Eine Hand zeigt das zerstörte Pager- oder Funkrufgerät.
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Angriffe auf Hisbollah Die Spur der explosiven Pager

Stand: 20.09.2024 14:12 Uhr

Im Libanon sind Tausende Elektrogeräte der Terrormiliz Hisbollah explodiert. Dahinter könnte Israels Geheimdienst Mossad stecken. Wie kamen die Geräte zu den Islamisten? Eine Spurensuche führt von Taiwan nach Ungarn, Bulgarien und Norwegen.

Von Lea Busch, Florian Flade, Amir Musawy, Sebastian Pittelkow und Reiko Pinkert, NDR/WDR

Das beige Mehrfamilienhaus liegt im Stadteil Zugló im Nordosten von Budapest. In der Straße sind viele kleine Firmen ansässig, eine Autowerkstatt, ein kleines Hotel, eine Filmfirma. Doch auf einigen der Briefkästen in dieser Straße stehen auch Firmennamen, bei denen nicht so schnell klar ist, wer sich hinter der Fassade verbirgt.

So ist es auch an dem beigefarbenen Haus, für das sich derzeit Medien aus der ganzen Welt interessieren. Die meisten Fenster sind verhangen. Hinter dem Gartentor geht es ein paar Stufen hoch zu einer gläsernen Eingangstür. Darauf kleben Zettel mit Firmennamen, darunter "BAC Consulting". Dieses unscheinbare Unternehmen ist über Nacht Mittelpunkt eines Krimis geworden, der die Geheimdienste weltweit beschäftigt. 

Seitdem im Libanon am Dienstag zeitgleich Tausende Pager der Terrormiliz Hisbollah explodierten, wird gerätselt, wer für die koordinierte Aktion verantwortlich ist und wie die Elektrogeräte ihren Weg in die Hände der Islamisten fanden. Die Vermutung: Israels Geheimdienst Mossad könnte dahinter stecken. Aber wie genau wurden die Pager und Funkgeräte der Hisbollah in kleine Bomben verwandelt?

Lizenzvertrag mit taiwanesischem Hersteller

Die Spur der mit Sprengstoff präparierten Geräte führt in die kleine Straße im Nordosten in der ungarischen Hauptstadt, zur "BAC Consulting". Das Pager-Modell, dass die Hisbollah vor einigen Monaten als Kommunikationsmittel für ihre Kämpfer eingeführt hat, stammt eigentlich aus Taiwan. Die dortige Herstellerfirma Gold Apollo, ein kleines Unternehmen mit wenigen Dutzend Mitarbeitern, teilte aber umgehend mit, man habe die besagten Geräte nicht in den Libanon geliefert.

Vielmehr habe man mit dem Unternehmen "BAC Consulting" aus Ungarn vor einem Jahr einen Lizenzvertrag abgeschlossen, die Geschäftspartner hätten die Pager jedoch nach eigenem Design anfertigen wollen, allerdings weiterhin darauf bestanden, den taiwanesischen Herstellernamen zu verwenden. Abgewickelt wurde diese Kooperation wohl über die ungarische Firma BAC.

Die "BAC Consulting" wurde im Mai 2022 gegründet, laut Webseite gibt das Unternehmen "internationale Technologiekooperationen zwischen Ländern für den Verkauf von Telekommunikationsprodukten" als Dienstleistung an.

Die Firmenadresse aber ist wohl nicht viel mehr als ein Briefkasten, Menschen, die in dem Wohnhaus leben, berichten Reporterinnen und Reportern von NDR, WDR und Süddeutscher Zeitung, man habe die angebliche Firmen-Chefin hier nie gesehen. Andere Nachbarn erzählen, dass die Straße bekannt sei für "Briefkastenfirmen", unzählige Unternehmen seien hier registriert, die niemand wirklich kenne. Auch die mysteriöse Beratungsfirma sei bisher nicht aufgefallen.

Vielfältige Fähigkeiten

Die Geschäftsführerin der Firma soll Cristiana A.-B. sein. Fotos zeigen eine Frau mit schulterlangen dunkelblonden Haaren. Früher war sie offenbar Wissenschaftlerin im Bereich Klimaforschung und Wassermanagement. Schon im Jahr 2002 soll sie für die UNESCO tätig gewesen sein, auf einem Gruppenfoto aus dieser Zeit ist sie als junge Frau zu sehen. Private Social-Media-Accounts zeigen, A.-B. reist gerne, interessiert sich für Kunst, zeichnet und malt. 

Zwischen 2010 und 2011 war sie als Postdoktorandin in einem Uni-Labor in Frankreich tätig. Ein französischer Wissenschaftler, der gemeinsam mit ihr Fachartikel publiziert hat, bestätigt auf Anfrage von NDR und WDR, dass sie mit ihm anderthalb Jahre zu Entwaldung und Minderung des Co2-Ausstoßes geforscht hat. Sie habe fließend Französisch gesprochen. Er habe ein "professionelles Arbeitsverhältnis" zu der Frau gehabt, über ihr Privatleben wisse er nichts, teilt der Franzose mit.

Wohnung hastig verlassen?

Zu der Beratungsfirma, die nun aufgrund der explodierten Pager im Libanon im Fokus steht, gibt es eine weitere Adresse in Budapest: Ein Wohnhaus in der Innenstadt, daneben ein Eiscafé, unweit ein Tattoo & Piercing Studio. Es ist offenbar die Privatadresse von Cristiana A.-B., auf einem Briefkasten ist ein Zettel geklebt, darauf handschriftlich ihr Name, dazu die Abkürzung PhD, ein wissenschaftlicher Doktorgrad. Als Reporterinnen und Reporter von WDR und NDR klingeln, öffnet niemand die Tür.

Vor der Wohnung steht ein kleiner Koffer, alles sieht so aus, also ob, hier schnell vieles stehen und liegen gelassen wurde. Ein Besen lehnt an der Wand, auf dem Boden liegen leere Plastiktüten und Papiermüll. Die Nachbarn erzählen den Reportern, Cristiana A.-B. lebe tatsächlich hier. Am Mittwoch sei sie noch zuhause gewesen und habe einen sehr verstörten und gestressten Eindruck gemacht. Von außen sind Zeichnungen zu sehen, die denen auf dem Instagram-Profil von Cristiana A.-B. ähneln.

Journalisten des US-Fernsehsenders NBC erreichten A.-B. am Mittwoch per Telefon. Sie habe die Pager nicht hergestellt, sondern nur den Kauf vermittelt, soll A.-B. gesagt haben. Mit der Sache habe sie nichts zu tun. Inzwischen ist unter der Telefonnummer der Firma niemand mehr erreichbar.  

Nur eine Vermittlerfirma?

Die ungarische Regierung ließ inzwischen mitteilen, dass die explosiven Geräte nie in Ungarn gewesen seien. "Die Behörden haben bestätigt, dass die besagte Firma eine Vermittlerfirma ist, ohne Produktions- oder Operationsstelle in Ungarn", teilte der Zoltan Kovacs, Staatssekretär für Regierungskommunikation auf X (ehemals Twitter) mit. "Sie hat eine Managerin an der angegebenen Adresse registriert und die besagten Geräte waren nie in Ungarn."

Nach Informationen des ungarischen Mediums Telex soll das Geschäft mit den Pagern zwar über die "BAC Consulting" abgewickelt worden sein, allerdings soll der eigentliche Hersteller und Verkäufer nicht in Ungarn sitzen, sondern in Bulgarien. Das dortige Unternehmen "Norta Global" soll die Geräte in den Libanon verschifft haben.

Die Spur führt demnach weiter nach Sofia, zum Vitoscha-Boulevard. Hier im Zentrum der bulgarischen Hauptstadt befindet sich der angebliche Firmensitz von "Norta Global", in einem mehrstöckigen Haus. Hunderte Firmen sind auf diese Adresse angemeldet worden, es scheint ebenfalls eher eine Briefkasten-Adresse zu sein.

Unterlagen in Oslo unterzeichnet

Im März 2022 wurde "Norta Global" offiziell im bulgarischen Handelsregister eingetragen. Kurz darauf soll sich im bulgarischen Konsulat in Oslo ein Mann als Geschäftsführer vorgestellt und entsprechende Unterlagen unterzeichnet haben. Es handelt sich um den  Rinson J., einen offenbar ursprünglich aus Indien stammenden Mann, der in Norwegen wohnhaft ist und der wohl ein IT-Fachmann und Programmierer zu sein scheint. "Norta Global" und Rinson J. ließen Anfragen unbeantwortet.

Sind Cristiana A.-B. und Rinson J. möglicherweise nur Strohleute, die Briefkasten-Firmen für dubiose Geschäfte aufsetzen? Haben sie von dem Plan mit den präparierten Elektrogeräten für die Hisbollah vielleicht gar nichts gewusst?

Mysteriöse Geschäftsfrau

Taiwanesische Medien berichten inzwischen, dass der Kauf und die Lizenzproduktion der Pager offenbar von einer mysteriösen Geschäftsfrau namens "Teresa" eingefädelt worden sei. Die Frau habe schon vor einiger Zeit gemeinsam mit einem Mann namens "Tom" das Unternehmen Gold Apollo kontaktiert und das Geschäft mit den Elektrogeräten abgewickelt.

Das Paar soll dafür zunächst eine taiwanesische Adresse hinterlegt haben, dabei handelt es sich offenbar um ein Co-Working-Büro in Taipeh, das allerdings wohl nur für wenige Wochen angemietet worden war.

Um wen es sich bei "Teresa" und "Tom" handelt, ist bislang unklar. Das taiwanesische Fernsehen zeigte ein verpixeltes Foto einer Frau mit kurzen, braunen Haaren. Für den Pager-Produzenten Gold Apollo war der Kontakt zu der mysteriösen Frau wohl eine willkommene Gelegenheit nicht nur in Asien, sondern Geräte auch in Europa und dem Nahen Osten zu vermarkten. Offenbar ahnten sie nicht, dass sie somit Teil einer aufwendigen Operation des israelischen Geheimdienstes Mossad wurden.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete tagesschau24 am 20. September 2024 um 16:00 Uhr.