
Eskalation in Nahost "Israel hat die USA in den Konflikt hineingetrieben"
Mit dem Eingreifen der USA im Iran sieht die Konfliktforscherin Deitelhoff die Weltordnung und das Völkerrecht auf der Kippe. Israels Angriffe verstießen gegen das Gewaltverbot. Es sei ein Angriffskrieg, sagt sie bei tagesschau24.
tagesschau24: Welche Bedeutung hat dieser Angriff auf die Atomanlagen durch die USA?
Nicole Deitelhoff: Zunächst einmal haben sich die USA hiermit in einen Angriffskrieg Israels eingeschaltet. Das heißt, die US-Regierung ahmt das Verhalten Israels nach. Sie heißt es damit auch gut. Aber nach wie vor gilt: Wir haben es hier mit einem völkerrechtlich gesehen illegalen Krieg zu tun. Und das heißt, dass diese Spirale der Ignoranz gegenüber dem Völkerrecht sich weiter verschärft beziehungsweise weiter und schneller dreht.

tagesschau24: Wieso greifen die USA gerade jetzt ein?
Deitelhoff: Man muss andersherum fragen: Wieso greifen sie erst jetzt ein? Und da muss man zur israelischen Entscheidung zurückgehen, den Angriff auf den Iran zu beginnen. Das ist passiert, während die USA noch mit dem Iran in Verhandlungen über eine Begrenzung ihres Atomprogramms standen. Das heißt, dass Israel nach allem, was wir wissen, die USA düpiert haben.
Und in dem Moment, in dem Israel die USA darüber informiert hat, man werde angreifen, hat sich eine neue strategische Situation für die US-Regierung gestellt. Jetzt hieß es, entweder zuzuschauen und damit in Kauf zu nehmen, dass Israel vermutlich nicht erfolgreich sein würde, das iranische Nuklearprogramm zu stoppen, weil es gar nicht die Waffensysteme hat, um das zu tun. Die besitzen nur die USA. Das hieße, dass sich der Iran vermutlich noch weiter verhärten würde und sein nicht-ziviles Atomprogramm mit neuer Geschwindigkeit und Brutalität vorantreiben würde. Oder aber tatsächlich einzugreifen und sicherzustellen, dass Israels Angriff erfolgreich ist. In gewisser Weise hat Israel die USA in diesen Konflikt hineingetrieben.
In den USA ist dieser Angriff nicht beliebt
tagesschau24: Wie gefährlich kann der Einstieg der USA in diesen Konflikt für die gesamte Region, aber vielleicht sogar auch für die USA selbst werden?
Deitelhoff: In den USA ist dieser Angriff alles andere als beliebt. Vor allem in der Anhängerschaft von Präsident Donald Trump will man keine weiteren Konflikte riskieren. Man möchte nicht, dass sich die USA hineinziehen lassen. Und Trump musste sich gut überlegen, ob er tatsächlich so viele Anhänger verprellen wollte. Das hat er jetzt getan.
Gleichzeitig gibt es offensichtlich keinen Plan auf Seiten der USA. Wenn man sich Trumps Verlautbarungen ansieht, dann wirkt es ein wenig so, als denke er, dass mit diesem Angriff auf die drei Atomanlagen der Kriegseintritt der USA schon wieder erledigt sei. Das ist sehr unwahrscheinlich, denn wir müssen davon ausgehen, dass Iran in der einen oder anderen Weise reagieren wird.
Und dazu gehören Möglichkeiten wie der Angriff auf US-Militärbasen in der Region. Dazu gehören die proiranischen Milizen im Irak und die Huthi im Jemen. Also jede Menge Möglichkeiten, die USA direkt oder indirekt anzugreifen und damit weitere Militärschläge notwendig zu machen und eine weitere Eskalation in der gesamten Region zu riskieren.
tagesschau24: Der Iran zeigt sich nach außen hin stoisch: Man werde das Atomprogramm fortsetzen. Ist das nur Getöse eines geschwächten Regimes oder kann das auch weiter möglich sein?
Deitelhoff: Zum jetzigen Zeitpunkt können wir überhaupt nicht einschätzen, ob die Nuklearanreicherungsanlagen, die bombardiert worden sind, tatsächlich restlos zerstört worden sind. Das wird sich erst in der Zukunft zeigen. Wir wissen auch nicht, ob angereichertes Uran bereits aus Fordo fortgebracht wurde. Der Iran fährt seit mehreren Jahrzehnten sein Atomprogramm. Das heißt, er kann solche Anlagen auch wieder aufbauen. Er kann sich wieder auf den gleichen Pfad begeben. Um das iranische Atomprogramm zu beenden, brauchen wir ein verlässliches Abkommen.
Es ist ein Angriffskrieg
tagesschau24: Inwiefern ist dieser Angriff auf den Iran - sowohl durch Israel als auch durch die USA - ein Bruch mit dem Völkerrecht?
Deitelhoff: Es mag gute strategische und politische Gründe für diesen Krieg geben. Dass man nicht wollen kann, dass der Iran Atomwaffen besitzt und sie gegebenenfalls gegen Israel oder auch andere Staaten einsetzen könnte. Dementsprechend kann man sich solidarisch mit Israel zeigen. Man kann sogar Israel unterstützen in seinem Angriff. Aber man muss sich ganz klar sein: Der Angriff ist nichtsdestoweniger eine Verletzung des Gewaltverbots. Es ist ein Angriffskrieg, und der ist untersagt.
Und in dem Moment, in dem man das verschleiert und so tut, als wäre es legal, diesen Krieg zu führen, gibt man dauerhaft jedes Instrument aus der Hand, andere dafür kritisieren zu können, dass sie sich eventuell in Angriffskriegen engagieren. Man denke etwa an Russland in der Ukraine. Natürlich sind das unterschiedliche Situationen und unterschiedliche Gründe für diese Angriffskriege, aber beides sind Angriffskriege. Und in dem Moment, in dem wir das Recht nicht mehr für uns gelten lassen wollen, sondern nur noch für andere, wird es für niemanden mehr Geltung haben.
tagesschau24: Was würde das mittelfristig weltpolitisch bedeuten, wenn sogar die USA mittlerweile so offensichtlich das Völkerrecht verbiegen?
Deitelhoff: Man kann das gar nicht dramatisch genug sagen. Wir sind momentan in einer Phase, in der die Weltordnung und damit auch das Völkerrecht auf der Kippe steht. Weil wir erleben, dass immer weniger Staaten - und eben nicht nur kleine, unbedeutende, nicht nur irgendwelche Schurkenstaaten - sondern die großen und wichtigen Staaten beginnen, sich immer weniger an das Völkerrecht gebunden zu fühlen.
Das schafft eine Situation, in der das Völkerrecht von niemandem mehr Anerkennung erfährt, weil einfach klar ist, dass sich niemand daran halten muss. Damit kommen wir in eine Welt zurück, in der allein das Recht des Stärkeren von Bedeutung ist. Und man muss sich ganz klar machen: Europa und Deutschland gehören weltpolitisch nicht zu den Stärkeren. Wenn wir über Machtpolitik sprechen, sind wir die kleineren. Wir brauchen das Regelwerk der internationalen Ordnung, wir brauchen das Völkerrecht.
Das Interview führte Tim Berendonk, tagesschau24. Für die schriftliche Fassung wurde es leicht redigiert und gekürzt.