Nach Militäraktion Aserbaidschans 85.000 Menschen aus Bergkarabach geflohen
Sie sehen für sich keine Zukunft mehr in ihrer Heimat und verlassen zu Zehntausenden Bergkarabach: Das Auswärtige Amt rechnet damit, dass schon bald keine Armenier mehr in der Konfliktregion leben werden.
Nach Aserbaidschans Rückeroberung der Konfliktregion Bergkarabach im Südkaukasus haben bisher fast 85.000 Menschen Zuflucht in Armenien gesucht. Es handele sich um Menschen, die gezwungenermaßen ihre Heimat hätten verlassen müssen, teilte Regierungssprecherin Naseli Bagdassarjan in der armenischen Hauptstadt Eriwan mit.
Einst 120.000 Armenier in Bergkarabach
Nach offiziellen, nicht überprüfbaren Angaben lebten zuvor 120.000 Karabach-Armenier in der Region. Das autoritär regierte Aserbaidschan hatte in einer Militäroffensive in der vergangenen Woche die seit Jahrzehnten umkämpfte Region zurückerobert.
Die Führung der international nicht anerkannten Republik Arzach (Bergkarabach) hatte danach kapituliert und in dieser Woche auch die Selbstauflösung zum 1. Januar 2024 besiegelt.
"Kein Grund zur Flucht"
Die aserbaidschanische Regierung und auch Russland, das als Schutzmacht Armeniens gilt, hatten erklärt, dass es keinen Grund zur Flucht gebe. Allerdings befürchten die Karabach-Armenier Verfolgung und Gewalt durch Aserbaidschan.
In Eriwan warf Regierungschef Nikol Paschinjan dem Nachbarland bei einer Regierungssitzung "ethnische Säuberungen" vor. "Die Analyse der Situation zeigt, dass in den kommenden Tagen in Bergkarabach kein Armenier mehr sein wird", so Paschinjan.
"Keine Zukunft und Sicherheit mehr"
Auch aus Sicht des Auswärtige Amtes könnte Bergkarabach bald fast menschenleer sein. Aserbaidschan habe "trotz laufender Friedensverhandlungen mit Armenien auf die militärische Karte gesetzt und Tatsachen geschaffen", sagte Robin Wagener (Grüne), Koordinator für die Zusammenarbeit mit dem Südkaukasus gegenüber dem digitalen Medienhaus Table Media. "Viele Bewohner von Bergkarabach sehen keine Zukunft in Sicherheit mehr für sich in ihrer Heimat", so Wagener.
Außenministerin Annalena Baerbock arbeite zusammen mit Deutschlands Partnern daran, dass endlich Beobachter nach Bergkarabach entsendet werden könnten, sagte Wagener. Es sei gut, dass die Regierung Aserbaidschans signalisiert habe, dass UN-Mitarbeiter bald vor Ort über die Lage berichten könnten. Aserbaidschan sei zwar ein bedeutender Energiekorridor Richtung Europa. "Gleichzeitig müssen wir Baku aber klarmachen, dass eine weitere militärische Eskalation nicht folgenlos bleiben würde", betonte Wagener.
Jahrzehntelange Konflikte
In der Vergangenheit hatte es zwischen den christlichen Karabach-Armeniern und den muslimischen Aserbaidschanern immer wieder Konflikte gegeben. Nach armenischen Regierungsangaben wurde in der Nähe von Bergkarabach ein humanitäres Zentrum für die Flüchtlinge eingerichtet.
Der Menschenrechtsbeauftragte von Bergkarabach, Gegam Stepanjan, hatte mitgeteilt, dass bei den Kämpfen mindestens 200 Menschen getötet und etwa 400 verletzt worden seien. Auch die aserbaidschanische Seite hatte über Verluste in den eigenen Reihen berichtet.
Die Region ist seit Jahrzehnten zwischen den verfeindeten Ex-Sowjetrepubliken Aserbaidschan und Armenien umstritten. In den 1990er-Jahren konnte sich das auf aserbaidschanischem Gebiet liegende, aber mehrheitlich von Armeniern bewohnte Bergkarabach mithilfe Eriwans in einem blutigen Bürgerkrieg von Baku loslösen. Dem durch Öl- und Gaseinnahmen militärisch hochgerüsteten Aserbaidschan gelang 2020 eine Rückeroberung großer Teile Bergkarabachs. Ein von Russland vermittelter Waffenstillstand erwies sich als brüchig.