Jean Asselborn spricht in die Mikrofone.
Porträt

Luxemburgs Außenminister Asselborn Der Mann der Worte tritt ab

Stand: 13.11.2023 11:40 Uhr

Mit Jean Asselborn tritt der dienstälteste Außenminister der EU ab. 19 Jahre lang kämpfte Luxemburgs Chefdiplomat für grundlegende Werte - je nach Situation mal mit Humor, mal mit Kraftausdrücken.

Von Olga Chládková und Christian Feld, ARD-Studio Brüssel

Er hätte auch das Rennrad nehmen können - doch der ambitionierte Freizeitsportler Jean Asselborn ist an diesem frühen Montagmorgen auf dem Weg zu seinem wohl letzten EU-Außenrat. Also trägt er Anzug und sitzt zusammen mit seinem Sprecher in einem Dienstwagen. "Es ist immer einmal der letzte Tag - es ist ein Arbeitstag, aber es ist natürlich kein Tag wie alle anderen", sagt er.

Noch einmal das volle Programm: Der lange rote Teppich, am Ende der Linkskurve stehen hinter einer Absperrung die Kameras. Zwei Jahrzehnte lang hat Luxemburgs Außenminister hier seine Einschätzungen in die Mikrofone gesprochen. Klare Worte sind das Markenzeichen des 74-Jährigen - keine Selbstverständlichkeit in der Welt der hohen Diplomatie.

Der aktuell dienstälteste Außenminister der Europäischen Union tritt ab. Seit der Wahlniederlage der amtierenden Regierung ist klar, dass er sein Amt abgeben wird. Damit enden 19 ununterbrochene Jahre als Chefdiplomat des Großherzogtums Luxemburg. In dieser Zeit war er in Deutschland ein häufig eingeladener Gast in TV-Talkshows oder Radioprogrammen. Er hat bewiesen, dass die Stimme aus dem zweitkleinsten EU-Land Gewicht haben kann, auch wenn nicht jeder seine Worte hören wollte.

Jean Asselborn und Josep Borrell.

Hand in Hand vor dem Auseinandergehen: Asselborn und EU-Chefdiplomat Josep Borrell.

Einer, der austeilen kann

2016 beispielsweise teilte Asselborn scharf gegen Ungarn und Ministerpräsident Viktor Orban aus: "Hier werden Menschen, die vor dem Krieg fliehen, fast schlimmer behandelt als wilde Tiere." Wer Zäune gegen Kriegsflüchtlinge baue, die Pressefreiheit und die Unabhängigkeit der Justiz verletze, solle vorübergehend oder dauerhaft "aus der EU ausgeschlossen werden".

Asselborn sei "arrogant und frustriert", entgegnete ihm Ungarns Außenminister Péter Szijjártó. Aber auch aus dem EU-Parlament kam Kritik. Von einer "unsinnigen Geisterdebatte" spach CSU-Mann Manfred Weber damals. Eine "billige Forderung", hieß es von den Grünen.

Wenn es um seine grundsätzlichen Überzeugungen geht, kann Asselborn sogar noch deutlicher werden. Das zeigt auch eine Auseinandersetzung im Jahr 2018, die nur deswegen öffentlich wurde, weil der damalige italienische Innenminister Matteo Salvini eine vertrauliche EU-Sitzung heimlich filmen und später ins Netz stellen ließ. Der rechtspopulistische Politiker hatte davon gesprochen, dass er lieber Italienern helfe, mehr Kinder zu bekommen, als "neue Sklaven" nach Europa zu holen. Das wollte der Luxemburger so nicht stehen lassen. Er riss sich wütend den Kopfhörer mit der Übersetzung vom Kopf und rief "Merde alors!", auf Deutsch: "Scheiße nochmal!". Er habe dieses "dumme Geschwätz" nicht mehr hören können, sagte er später.

Sein Herzensthema: Migration

Mit Kameras hat Asselborn kein Problem: Im Dokumentarfilm "Foreign Affairs" sieht man ihn in einer Szene noch im UN-Sicherheitsrat sitzen, kurz danach stößt er beim Gärtnern in kurzen Hosen Flüche aus, weil der Rasenmäher nicht anspringen will. Der Luxemburger Medienprofi zeigt sich ganz bewusst auch als nahbarer Nachbar. Eine Szene, die auch nicht fehlen darf: Der 74-Jährige als passionierter Radsportler, der sich einmal im Jahr den berüchtigten Mont Ventoux in Frankreich hinaufquält. Die harte Tour ist der Stahlarbeiter-Sohn, der sich von Schul- und Uniabschlüssen über das Bürgermeisteramt seiner Heimatgemeinde Steinfort bis ins Außenministerium hochstrampelte, ein Leben lang gewohnt.

Asselborn ist ein Wortmächtiger, aber was bewegen seine Worte? In einem Portrait im luxemburgischen Magazin "Reporter" hieß es 2018, er pflege sorgsam "sein Image als idealistischer Mahner": "Die Kritik, dass er eben nur mahnt und nur selten die Richtung der Weltpolitik beeinflusst, interessiert ihn nicht."

Ohne Zweifel konnte er gerade im Bereich Migration, für die er in der luxemburgischen Regierung ebenfalls zuständig ist, längst nicht alle EU-Staaten überzeugen. Das Thema bewegt den Sozialdemokraten, seit er 2015 die Insel Lesbos besucht hat, auf der regelmäßig Menschen in seeuntüchtigen Booten ankommen: Er berichtet von eingezäunten Kindern und leeren Augen.

Asselborn plädiert für Verantwortung und Solidarität anstelle nationaler Interessen. Und doch erlebte er, wie Beschlüsse zur Umverteilung von Flüchtlingen missachtet wurden, wie die gemeinsame Asylpolitik der EU lange Zeit nicht vorankam. Sein Fazit: "Hätten wir nur 20 Prozent der Energie zur Verhinderung der Finanzkrise in die Migrationskrise gesteckt, dann stünde Europa heute besser da."

Jean Asselborn und Annalena Baerbock.

Um einen Spruch war und ist Asselborn nie verlegen - wie hier im Gespräch mit Bundesaußenministerin Annalena Baerbock.

Abgeordneter in Luxemburger Kammer

Rechtsstaatlichkeit, Demokratie, gemeinsames Handeln in Europa: Nicht jeder Spitzenpolitiker kann von sich behaupten, über so lange Zeit beharrlich für grundlegende Werte gekämpft zu haben. Und worauf kann der Außenminister eines sehr kleinen EU-Landes setzen, wenn nicht auf die Kraft seiner Worte?

Gelegentlich stieß Asselborns freundlich-humorige Art auch an ihre Grenzen. Nach den LuxLeaks-Enthüllungen über umstrittene Steuerpraktiken in seiner Heimat zugunsten von Konzernen sagte er bei Anne Will: "Als kleines Land haben wir keinen Platz für so viele Häuser, deshalb haben wir so viele Briefkästen." Ein deplatzierter Witz? Oder immerhin die Bereitschaft, sich öffentlich den Fragen zu stellen? Auf jeden Fall ein typischer Asselborn.

Und in Zukunft? Bei der jüngsten Wahl hat sich Jean Asselborn mit sehr gutem Ergebnis einen Platz im Landesparlament von Luxemburg gesichert. Demnächst also deutlich mehr Kilometer auf dem Rad und weniger Talkshows? Dass seine Stimme nicht auch weiterhin regelmäßig in der gesamten EU zu hören sein wird, fällt schwer zu glauben.

Andreas Meyer-Feist, ARD Brüssel, tagesschau, 13.11.2023 11:24 Uhr

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete die tagesschau am 13. November 2023 um 12:00 Uhr.