Nach Beschuss aus dem Libanon Steht auch Israels Norden vor dem Krieg?
Nach den jüngsten Angriffen der Hisbollah auf Israel ist Ministerpräsident Netanyahu unter Zugzwang. Doch wäre ein eventueller Krieg gegen die Schiiten-Miliz aus dem Libanon überhaupt zu gewinnen?
Neben den Einschlägen von Raketen, Granaten und Sprengladungen von Drohnen gibt es jetzt auch noch die Feuer im Norden. Am Montag hat es nach erneutem Beschuss auf Flächen von umgerechnet rund 1.000 Hektar gebrannt.
Benjamin Netanyahu, Israels Premierminister, der sich seit dem 7. Oktober noch nicht oft an der israelischen Grenze zum Libanon hat blicken lassen, war am Dienstag dort - auch um ein Versprechen zu erneuern: "Das Land stand hier in Flammen, aber auch im Libanon stand das Land in Flammen", so der Premier. "Wer glaubt, er könne uns schaden und denkt, wir würden dabei tatenlos zusehen, macht einen großen Fehler."
Man sei auf ein sehr intensives Vorgehen im Norden des Landes vorbereitet. "Auf die eine oder andere Weise werden wir die Sicherheit im Norden wiederherstellen."
Spekulationen über Einsatz mit Bodentruppen
Darüber, was "auf die eine oder andere Weise" bedeutet, rätseln Beobachter. Klar ist aber, dass der Handlungsdruck noch einmal zugenommen hat. Nicht nur, weil immer noch mehr als 90.000 Menschen im Norden Israels nicht in ihren Häusern wohnen und weil der Beschuss durch die Hisbollah aus dem Libanon in den vergangenen Wochen weiter zugenommen hat.
Auch die Zahl der Opfer steigt: Erst am Mittwoch waren bei einem Drohnenangriff auf den Ort Hurfesch elf Menschen verletzt worden, einer davon schwer.
Schon seit Wochen wird über einen israelischen Militäreinsatz Israels mit Bodentruppen im Libanon spekuliert, der das Ziel hätte, die Hisbollah von der Grenze zurückzudrängen. Schon jetzt greift Israel fast täglich Ziele im Libanon aus der Luft an. Auch dort sind Zehntausende Menschen geflohen.
Armeechef: Bereit für eine Offensive
Doch Herzi Halevi, Israels Generalstabschef, deutete bei seinem Truppenbesuch im Norden eine neue Phase an: "Wir nähern uns dem Punkt, an dem eine Entscheidung getroffen werden muss", sagt Halevi. Die Streitkräfte stünden bereit. "Seit acht Monaten greifen wir hier an, und die Hisbollah zahlt einen sehr hohen Preis."
Laut Halevi habe die Hisbollah in den vergangenen Tagen den Beschuss verstärkt. Man stehe nach guter Vorbereitungszeit bereit: "Starke Verteidigung, Bereitschaft für eine Offensive, wir nähern uns dem Moment einer Entscheidung."
"Zehnmal schwerer als Krieg gegen die Hamas"
Den Berichten zufolge trainiert Israels Armee schon seit Monaten für einen Einsatz von Bodentruppen im Libanon. Israelische Medien berichteten, die Regierung in Jerusalem werde eine Aufstockung der einberufenen Reservisten von 300.000 auf 350.000 Soldaten beschließen.
Doch es gibt auch Zweifel, ob eine Eskalation mit der Hisbollah überhaupt machbar ist: Yaakov Amidror, der mal Nationaler Sicherheitsberater der Regierung war, sagte im Fernsehsender KAN: "Ein Krieg gegen die Hisbollah wäre zehnmal schwerer als ein Krieg gegen die Hamas", sagte Amidror. "Sowohl was den Schaden für die israelische Zivilbevölkerung angeht, als auch mit Blick auf die militärischen Fähigkeiten." Es sei eine Illusion zu glauben, man könne nur einen kleinen Krieg führen, der die Hisbollah Richtung Norden zurückdränge. "Wenn der Krieg beginnt, dann wird es ein großer Krieg."
Und natürlich hängt das Geschehen im Norden auch mit dem weiteren Kriegsverlauf im Gazastreifen zusammen. Obwohl dort immer noch dutzende Geiseln in der Hand der Hamas sind, stehen die Zeiten nicht auf Waffenruhe.
Mehrheit erwartet Entscheidungen, wie es weitergeht
Auch Benny Gantz, der Teil des Kriegskabinetts ist, aber von Benjamin Netanyahu einen Plan für Gaza fordert, sieht beide Themen zusammen: "Die größte operative Herausforderung befindet sich an der Nordfront des Landes", so der Minister ohne Geschäftsbereich. "Und die größte moralische Herausforderung im Süden, im Gazastreifen."
Laut Gantz wäre es deshalb jetzt richtig, "am Rande des Krieges die Geiseln zurückzuholen und für die Rückkehr der Bürger des Nordens und ihre Sicherheit zu sorgen - und den Staat Israel wieder auf die Bahn zurückbringen".
Daran, dass Regierungschef Netanyahu das Land wieder auf die Bahn bringt, glaubt nur noch eine Minderheit der Israelis. Eine klare Mehrheit aber erwartet Entscheidungen, wie es weitergeht. Auch im Norden, an der Grenze zum Libanon.
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