Ahmed al-Sharaa in Damaskus (aufgenommen am 25. Februar 2025)

Kämpfe mit Assad-Anhängern Syriens Machthaber ruft zu "Einheit" auf

Stand: 09.03.2025 15:52 Uhr

Mehr als 1.000 Menschen sollen zuletzt in Syrien getötet worden sein. Das Auswärtige Amt sieht nun die Verantwortung bei Übergangspräsident al-Scharaa - der öffentlich zu Frieden aufrief. In Amman laufen Sicherheitsgespräche.

Angesichts der mehrtägigen schweren Kämpfe mit mehr als 1.000 Toten in Syrien hat Übergangspräsident Ahmed al-Scharaa zu Frieden und Einheit im Land aufgerufen. "Wir müssen die nationale Einheit, den inneren Frieden so weit wie möglich bewahren. Und so Gott will werden wir in der Lage sein, in diesem Land so weit wie möglich zusammenzuleben", so al-Scharaa in einer Rede in einer Moschee in Damaskus.

Die aktuelle Entwicklung bewege sich im Rahmen der "erwartbaren Herausforderungen", sagte al-Scharaa in seiner Ansprache zudem. Syrien habe die Voraussetzungen zum Überleben. Aufnahmen seiner Rede wurden unter anderem im Fernsehsender Al Arabija ausgestrahlt.

Vera Rudolph, ARD Kairo, zu der politischen Lage und den Gewalttaten in Syrien

tagesschau24, 09.03.2025 15:00 Uhr

Appelle aus Deutschland, der EU und von den UN

Das Auswärtige Amt rief al-Scharaas Übergangsregierung selbst dazu auf, weitere Übergriffe zu verhindern. "Berichte über die Ermordung von Zivilisten und Gefangenen sind schockierend", teilte eine Sprecherin der Behörde mit. "Die Übergangsregierung steht in der Verantwortung, weitere Übergriffe zu verhindern, die Vorfälle aufzuklären und die Verantwortlichen zur Rechenschaft zu ziehen."

Auch die EU erklärte, man verurteile jegliche Gewalt gegen Zivilisten. UN-Menschenrechtskommissar Volker Türk teilte mit, ihn erreichten "äußerst verstörende" Berichte, denen zufolge ganze Familien getötet würden. Die Tötung von Zivilisten müsse "sofort aufhören".

Das Auswärtige Amt fordere "alle Seiten nachdrücklich zu einem Ende der Gewalt auf", so die Sprecherin. Nur so könne "gesellschaftlicher Frieden nach Jahrzehnten des Assad-Terrorregimes hergestellt und der Weg eines inklusiven politischen Prozesses beschritten werden, der zur nachhaltigen Befriedung und Stabilisierung Syriens so wichtig ist". Die Zukunft des Landes müsse in den Händen aller Syrerinnen und Syrer liegen, egal welcher Ethnie, Religion oder welchen Geschlechts, hieß es in einer Mitteilung.

Gespräche in Jordanien angelaufen

Angesichts der schwierigen Sicherheitslage in der Region kamen - wie angekündigt - hochrangige Beamte aus der Türkei und Jordanien in Amman zusammen. Geplant waren regionale Sicherheitsgespräche auch mit Vertretern Syriens, des Iraks und Libanons. Türkischen diplomatischen Quellen nach gelten als ein Fokus der Gespräche die Extremisten des "Islamischen Staats". Tausende von deren Kämpfern werden in Gefängnissen im Nordosten Syriens festgehalten.

Die Außen- und Verteidigungsminister sowie die Geheimdienstchefs der vier Länder wollen in der jordanischen Hauptstadt über Sicherheitsbedrohungen, Terrorismusbekämpfung und organisierte Kriminalität sprechen, so die türkischen Quellen weiter. 

Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte
Die Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte (Syrian Observatory for Human Rights, SOHR) sitzt in Großbritannien und will Menschenrechtsverletzungen in Syrien dokumentieren. Sie bezeichnet sich als unabhängig. Die Informationen der Beobachtungsstelle lassen sich nicht unabhängig überprüfen.  

Weitere Berichte über Massaker in Latakia und Tartus

Um die am vergangenen Donnerstag ausgebrochenen Kämpfe zwischen Sicherheitskräften der Übergangsregierung und Anhängern des früheren Machthabers Baschar al-Assad war es nach Angaben der Syrischen Beobachtungsstelle für Menschenrechte zu Massakern an Angehörigen der religiösen Minderheit der Alawiten gekommen. Demnach töteten Sicherheitskräfte und ihre Verbündeten im Nordwesten des Landes 745 alawitische Zivilisten, darunter auch Kinder.

In der Küstenregion von Latakia und Tartus würden auch weiter Massaker an der Zivilbevölkerung verübt, bisher seien mindestens 865 Menschen von Dschihadisten getötet worden. Das sagten örtliche Informanten der österreichischen Nachrichtenagentur Kathpress. Unter den Opfern befinden sich demnach auch viele Frauen, Kinder und alte Menschen. Die tatsächliche Zahl der Getöteten dürfte den Berichten zufolge noch höher liegen. Bei den Tätern soll es sich vor allem um ausländische Dschihadisten aus den Reihen der sunnitischen Miliz Haiat Tahrir al-Scham (HTS) handeln.

Laut ARD-Korrespondentin Vera Rudolph gehören zehn Prozent der Bevölkerung zu den Alawiten. "Und wir hören, dass eben jetzt auch schon Menschen in den Libanon fliehen, ins Grenzgebiet."

Karte Syrien mit Damaskus und den Gouvernements Latakia, Tartus und Hama

Widersprüchliche Angaben über mögliche Täter

Die Zusammenstöße gelten als der größte Gewaltausbruch in Syrien, seit Assad Anfang Dezember vor Aufständischen nach Russland geflohen war. Die neuen Machthaber teilten mit, sie hätten auf Angriffe von Überresten der Assad-Truppen reagiert und machten "individuelle Aktionen" für die ausufernde Gewalt verantwortlich.

Auch der Auswärtige Dienst der EU teilte mit, "Pro-Assad-Elemente" hätten laut Berichten in syrischen Küstengebieten Angriffe auf Kräfte der Übergangsregierung verübt. Die Stellungnahme wurde online teils vehement kritisiert. Der niederländische Europaabgeordnete Sander Smit vom Mitte-Rechts-Bündnis EVP bezeichnete sie als eine "irreführende Aussage".

Laut anderen Berichten sind bewaffnete Unterstützer der Übergangsregierung verantwortlich. Sie sollen sich Befehlen aus Damaskus widersetzt haben. Das syrische Staatsfernsehen berichtete dagegen, Unbekannte hätten sich mit Uniformen der Regierungstruppen verkleidet und die Taten begangen, um einen Bürgerkrieg anzustiften. 

"Rachefeldzug" in der Region

ARD-Korrespondentin Rudolph sprach von einem Rachefeldzug in der Region "nicht nur gegen Menschen, die an den Kämpfen beteiligt gewesen sein sollen, sondern auch wirklich gegen Menschen, die keinerlei Verbindung zum Assad-Regime haben".

Assad hatte Syrien mehr als zwei Jahrzehnte regiert. Die neue Übergangsregierung unter Führung von al-Scharaa versucht seitdem, die Sicherheit im Land wiederherzustellen und die Wirtschaft zu stärken. Al-Scharaa versprach bei Amtsantritt, alle Gruppen in dem Land in einen Prozess der politischen Erneuerung einzubeziehen und Menschenrechte zu achten. Er hofft damit auf eine Aufhebung westlichen Sanktionen gegen sein Land.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete NDR Info am 09. März 2025 um 14:40 Uhr.