Schwierige Beziehungen zur Türkei EU befürchtet die Rückkehr der Todesstrafe
Durch das harte Vorgehen gegen politische Gegner in der Türkei verschlechtert sich das eh schon angespannte Verhältnis zwischen der EU und Ankara noch weiter. Zur Nagelprobe könnte die Diskussion über die Todesstrafe werden.
Von Kai Küstner, ARD-Studio Brüssel
Das Verhältnis zwischen der EU und dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan mag noch so schwierig sein - dass die Europäische Union nicht die geringste Sympathie für den Versuch der Armee hatte, die Macht im Bosporus-Staat zu übernehmen, daran ließ sie nie einen Zweifel. "Ein Militär-Putsch hat in einer modernen Türkei nichts zu suchen", sagte EU-Ratspräsident Donald Tusk. "Es gibt keine Alternative zu Demokratie und Rechtsstaat." Ganz ähnlich formulierten es andere, das Urteil der Europäischen Union zum gescheiterten Umsturzversuch fällt also eindeutig aus.
Kritik von europäischen Politikern
Dass der türkische Präsident Erdogan den Putsch jedoch sogleich als ein "Geschenk Gottes" bezeichnete und sich umgehend daran machte, innerhalb von Militär und Justiz aufzuräumen, löste innerhalb der EU erhebliche Sorgen aus. Auch beim französischen Außenminister Jean-Marc Ayrault, der beim Sender "France 3" Erdogan davor warnte, den niedergeschlagenen Putsch als "Blanko-Scheck" zu betrachten: "Man braucht jetzt keine Säuberungen. Gegen diejenigen, die sich an der türkischen Demokratie vergehen, sollte man vorgehen mit den Mitteln des Rechtsstaats." Österreichs Außenminister Sebastian Kurz verlangte, die EU müsse Erdogan ganz klar "die Grenzen aufzeigen".
Aber kann die EU das? Völlig unstrittig ist, dass die Europäer den türkischen Präsidenten derzeit aus zwei Gründen dringend brauchen: zum einen im Kampf gegen die Terror-Milizen des "Islamischen Staates". Zum anderen zur Lösung der Flüchtlingskrise. Der Politikexperte Marc Pierini von der Brüsseler Denkfabrik "Carnegie Europe" hält es deshalb auch schlicht für eine Fata Morgana, dass die EU Druck auf die türkische Führung ausüben könne: "Ich kann mir nicht vorstellen, dass der türkische Präsident besonders beeindruckt sein wird von Aufrufen, zur Demokratie zurückzukehren oder zur Unabhängigkeit der Justiz."
Mit großer Sorge sieht man in der EU auch, dass Präsident Erdogan nun die Wiedereinführung der Todesstrafe ins Gespräch bringt. Sollte das passieren, dürfte dies das Ende der EU-Beitritts-Gespräche bedeuten. Völlig unklar ist, was dann wiederum aus dem mühsam ausgehandelten Flüchtlingsabkommen wird. Die Todesstrafe würde für die EU zur Nagelprobe werden, warnt Politikexperte Pierini: "Vergessen wir nicht, dass die Beitrittsgespräche für die Türkei zur EU im Dezember 2004 überhaupt nur auf den Weg gebracht wurden, weil die Türkei sich damals zu Reformen bereit erklärte. Ein Schlüsselelement dabei war die Abschaffung der Todesstrafe."
Nun hat die Türkei - in Ermangelung anderer Partner - grundsätzlich auch ein Interesse daran, ihre Beziehung zur EU zu pflegen, gerade aus wirtschaftlichen Gründen. Doch derzeit scheint es eher so, als bräuchte Europa Erdogan dringender als umgekehrt. Unter anderem deshalb, weil es sich einen instabilen NATO-Partner direkt an der Grenze zu Syrien nicht leisten kann.
EU fehlen Einflussmöglichkeiten
Die EU befindet sich also in einer extrem unkomfortablen Position: Sie würde gerne Erdogan von seinem auf Machtgewinn abzielenden Kurs abbringen. Ihr fehlen aber die Hebel dafür.
Bereits am Montag kommen in Brüssel die Außenminister der EU zusammen. Eigentlich ist das Ganze als Routinetreffen einberufen, aber der künftige Umgang mit der Türkei dürfte nun ganz oben auf der Agenda stehen. Europaparlamentarier, wie der Grüne Jan-Philipp Albrecht oder die Linke Martina Michels, fordern bereits die Kooperation auszusetzen, etwa beim Flüchtlingsabkommen. Mit Unrechtsregimen könne man weder verhandeln noch kooperieren.