Passanten überqueren eine Straße in der iranischen Hauptstadt Teheran.
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Alltag im Iran "Ich habe eigentlich keine richtigen Gefühle mehr"

Stand: 03.01.2024 03:49 Uhr

Lethargisch, mit wenig Hoffnung auf zeitnahe Besserung. Das beschreibt die Stimmung vieler Menschen im Iran derzeit wohl am ehesten. Doch trotz drohender Repressalien geht hier und da der Protest weiter.

"Seit Wochen zieht die Polizei hier Frauen aus dem Verkehr, schau gerade schon wieder!", erzählt ein älterer Taxifahrer. Tatsächlich stehen in der Nähe gerade mehrere Autos aufgereiht nebeneinander, mitten auf einer belebten Straßenkreuzung im Norden Teherans, vor ihnen stehen drei Frauen. Die eine telefoniert und gestikuliert dabei wild mit den Händen.

"Sie schicken einem erst zwei, drei Ermahnungen per SMS, dass man beim Fahren ohne Kopftuch gesehen wurde, dann schlagen sie einfach zu und nehmen dir das Auto weg", erzählt der Mann, während er weiter die Frauen beobachtet.

Ein Beamter ist da gerade damit beschäftigt, eine weitere Fahrerin an die Seite zu winken. "Fahr einfach weiter! Steig nicht aus!", ruft da plötzlich eine andere Autofahrerin aus ihrem vorbeifahrenden Kleinwagen.

Die angehaltene Frau zuckt hilflos mit den Schultern und atmet sichtbar genervt aus, als der Polizist sich ihrem Fenster nähert. Der Rest geht im Teheraner Feierabendverkehr unter.

Nadelstiche, die mürbe machen

Szenen wie diese beschreiben den Alltag in der Islamischen Republik Iran ganz gut. Es sind kleine Nadelstiche, die den Menschen, vor allem den Frauen tagtäglich vom Staat versetzt werden, und die mürbe machen können.

Dennoch scheinen viele Frauen weiterhin bereit den Alltagsprotest, kein Kopftuch zu tragen, fortzuführen, trotz aller Repressalien und Strafen, die drohen können.

Hört man sich auf den Straßen um, dann ist die Stimmung im Land recht simpel in Worte zu fassen: lethargisch mit wenig Hoffnung auf zeitnahe Besserung. Das liegt mitunter auch an der wirtschaftlichen Situation.

"Jeder Tag eine neue Enttäuschung"

"Wissen Sie, ich habe eigentlich gar keine richtigen Gefühle mehr in mir, angesichts dieser schlechten Lage im Land", erklärt ein junger Gemüsehändler auf einem Markt im Südosten Teherans.

"Jeder Tag ist eine neue Enttäuschung für uns." Die Inflation liegt offiziell bei über 60 Prozent, aber offiziellen Zahlen glaubt hier kaum einer mehr. Viele schätzen sie weitaus höher ein.

"Die Preise sind so hoch, dass wir uns dieses Jahr noch kein Obst leisten konnten", berichtet eine Frau Mitte 50. "Keine Bananen, keine Kiwis, nicht mal Äpfel."

Dramatischer Währungsverfall

Zudem hat der iranische Rial, so die offizielle Währung, die schon vor Jahren auf Grund ihrer vielen Nullstellen, im Sprachgebrauch durch den Toman ersetzt wurde, mittlerweile so einen geringen Wert zum Dollar oder Euro, dass man auf Grund der millionenhohen Beträge quasi überall nur mit Karte zahlt, selbst beim Brotverkäufer auf der Straße oder beim Schuhputzer.

Karten funktionieren im Iran nur, wenn sie von einer inländischen Bank sind. International ist das Land weiterhin vom Bankensystem abgeschnitten, auf Grund der US-Sanktionen.

Das Regime macht die Sanktionen seit Jahren für die schlechte Wirtschaftslage verantwortlich. Viele Iraner glauben das längst nicht mehr.

Luxuskarossen im Nobelviertel

Die Mehrheit der politischen Machtelite lebt im Luxus: Teure Kleidung, schicke Möbel oder Luxuskarossen für 150.000 Euro aufwärts gibt es im Teheraner Nobelviertel Niavaran zu sehen.

In einem Autohaus blinken dort ein strahlend blaues Cabrio und eine weiße Limousine um die Wette. Beide Modelle sind von deutschen Autoherstellern, die gar mehr in den Iran liefern.

Doch über Drittländer und den Schwarzmarkt, den die mächtige Revolutionsgarde kontrolliert, schaffen es quasi so gut wie alle Produkte ins Land.

Während sich drinnen ein Verkäufer um den perfekten Glanz des Autolacks kümmert, fischt draußen auf dem Bürgersteig ein junger Mann Essensreste aus einer Mülltonne. Die Verarmung der iranischen Gesellschaft steigt.

"Soll besser der Schah zurückkommen"

Auf dem Markt im Teheraner Südosten ist die Wut auf die politische Führung deswegen groß. Ein Mann Mitte 30 wünscht sich gar alte Zeiten, wie er sagt, zurück.

"Die Mullahs müssen weg, soll besser der Schah zurückkommen. Wenn es eine Veränderung geben soll, müssen wir einen Regimewechsel fordern." Worte, die dem Mann gefährlich werden können. Wie jegliche Kritik am iranischen Regime generell.

Bekannter Rapper erneut verurteilt

Das bekam in den vergangenen Tagen erneut der bekannte Rapper Toomaj Salehi zu spüren. Auch er war im Zuge der Proteste vergangenes Jahr verhaftet - und erst diesen November freigelassen worden.

In einem Video sprach er anschließend öffentlich von Folter während seiner Zeit im Gefängnis. Daraufhin wurde er erneut festgenommen und nun, laut seinem Anwalt, wegen Propaganda gegen den Staat, zu einem Jahr Haft, Passentzug und diversen Umerziehungskursen verurteilt.

Laut UN zahlreiche Menschenrechtsverletzungen

Im Schatten des Nahost-Kriegs scheint das iranische Regime derzeit so einige interne Probleme lösen zu wollen, ohne dass die Weltöffentlichkeit davon Wind bekommt.

Seit Monaten berichten Aktivisten von einer zunehmenden Verfolgung der ohnehin unterdrückten Glaubensgemeinschaft der iranischen Bahai. Ein aktueller UN-Bericht spricht in diesem Zusammenhang von zahlreichen Menschenrechtsverletzungen, darunter "zunehmende Einschüchterung und Bedrohung, Verfolgung, willkürliche Festnahmen und Verhaftungen", sowie dem bewussten Schüren von Hass gegen Mitglieder der nicht-muslimischen Glaubensgemeinschaft.

Mehr als 700 Todesurteile allein in 2023

Auch zahlreiche Hinrichtungen gab es in den letzten Tagen, darunter laut Menschenrechtsaktivisten auch die eines kurdischen Oppositionellen.

Laut Amnesty International und anderen NGOs ist der Iran nach China das Land mit den meisten Hinrichtungen weltweit, 2023 sollen mehr als 700 Menschen durch das Todesurteil hingerichtet worden sein, meldet die in Norwegen ansässige Gruppe Iran Human Rights.

Sehnsucht nach Leichtigkeit

Ein Klima, das der Einschüchterung dient, sich gegen den Staat aufzulehnen, egal in welcher Form, darin sind sich Beobachter einig. Auf den Straßen Teherans ist diese Schwere, die ein solches Klima mit sich bringt, derzeit deutlich zu spüren.

Und auch, dass sich die Menschen nach etwas Leichtigkeit sehnen. Als eine junge Frau mit langen blonden Haaren und einer schwarzen Wollmütze plötzlich am Ausgang einer U-Bahn-Station ihre Violine auspackt und einfach anfängt zu musizieren, ruft ihr jemand zu: "Spiel Mädchen, spiel!"

Schnell bleiben Dutzende Menschen stehen und applaudieren der jungen Frau. Und tatsächlich liegt auf einmal ein wenig Leichtigkeit in der Luft: Ablenkung von all den Problemen im Land, zumindest für einen kurzen Moment.

Karin Senz, ARD Istanbul, tagesschau, 29.12.2023 13:16 Uhr

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete Deutschlandfunk am 02. Januar 2024 um 09:49 Uhr.