Scheidender Eurogruppenchef Im Schatten der Vorgänger
Es ist ein trockener Job, der kaum Prominenz verspricht: der Eurogruppen-Vorsitz. Der scheidende Portugiese Centeno galt als Zögerer, konnte zum Schluss aber Erfolge feiern. Für seine Nachfolge gibt es eine klare Favoritin.
Mario - wer? Mit dem Namen des scheidenden Eurogruppenchefs werden wohl nur einige wenige Eingeweihte etwas anfangen können. Das ist kein Wunder: Man muss schon eine spezielle Beziehung zu finanzpolitischen Themen im Allgemeinen und der europäischen Gemeinschaftswährung im Besonderen mitbringen, um sich für die Arbeit des exklusiven Euro-Clubs und seines Vorsitzenden zu begeistern.
Denn hier geht es in der Regel um anspruchsvolle und hochkomplexe Fragen aus der weiten Welt der Wirtschafts- und Währungspolitik. Projekte wie die Bankenunion, die gemeinsame Einlagensicherung für europäische Sparguthaben oder das Eurozonenbudget sind sogar für EU-Verhältnisse außerordentlich kompliziert und selbst interessierten Laien kaum noch vermittelbar.
"Ronaldo der Finanzen"
Mit spektakulären Neuigkeiten aus dieser Expertenwelt darf höchstens in Ausnahmefällen gerechnet werden. Stattdessen ringen die Mitglieder der Eurogruppe zäh um Terrain. Zum Beispiel, wenn es um die Reform des Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) geht, im Volksmund einfach "Euro-Rettungsschirm" genannt, oder um die Finanztransaktionssteuer, über die inzwischen schon seit Jahren (und bisher ergebnislos) diskutiert wird.
Für die geneigte Öffentlichkeit ist das häufig viel zu technisch, zu abstrakt, zu detailliert. Wer einmal bei einer Pressekonferenz der Eurogruppe mithören konnte, der weiß, was gemeint ist. Auch deshalb hat Mario Centeno in den zweieinhalb Jahren an der Spitze des Gremiums kaum an Prominenz außerhalb der Brüsseler Filterblase gewinnen können. Außerdem reicht er, was Strahlkraft und Charisma angeht, nicht an seine beiden Vorgänger heran - obwohl der frühere Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble den heute 53-jährigen Portugiesen bei dessen Amtsantritt noch als "Ronaldo der Finanzen" gewürdigt hatte.
Vorgänger mit Profil
Der erste "Mr. Euro", der Luxemburger Jean-Claude Juncker, war fast zehn Jahre lang das allgegenwärtige Gesicht der Gemeinschaftswährung. Während der großen Finanz- und Schuldenkrise hatte er sich erfolgreich gegen den drohenden Staatsbankrott Griechenlands und damit für einen Verbleib des Landes in der Eurozone stark gemacht. Auch sein Nachfolger Jeroen Dijsselbloem aus den Niederlanden konnte sich als entschiedener Kämpfer gegen den Kollaps der europäischen Wirtschafts- und Währungsunion profilieren.
Natürlich waren das damals andere Zeiten. Der Absturz der Finanzwirtschaft, das Ringen um Rettungspakete für Athen, die Sorge um den Euro - all das hatte dafür gesorgt, dass den Aufgaben der Eurogruppe und ihrer Vorsitzenden eine ganz andere öffentliche Aufmerksamkeit entgegengebracht wurde als das heute der Fall ist. Auch, wenn es zynisch klingt: Für Centeno kam die Corona-Pandemie zu spät, um sich als zupackender Krisenmanager inszenieren zu können.
Juncker war jahrelang das Gesicht der Gemeinschaftswährung.
Ein Zögerer mit gemischter Bilanz
Luft nach oben hat so mancher aber auch in Centenos Amtsführung gesehen. Er sei zu zögerlich, zu wenig durchsetzungsfähig, zu oft nicht gut vorbereitet, heißt es in Brüssel. Mehrfach waren Beratungen der Eurogruppe zeitlich aus dem Ruder gelaufen und am Ende trotzdem ohne Ergebnis geblieben. Der Noch-Eurogruppenchef kann aber auch Erfolge vermelden: Etwa die vergleichsweise schnelle Verständigung auf das erste Corona-Rettungsprogramm, mit einem europäischen Kurzarbeitergeld, Finanzhilfen für Unternehmen und einem neuen Kreditangebot für besonders von der Pandemie betroffene Staaten.
Bei der Entscheidung über das geplante neue, milliardenschwere Corona-Hilfspaket will die Eurogruppe ebenfalls ein gewichtiges Wörtchen mitreden und zum Beispiel überprüfen, welche Investitionen in den einzelnen Ländern zur wirtschaftlichen Erholung überhaupt nötig sind. Schließlich ist laut Centeno der Schutz des Euro genauso wichtig wie die Verteidigung des gemeinsamen Binnenmarkts. Seine Nachfolgerin oder sein Nachfolger werden das ganz ähnlich sehen.
Spanierin Calvino ist Favoritin für die Nachfolge
Allerdings regt sich gegen eine allzu starke Rolle der Eurogruppe Widerstand. Denn acht der insgesamt 27 EU-Staaten haben die Gemeinschaftswährung bisher nicht eingeführt, werden aber für das schuldenfinanzierte Wiederaufbauprogramm genauso anteilig geradestehen müssen. Sie pochen deshalb darauf, dass sämtliche Beschlüsse von allen EU-Mitgliedern gemeinsam getroffen werden und nicht von einem informellen Gremium, das sich in erster Linie um die Interessen der Euroländer kümmert - und zwar ganz unabhängig davon, wie deren Chef oder Chefin gerade heißt.
Als Kandidaten für die Centeno-Nachfolge gehandelt werden der luxemburgische Finanzminister Pierre Gramegna, sein irischer Kollege Paschal Donohoe und Nadia Calvino aus Spanien. Weil sie wie Centeno aus der sozialdemokratischen Regierung eines südlichen Mitgliedslandes kommt und außerdem unter anderem von Deutschland unterstützt wird, gilt die spanische Wirtschaftsministerin im Rennen um den Vorsitz als klare Favoritin.