage in Frankreich an. Und da sei kein Grundrechtsverstoß zu vermuten. Das Landgericht Berlin sah darin ein Problem. Es meint, die pauschale Nutzung der Encrochat-Daten sei sehr wohl eine Verletzung von Grundrechten. Deshalb hatte das Landgericht seine Bedenken dem Europäischen Gerichtshof vorgelegt.
Der EuGH hat in der Sache nun eine sehr allgemeine Entscheidung gefällt. Er macht allgemeine Vorgaben dafür, wie Beweise wie die Encrochat-Daten zwischen europäischen Staaten weitergegeben - und wann sie in Strafverfahren genutzt werden dürfen.
Nun kommt es auf die deutschen Gerichte an
Grundsätzlich dürften Staatsanwälte Beweise aus anderen europäischen Staaten anfragen, so der EuGH. Es war also grundsätzlich möglich, dass französische Ermittler Beschuldigte in Deutschland überwacht haben. Dabei komme es erstmal nur darauf an, dass das nach französischem Recht zulässig war. Damit diese Beweise dann in einem deutschen Prozess verwendet werden dürfen gibt es aber weitere Bedingungen.
Wichtig: Ein europäischer Staat, der Bürger eines anderen Staates überwacht, muss den anderen Staat unterrichten. Und Beschuldigte müssen in der Lage sein, zu den Beweisen Stellung zu nehmen. Außerdem muss gegen die Datenweitergabe und Datenverwendung der Gang vor Gericht möglich sein.
Was das im Einzelnen für die Verwendung von Encrochat-Daten in Deutschland bedeutet, hängt jetzt davon ab, wie die deutschen Gerichte die Vorgaben des EuGH auslegen und umsetzen. Gegen die Verwendung von Encrochat-Daten in Strafverfahren gibt es auch Verfassungsbeschwerden in Karlsruhe. Die sind inhaltlich jedoch noch nicht entschieden.