Chinas Jugendarbeitslosigkeit Ein unaufhörlicher Wettbewerb
Wer viel lernt, bringt es weit: So lautete Chinas Aufstiegsversprechen früher. Nun gibt es viele hochgebildete Absolventen, aber kaum Karriereaussichten - viele junge Menschen sind arbeitslos. Wie gehen sie damit um?
Liu Ziheng ist 23 Jahre alt. Er hat Tourismus studiert. Ein halbes Jahr hat er vergeblich nach einem Job gesucht. Jetzt jobbt Ziheng in einem Laden, in dem sich junge Leute für Fantasy-Brettspiele treffen. Viel Geld verdient er allerdings nicht.
"Der Job bring nur das Allernötigste ein", meint Ziheng. Er wohnt in der Wohnung seiner Oma, daher kommt er auch mit wenig Geld über die Runden. Aber er macht sich Gedanken um seine Zukunft, denn er findet immer weniger ausgeschriebene Jobs. Laut offizieller Statistik ist die Jugendarbeitslosigkeit in Chinas Städten auf einem Rekordniveau von etwa 19 Prozent.
Li Zihengs Hoffnung ist, mit einem weiteren Studienabschluss seine Chancen zu verbessern. "Viele von uns wollen eigentlich nach dem Bachelor arbeiten gehen, aber weil es keine Arbeit gibt, studieren wir jetzt weiter'', erklärt er und beschreibt damit einen Trend.
Im gesellschaftlichen Bewusstsein ist verankert: Nur wer viel lernt, findet einen Job. Die Zahl derer etwa, die in China nach der Schule weiter studieren, ist in den vergangenen Jahrzehnten laut Daten der Weltbank stark gestiegen. Waren es 2010 noch nur 24 Prozent eines Jahrgangs, sind es derzeit 58 Prozent.
"Man strengt sich endlos an - ohne Sinn"
In China gebe es nun zu viele gut Ausgebildete für zu wenig gut angesehene Karrieren, meint Professor Xiang Biao. Unterbeschäftigung und Überqualifizierung sei derzeit ein Problem. Seit vergangenem Jahr forscht Xiang Biao am Max-Planck-Institut in Halle, sein Forschungsschwerpunkt ist Chinas Generation Z, also die zwischen 1997 und 2012 Geborenen.
Xiang Biao beschreibt deren Leben als einen Teufelskreis des Konkurrenzkampfes: China hat für ihr Lebensgefühl ein neues Wort erfunden, im Chinesischen sind es nur zwei Silben, wörtlich übersetzt heißt es in etwa "radikaler Ausbeutungs-Wettbewerb". "Man wird gezwungen, an einem Wettbewerb teilzunehmen, ein unaufhörlicher Wettbewerb", erklärt Xiang Biao. "Man strengt sich endlos an - ohne einen wirklichen Sinn."
Es gehe nicht ums Weiterkommen, sondern nur darum, nicht gegenüber den anderen zurückzufallen und unterzugehen - mit Folgen: "Klassenkameraden werden zu Rivalen, Freundschaften werden vom Wettbewerbsgefühl verseucht, viele fühlen sich einsam."
Liu Ziheng studiert weiter, obwohl er eigentlich längst ins Arbeitsleben starten wollte.
Angst, nicht Ehrgeiz als treibende Kraft
In den vorherigen Generationen habe es natürlich auch einen Wettbewerb gegeben. "Damals ging der Wettbewerb darum, wer die Nummer eins ist. Heute willst du vermeiden, das Schlusslicht zu sein und von allen realistischen Chancen auf ein gutes Leben ausgeschlossen zu werden", erklärt Xiang Biao. Angst und nicht Ehrgeiz sei jetzt die treibende Kraft.
Denn im Vergleich zu Deutschland gebe es in China nur ein sehr rudimentäres Sozialsystem. Außerdem bestehe - anders als in Deutschland - eine sehr uniforme Vorstellung darüber, was das Ziel im Leben ist. "Alle wollen das gleiche: an eine der Top-Universitäten und dann eine drei Schlafzimmer-Wohnung in einem guten Viertel in einer der Mega-Städte in China. Wenn du das erreichst, darfst du glücklich sein."
Je besser die Noten, desto besser die Berufschancen? Viele Chinesen sehen das heute noch so.
Nach dem Master noch einen Abschluss
Aus dem Lerndruck der jungen Erwachsenen hat sich ein Geschäftsmodell in Chinas Großstädten entwickelt. Ähnlich wie Co-Working-Büros gibt es nun auch stundenweise buchbare Schreibtische zum Lernen. Yu Zhenming brütet hier 20 Stunden die Woche über seinen Büchern. Er hat schon einen Masterabschluss in Zivilrecht, aber weil sein Job auf der Kippe steht, will er seine Chancen verbessern - mit einem weiteren Abschluss.
"Prüfungssysteme in China sind eines der wenigen Systeme, die fair sind", sagt er. Solange man genug Arbeit in das Lernen gesteckt habe, werde man auch entsprechend mit guten Noten belohnt. "Das ist direkter, einfacher und fairer als die meisten Dinge in unserem Leben, zum Beispiel die Arbeit.''
Die Generation Z kämpft mit der Angst, dass sie nicht die Weichen für ihr künftiges Leben stellen können. Jahrzehntelang gab das stetige Wachstum in China allen das Gefühl von Chance und Perspektive. Die derzeit düsteren Wirtschaftszahlen treffen die Jüngeren nun mit voller Wucht.