Jean-Noël Barrot

Nach israelischem Großangriff Frankreich beantragt UN-Dringlichkeitssitzung

Stand: 24.09.2024 09:31 Uhr

Der Auftakt der UN-Generaldebatte wird vom Krieg in Nahost überschattet. Aus Sorge vor einer weiteren Eskalation hat Frankreich eine Sondersitzung des UN-Sicherheitsrats beantragt. Die USA, China und die G7 mahnen zur Deeskalation.

Die französische Regierung hat wegen der Eskalation des Konflikts zwischen Israel und der libanesischen Hisbollah-Miliz eine Sondersitzung des UN-Sicherheitsrates beantragt.

"Als Reaktion auf die heutigen Angriffe im Libanon, denen Hunderte Menschen zum Opfer gefallen sind, habe ich eine Dringlichkeitssitzung des UN-Sicherheitsrats in dieser Woche beantragt", sagte Frankreichs neuer Außenminister Jean-Noël Barrot in New York. Er habe die Sitzung noch für diese Woche beantragt.

Angriffe auf beiden Seiten "sofort einstellen"

"Frankreich ruft die Parteien und diejenigen, die sie unterstützen, zur Deeskalation und zur Vermeidung eines regionalen Flächenbrandes auf, der für alle, angefangen bei der Zivilbevölkerung, verheerend wäre", sagte Barrot weiter.

"In diesem Moment denke ich an das libanesische Volk, während israelische Luftangriffe Hunderte von zivilen Opfern, darunter Dutzende von Kindern, gefordert haben", so Barrot. Die Angriffe "auf beiden Seiten" der UN-Demarkationslinie zwischen Israel und dem Libanon müssten "sofort eingestellt werden", forderte er.

Durch israelische Angriffe wurden gestern im Süden und Osten des Libanon laut Angaben der Regierung in Beirut etwa 500 Menschen getötet worden, darunter auch Kinder. Mehr als 1.600 Menschen wurden demnach verletzt. Die israelische Armee machte keine genauen Angaben zu Opferzahlen.

G7 warnt vor "unvorstellbaren Folgen"

Nach Einschätzung des EU-Außenbeauftragten Josep Borrell wächst die Gefahr, dass sich ein ausgewachsener Krieg entwickelt. "Wenn das keine Kriegssituation ist, weiß ich nicht, wie ich es sonst nennen soll", sagt Borrell vor Journalisten mit Verweis auf die hohe Zahl ziviler Opfer.

Auch die Außenminister der G7-Staaten warnten in einer gemeinsamen Erklärung am Rande der UN-Generalversammlung vor einer gefährlichen Eskalation der Lage. "Aktion und Reaktion drohen diese gefährliche Gewaltspirale zu verstärken und den gesamten Nahen Osten in einen größeren regionalen Konflikt mit unvorstellbaren Folgen zu ziehen", hieß es. Man rufe dazu auf, "den gegenwärtigen destruktiven Kreislauf zu stoppen". Kein Land werde von einer weiteren Eskalation im Nahen Osten profitieren. Die G7-Staaten appellierten an alle Beteiligten, zur Deeskalation beizutragen und eine friedliche Lösung anzustreben.

USA wollen Friedenslösung besprechen

Die USA riefen ebenfalls zu einer umgehenden Deeskalation in Nahost auf. Ein hochrangiger Vertreter des US-Außenministeriums sagte, die US-Regierung glaube nicht, dass das israelische Vorgehen gegenüber der Hisbollah zu der gewünschten Deeskalation führen werde. "Ich kann mich zumindest in der jüngeren Vergangenheit nicht daran erinnern, dass eine Eskalation oder Intensivierung zu einer grundlegenden Deeskalation und einer tiefgreifenden Stabilisierung der Situation geführt hätte", sagte der US-Vertreter.

Die Regierung in Washington habe konkrete Vorstellungen, wie ein größerer Krieg verhindert werden könne und suche nach einem Ausweg aus den Spannungen. "Wir haben einige konkrete Ideen, die wir in dieser Woche mit Verbündeten und Partnern besprechen werden, um herauszufinden, wie wir in dieser Angelegenheit vorankommen können", so der US-Vertreter.

China steht an der Seite des Libanon

Chinas Außenminister Wang Yi sagte dem Libanon seine Unterstützung zu. "Wir verfolgen die Entwicklungen in der Region aufmerksam, insbesondere die jüngste Explosion von Kommunikationsausrüstung im Libanon. Wir lehnen wahllose Angriffe auf Zivilisten entschieden ab", sagte er bei einem Treffen mit seinem libanesischen Amtskollegen Abdallah Bou Habib in New York. 

"Unabhängig davon, wie sich die Lage entwickelt, werden wir immer auf der Seite der Gerechtigkeit stehen, auf der Seite unserer arabischen Brüder, einschließlich des Libanon", bekräftigte Wang. Gewalt mit Gegengewalt zu begegnen, werde die Probleme im Nahen Osten nicht lösen und "zu einer noch größeren humanitären Katastrophe" führen, fügte er hinzu.

Türkei verurteilt israelische Angriffe

Auch das türkische Außenministerium verurteilte die jüngsten Angriffe Israels als "Bemühungen, die gesamte Region ins Chaos zu stürzen". In einer Erklärung forderte die Türkei den Sicherheitsrat der Vereinten Nationen und die internationale Gemeinschaft dazu auf, unverzüglich Maßnahmen zu ergreifen. Diejenigen Länder, die "Israel bedingungslos unterstützen", würden dem israelischen Premierminister Benjamin Netanyahu dabei helfen, "für seine politischen Interessen Blut zu vergießen".

Israel: 1.600 Ziele im Libanon angegriffen

Die israelische Armee hatte angegeben, bei den Angriffen eine große Zahl an Hisbollah-Mitgliedern getötet zu haben. "Unter den getöteten Personen sind eine große Zahl von Terroristen der Hisbollah, die sich in der Nähe der Waffen befanden, die wir angegriffen haben", sagte Armeesprecher Daniel Hagari. Weitere Menschen seien durch Explosionen von getroffenen Waffenlagern gestorben. Israel griff nach eigenen Angaben mehr als 1.600 Ziele an, um militärische Infrastruktur der proiranischen Schiitenmiliz Hisbollah zu zerstören. Unabhängig überprüfen lassen sich die ANgaben derzeit nicht.

Die Hisbollah, die im Libanon praktisch wie ein Staat im Staate agiert, reagierte ihrerseits mit heftigen Raketenangriffen auf israelisches Gebiet. Rund 250 Geschosse seien aus dem Libanon abgefeuert und teils von der Raketenabwehr abgefangen worden, teils in offenem Gelände eingeschlagen, teilte Israels Militär mit. Einige davon reichten nach Medienberichten deutlich tiefer in israelisches Gebiet hinein als je zuvor seit Beginn der Hisbollah-Angriffe.

Die libanesische Regierung warf Israel angesichts der Angriffe "einen Vernichtungskrieg in jedem Sinne des Wortes" vor. "Wir als Regierung arbeiten daran, diesen neuen Krieg Israels zu stoppen und einen Abstieg ins Unbekannte zu verhindern", sagte der geschäftsführende Ministerpräsident Nadschib Mikati. 

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete Deutschlandfunk am 24. September 2024 um 10:00 Uhr.