Erdbebenserie in Afghanistan "Alle, die drinnen waren, kamen ums Leben"
Afghanistan wird weiter von Erdbeben erschüttert. Gut eine Woche nach den Erdstößen, bei denen mehr als 1.000 Menschen starben, bebte es erneut in der Provinz Herat. Wieder gab es Tote und zahlreiche Verletzte.
Etwa eine Stunde nördlich der Stadt Herat. Das Beben am Sonntagmorgen war noch stärker als das der vergangenen Woche. Ein junger Mann will uns sein Dorf zeigen. Etwa zwanzig Minuten fahren wir ihm hinterher auf staubigen Straßen durch karge, hügelige Landschaft. Hilfe ist hier noch nicht angekommen.
Lal Mohammad ist der Geistliche im Dorf. An seinem Lehmhaus klafft ein großes Loch, Steinbrocken liegen herum. Seit dem ersten Erdbeben lebt er mit seiner Familie in einem provisorischen Zelt. Solche starken Erdstöße hat der 55-Jährige noch nie erlebt. "Wenn es möglich ist: Wir brauchen Zelte und Hilfe beim Wiederaufbau der Häuser. Wenn wir das bekommen, kriegen wir unser Leben zurück. Der Winter wird kalt." Sein Sohn Najib wirkt noch sehr verschreckt. Sie seien weggelaufen - in die Wüste, sagt er.
Vorräte unter den Trümmern
Auch andere Dorfbewohner wollen uns die Schäden zeigen. Einem Mann steht der Schock ins Gesicht geschrieben. Verzweifelt zeigt er auf das Haus mit dem großen Riss. "Mein Mehl und mein Weizenvorrat sind unter den Trümmern. Ich traue mich nicht hineinzugehen und sie herauszuholen."
Und auch seiner Nachbarin Saira merkt man an, dass sie das Erlebte loswerden will. Sie wollte gerade die Schafe aus dem Stall treiben, als die Erde wackelte. "Es ist kalt, es wird Winter. Meine Kinder schlafen im Zelt und werden krank. Es gibt keine Ärzte hier", klagt sie.
Beben ließen Lehmhäuser einstürzen
Eine halbe Autostunde entfernt, im Bezirk Zinda Jan. Hier war das erste Beben vor mehr als einer Woche am stärksten. Mehr als 13 Dörfer wurden komplett zerstört. Schon das erste Beben ließ die Lehmhäuser einstürzen, Tausende Menschen starben in den Trümmern.
Laut dem Sprecher des UN-Welternährungsprogramms in Afghanistan, Philippe Kropf, braucht es neben Hilfslieferungen auch psychologische Unterstützung. Viele Familien hätten gleich mehrere Angehörige verloren. Und er bekräftigt: Auch unter den Taliban funktioniere die humanitäre Arbeit. Er habe keinen Hinweis darauf, dass die Taliban im Weg stünden. Hilfe werde mit ihnen koordiniert.
Viele arbeiteten draußen, als die Erde bebte
Auch im nächsten Dorf steht nichts mehr. Überall Geröllhügel, dort wo einmal mehr als 130 Lehmhäuser standen. Eine private afghanische Stiftung verteilt gerade erste Pakete zum Überleben an fast 80 Familien: Mehl, Zwiebeln und Reis, Leuchtlampen, Solarzellen und einen Wasserkocher, den man mit Holz beheizen kann. Einige Hilfsorganisationen haben Zelte aufgestellt - wie die UN. Ein kleineres Zelt nutzt der Dorfälteste zum Beraten.
Draußen pfeift der Wind. Um ihn herum sitzen einige junge Taliban mit ihren schwarzen Turbanen. Die meisten Bewohner hier hätten Glück im Unglück gehabt, erzählt Haji Abdul Baqi, aber 17 Menschen seien gestorben. "Zum einen sind unsere Häuser und Höfe größer als in anderen Dörfern. Unsere Straßen sind breiter, und die Männer waren gerade mit der Arbeit an dem Bewässerungssystem beschäftigt, und die Frauen waren draußen zur Zwiebelernte. Alle, die drinnen waren, kamen ums Leben."
Angst vor weiteren Beben
So auch die fünf Angehörigen von Abul Amin. Er war gerade in der Stadt Herat, als die Erde bebte. Jetzt hofft er auf ein Nothilfelager für alle in der Stadt. "Unser Leben im Dorf ist sehr schwierig. Es gibt Stürme, Wind, Regen. Unser Leben im Zelt ist sehr elend, es gibt keine Toiletten. Wenn die Zeltwand Lärm macht, weinen die Kinder, weil sie denken, es ist ein weiteres Erdbeben."
Die ersten Hilfslieferungen sind angekommen in der Erdbebenregion, aber langfristig scheint es noch keine Strategie zu geben, wie den Menschen in der Provinz Herat geholfen werden kann.