
Israel nutzt Clans gegen Hamas "Was soll daran schlecht sein?"
Israel fördert lokale Milizen im Gazastreifen im Kampf gegen die Hamas. Regierungschef Netanjahu hat entsprechende Berichte bestätigt - teilt aber die Aufregung nicht. Vielmehr sei das Vorgehen völlig normal.
Avigdor Lieberman ist ein altgedienter Politiker in Israel vom Typ Bulldozer. Gerade ist er in der Opposition und hat es mit einer Veröffentlichung geschafft, die Regierung von Premier Benjamin Netanjahu in Schwierigkeiten zu bringen. Kritik am Krieg im Gazastreifen gibt es in Israel genug - aber das, was Lieberman gestern in einem Interview mit dem Fernsehsender Channel 12 gesagt hat, ist Sprengstoff:
"Plötzlich verteilt der Staat Israel Waffen an alle möglichen Banden. Sie erhalten Waffen vom Staat Israel. Das ist völliger Wahnsinn. So wie Netanjahu damals versuchte, gegen die Palästinensische Autonomiebehörde ein Gegenwicht mit der Hamas aufzubauen, baut er jetzt Milizen, die sich mit dem 'Islamischen Staat' identifizieren, als ein Gegengewicht zur Hamas im Gazastreifen auf."
"Das ist nur gut", findet Netanjahu
Lieberman erhob damit einen schwerwiegenden Vorwurf. Aber auch, was danach passierte, war eher ungewöhnlich: Benjamin Netanjahu tat nämlich so, als sei das, was Lieberman da gesagt hatte, völlig normal:
"Was hat er schon veröffentlicht? Dass Sicherheitsbehörden Clans in Gaza beauftragt haben, die sich gegen die Hamas stellen. Was soll daran schlecht sein? Das ist nur gut. Es rettet Leben israelischer Soldaten. Aber die Veröffentlichung dessen hilft ausschließlich der Hamas", schrieb Netanjahu auf der Plattform X.
Das, was da vom israelischen Regierungschef bestätigt wurde, ist keine Kleinigkeit: Denn während Israel im Gazastreifen gegen die Hamas und andere Terrororganisationen kämpft, kooperiert die Armee mit anderen Gruppen und stattet sie offenbar auch mit Waffen aus.
Miliz aus Kriminellen
Im Gazastreifen erreichen wir Ali Abu Hashim. Er will nicht viel über sich verraten, nur, dass er ein Aktivist ist. Offen spricht er mit dem ARD-Studio Tel Aviv aber über die Ziele Israels bei dieser Kooperation: "Die Israelis wollten, dass sich die Palästinenser selbst regieren. Entsprechend dem israelischen Wunsch sollen einige Milizen mit der Führung des Gazastreifens beauftragt werden. Heute gibt es Anzeichen dafür, dass eine Miliz im Süden des Gazastreifens gebildet wurde, die 100 bis 300 Menschen umfasst. Diese Miliz wird von Yasser Abu Shabab angeführt. Diese Miliz besteht aus einer Gruppe Krimineller. Und einige waren in Gefängnissen im Gazastreifen. Das ist ein gefährlicher Indikator für die nächste Phase."
Yasser Abu Shabab, der Milizenführer, ist Anfang 30. Er hat einen Facebook-Auftritt, dort gibt es Fotos von ihm mit schusssicherer Weste und einer Waffe in der Hand. Vor der Brust hängt lässig eine Sonnenbrille. Auch die Miliz, die er anführen soll, hat einen Auftritt in den sozialen Medien: Dort nennt sie sich Palestinian Popular Forces. Es gibt ein Logo und im Text palästinensisch-nationale Töne. Die Truppe soll in Abstimmung mit Israel im Süden des Gazastreifens operieren.
Mit Waffen aus Israel versorgt
Ein anonymer israelischer Offizieller sagte im Radiosender KAN, wie die Zusammenarbeit funktioniert. "Wir reden über eine militärische Einheit, die Anweisungen von hoher Stelle bekommt. Gangs in Gaza werden mit Waffen ausgestattet. Sie bekommen Anweisungen von Offizieren und vom Geheimdienst, die vor Ort begleiten."
Yasser Abu Shabab ist sicher kein Freund der Hamas. Es soll wegen Drogenschmuggels in Gaza im Gefängnis gesessen haben. Und es gibt Gerüchte, dass er und seine Miliz Verbindungen zum so genannten Islamischen Staat haben, auch eine Terrororganisation. Von sich selbst sagt die von Israel unterstütze Miliz, sie sichere die Hilfsgüter. Tatsächlich gibt es Vorwürfe, ihre bewaffneten Kämpfer hätten Lkw mit Hilfsgütern geplündert.
Verliert Hamas die Kontrolle?
Ali Abu Hashim, der Aktivist aus Gaza, erzählt, was möglicherweise dahintersteckt: "Die Hamas schafft es nicht mehr, den Gazastreifen zu kontrollieren. Dieses Chaos erstreckt sich ehrlich gesagt über das gesamte Gebiet. Es gibt Chaos und ein Vakuum. Es gibt niemanden, der die palästinensische Bevölkerung schützt. Heute schließt die Miliz dieses Vakuum. Das Zeichen ist klar: Die Hamas ist nicht in der Lage oder hat große Probleme, den Gazastreifen zu führen."
Israel jedenfalls scheint in der jetzigen Phase auf die Truppe zu setzen - und könnte dieses Modell auch in anderen Teilen des Gazastreifens nutzen. Kritiker sagen, damit setze Israel auf andere, sehr radikale Kräfte und das trage nicht zur Stabilität im Gazastreifen bei.