EU-Sanktionen gegen Russland Ein Gipfel, ein Embargo und viel Enttäuschung
Es kommt - das Öl-Embargo der EU gegen Russland. Doch vielen geht es nicht weit genug. Bundeskanzler Scholz hingegen zeigt Verständnis für die beim Gipfel vereinbarten Ausnahmen im neuen Sanktionspaket.
Auf ihrem Sondergipfel in Brüssel haben die EU-Mitglieder über verschiedene Themen debattiert: Energie, Ernährungssicherheit, Verteidigung. Doch hinter allem stand immer die Frage: Wie kann und muss die EU weiter auf den russischen Angriffskrieg in der Ukraine reagieren?
Allem voran stand dabei zu Beginn des Gipfels die Frage nach weiteren Strafmaßnahmen gegen Russland im Raum. Das Ergebnis ist ein Kompromiss auf ein anteiliges Öl-Embargo.
Bundeskanzler Olaf Scholz sprach nach dem Ende des Treffens der EU-Staats- und Regierungschefs von einem "einvernehmlichen" Beschluss. Es sei wichtig, die Sanktionen gegen Russland weiter fortzusetzen. Das Embargo werde einen Beitrag dazu leisten, dass Russland "seine Aktivitäten mit Konsequenzen bezahlen wird", die "erhebliche" Einschnitte für den "Wohlstand Russlands" bedeuten würden. Das klare Ziel des mittlerweile sechsten Sanktionspakets sei es, Russland dazu zu bewegen, seine Truppen wieder zurückzuziehen und sich mit der Ukraine über einen fairen Frieden zu verständigen.
Ein Embargo mit Ausnahmen
Die EU-Mitglieder hatten sich nach langen Verhandlungen in der Nacht auf einen Kompromiss für ein Öl-Embargo einigen können, das nun ab kommendem Jahr zumindest teilweise umgesetzt werden soll. Dabei soll die Einfuhr von russischem Öl über den Seeweg in die EU gestoppt werden. Über das Meer gelangen immerhin mehr als zwei Drittel der Ressource in die EU-Staaten.
Erlaubt bleibt die Versorgung über die "Druschba"-Pipeline, über die neben Ungarn auch Tschechien, Slowenien, Polen und auch Deutschland Öl aus Russland beziehen. Die Bundesregierung und auch Polen haben aber bereits angekündigt, auch auf den Öl-Import auf diesem Wege verzichten zu wollen. Damit würde sich die Menge an aus Russland eingekauftem Öl auf etwa zehn Prozent reduzieren.
Vor allem Ungarn hatte sich gegen ein komplettes Öl-Embargo gestemmt und seinen Widerstand mit der eigenen zu großen Abhängigkeit von der russischen Belieferung begründet. Bundeskanzler Scholz zeigte Verständnis für die Sorge Ungarns. Die Ausnahmen beim Öl-Embargo seien daher auch wichtig gewesen, um auf dem EU-Gipfel eine gemeinsame Entscheidung erzielen zu können.
Kompromisse auf Kosten der Geschlossenheit
Ganz anders reagierte Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck auf den vor allem auf Druck Ungarns vereinbarten Kompromiss. Der ungarische Regierungschef Viktor Orban habe "ruchlos" gepokert, um die eigenen Interessen durchzusetzen. Auf Kosten dieses "Gewürges" um das neue Sanktionspaket leide die europäische Kraft und Geschlossenheit. "Vielleicht leben wir in einer Zeit, wo zu viele Kompromisse dann die Klarheit am Ende nicht nur eintrüben, sondern zerstören", mahnte Habeck.
Auch der Parteichef von Habecks Grünen, Omid Nouripour, hätte beim EU-Gipfel auf mehr gehofft. Das Teil-Embargo für russisches Öl sei zwar "ein Schritt nach vorn", doch er bedauere, dass der Lieferstopp nicht "in vollem Umfang" beschlossen worden sei. Klarer die Kritik von Unions-Fraktionsvize Gunther Krichbaum: Bei den Strafmaßnahmen gegen Russland handele es sich nicht um "einschneidende Sanktionen". Auch der CDU-Politiker vermisst die Geschlossenheit der EU-Mitglieder gegen Russland.
Mit Sorge blickt hingegen Dietmar Bartsch, Fraktionschef der Linkspartei, auf das vereinbarte Öl-Embargo. Ebenso wie AfD-Chef Tino Chrupalla befürchtet er einen weiteren Preisanstieg durch den Teil-Importstopp. "Die Embargo-Politik treibt die Ölpreise in die Höhe und führt aktuell zum gegenteiligen Effekt: Sie füllt die Staatskasse Putins", warnte Bartsch. Zudem drohe das Embargo aus seiner Sicht die Inflation in Deutschland noch weiter anzuheizen.
Und auch auf EU-Ebene mehren sich die enttäuschten Reaktionen auf das Ergebnis des Brüsseler Gipfels. Die EU-Länder blieben mit ihren Beschlüssen hinter den Erwartungen zurück, hieß es von der Vizepräsidentin des Europaparlaments, Nicola Beer. Und auch Manfred Weber, der Fraktionsvorsitzende der konservativen EVP im Europaparlament, kritisierte, "ein großer Wurf" sei mit dem neuesten Sanktionspaket nicht gelungen. Der grüne Europaabgeordnete Rasmus Andresen sprach gar von "halbgaren Sanktionen", durch die ein "fatales Signal" an Russland gesendet werde.
EU will bei Energie umdenken
Doch das Thema Energie reichte beim EU-Gipfel über die Strafmaßnahmen gegen Russland hinaus. EU-Ratspräsident Charles Michel und EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen sprachen beide von verschiedenen Grundsäulen, auf denen das große Ziel mit dem Schlagwort "REPowerEU" fußen soll. Es müsse mehr Energie eingespart werden, mehr in notwendige Infrastruktur und Technologie investiert werden und Erneuerbare Energien müssten schneller und umfangreicher genutzt werden, fasste es Michel zusammen.
Und die EU befindet sich dabei aus Sicht von Kommissionspräsidentin von der Leyen auf dem richtigen Weg: Seit Jahresbeginn laufe die Suche nach anderen, verlässlichen Partnern für die Belieferung von Gas und die Einfuhren von Lieferanten abseits Russlands hätten im ersten Jahresquartal im Vergleich zu den drei ersten Monaten 2021 nahezu verdoppelt werden können. Schon jetzt seien die Gasspeicher in der EU zu 41 Prozent gefüllt - zum gleichen Zeitpunkt im vergangenen Jahr seien die Speicher im Durchschnitt fünf Prozent leerer gewesen.
Exportwege für ukrainisches Getreide gesucht
Neben dem Thema Energie spielte auf dem EU-Gipfel auch die drohende Hungerkrise infolge des Krieges in der Ukraine eine Rolle. Um die "Ernährungssicherheit" zu stärken, wolle die EU afrikanischen Ländern helfen, die dortigen Produktionskapazitäten für Lebensmittel auszubauen, kündigte EU-Ratspräsident Michel an. Kanzler Scholz nannte als eine mögliche Maßnahme etwa einen gesteigerten Export von Dünger in die betroffenen Länder.
Und Kommissionschefin von der Leyen stellte die Herausforderung in den Fokus, die "rund 20 Millionen Tonnen an Getreide", die in der Ukraine lagerten, aber durch die russische Blockade im Schwarzen Meer nicht exportiert werden könnten, auf dem Landweg oder per Flugzeug ins Ausland zu bringen.
Russland sieht die Verantwortung für die fehlenden Getreideexporte bei der Ukraine und dem Westen. Das ukrainische Militär solle Seeminen aus dem Schwarzem Meer entfernen, dass würde die russische Flotte die ungehinderte Durchfahrt von Transportschiffen sicherstellen, betonte Russlands Außenminister Sergej Lawrow bei einem Besuch in Bahrain.
Westlichen Staaten warf er vor, "eine Menge künstlicher Probleme geschaffen" zu haben, "indem sie ihre Häfen für russische Schiffe geschlossen und die Logistik- und Finanzketten unterbrochen haben". Der Westen müsse "ernsthaft abwägen", was wichtiger sei: "PR in der Frage der Ernährungssicherheit zu machen oder konkrete Schritte zur Lösung dieses Problems zu unternehmen", so Lawrow.
Deutschland sichert weiterhin Waffenlieferungen zu
Der dritte große Schwerpunkt auf dem Gipfel: die gemeinsame Verteidigung. Auch hier lautet die Devise von Michel und von der Leyen: mehr Investitionen, um "maximales bewirken zu können", wie die Kommissionschefin es ausdrückte.
Bundeskanzler Scholz hebt in diesem Zusammenhang die jüngst beschlossene Gesetzesänderung hervor, um der Bundeswehr ein Sondervermögen von 100 Milliarden Euro zukommen zu lassen. Damit könne die Bundeswehr künftig "die größte konventionelle Armee im Rahmen der NATO darstellen", so Scholz - und das sei "eine Veränderung, die wir unbedingt wollen".
Gleichzeitig versicherte Scholz, dass Deutschland auch weiterhin Waffen an die Ukraine liefern werde - und auch an die EU-Länder, die dafür Ausrüstung aus Sowjet-Beständen an das dafür ausgebildete ukrainische Militär liefern.