Wahl in Aserbaidschan Modern und autoritär
Lange profitierte Aserbaidschan vom Ölreichtum am Kaspischen Meer. Doch der Boom ist vorbei und die Führung sucht nach neuen Wegen, damit alles bleibt, wie es ist. Heute wird im Land gewählt.
Schon von Weitem zieht eine gigantische Baustelle an der Uferpromenade Bakus die Blicke auf sich. Umgeben von Kränen ragen auf einer künstlichen Insel zwei 100 Meter hohe Betontürme in den Himmel, verbunden durch eine 2600 Tonnen schwere Stahlkonstruktion. Zu erahnen ist eine Halbmondform aus Glas und Stahl, unter der ein ultra-luxuriöses Sechs-Sterne-Hotel entsteht, das den Vergleich zu prosperierenden Städten Asiens nicht scheuen soll.
Der aufgehende Halbmond ist ein Nationalsymbol Aserbaidschans. Zugleich versinnbildlicht der Gebäudekomplex den Reichtum, den das Öl an der Küste des Kaspischen Meeres dem Land bescherte. Er ist ein Projekt der Gilan Holding, an deren Spitze die beiden Söhne des Ministers für Katastrophenschutz, Kamaladdin Heydarov, stehen.
Das künftige Sechs-Sterne-Hotel am Ufer des Kaspischen Meers
Nicht weit entfernt ragen weitere Hochhäuser aus Glas und Stahl auf. Dort befindet sich der Sitz der Pasha Holding, die den Pashaevs gehört. Es ist die Familie von Mehriban Aliyeva, der Frau von Präsident Ilham Aliyev. 2017 kürte er sie zur Ersten Vizepräsidentin und stattete sie mit weitreichenden Vollmachten aus.
Die drei Familien sind Teil einer Machtstruktur aus Oligarchen, Clans und post-sowjetischen Eliten, die in den vergangenen Jahrzehnten den Zugang zum Reichtum des Landes kontrollierten. Doch der Ölboom neigt sich dem Ende zu. Das wurde 2015 deutlich, als sinkende Öleinnahmen eine Finanz- und Wirtschaftskrise auslösten. Die Landeswährung verlor massiv an Wert, die Wirtschaft fiel in die Rezession. Spätestens da wurde allen klar, dass der zu verteilende Kuchen nun kleiner wird.
Modernisierung von Oben
In die wachsende Unzufriedenheit hinein rief Präsident Aliyev die Nachölperiode aus und sprach von Reformen im Land, das er als Nachfolger seines Vaters seit 2003 autoritär regiert. In der Tat engte er nicht nur die Opposition weiter ein. Er entließ auch allzu korrupte Minister, den einst mächtigen Chef der Präsidialadministration und andere. An ihre Stelle traten junge Technokraten, die mit Bürokratie und Korruption aufräumen sollen.
Korruption war ein alltägliches und kostspieliges Ärgernis für die Bürger. Die Ausstellung eines Führerscheins dauerte Monate und erforderte immer neue Bestechungsgelder. Wohnungsbesitzer lebten lange in Unsicherheit, weil sie auf ihre Eigentumsbescheinigung warten mussten.
Das hat sich geändert. Inzwischen werden Führerscheine und andere Dokumente zügig in modernen Bürgerzentren ausgestellt. Es gibt eine transparente Gebührenordnung statt informeller Listen nötiger Bestechungsgelder. Die ASAN - auf aserbaidschanisch "einfach" - genannten Zentren ließ der Präsident von 2012 an einrichten.
Rente auf dem Smartphone
DOST heißt "Freund" und steht als Abkürzung für eine Agentur des Sozialministeriums, die sich um Renten, Arbeitslosengeld und andere Sozialhilfen kümmert. Das erste DOST-Center wurde 2019 in Baku eröffnet und könnte in keinem größeren Kontrast zu den alten Ämtern im Sowjetstil stehen. Die Glasfront lässt viel Licht auf die Sitzgelegenheiten und Schalter fallen. Die Kunden können auf Bildschirmen verfolgen, was die Bearbeiter in die Computer schreiben.
Ein DOST-Center im Zentrum Bakus - kein Vergleich mehr zu den Ämtern in Sowjettradition
DOST-Geschäftsführer Farid Mammadow denkt weit in die Zukunft. Die Eröffnung neuer Zentren im Land sei nur ein Übergangsschritt. Er wolle kein Geld in Beton stecken, sondern in die Fähigkeiten der Mitarbeiter und Computersysteme.
Spätestens wenn er alt sei, solle die Rente auf dem Smartphone abrufbar sein, sagt der Mittvierziger, der als Prozessmanager in internationalen Firmen arbeitete. Schon jetzt gibt es eine Website, auf der die Bürger ihre vom Staat bereitgestellten Dokumente und Daten einsehen und herunterladen können. An zahlreichen Automaten im Land können sie Gebühren aller Art bezahlen.
So froh die Bürger darüber sind, was inzwischen ohne Bürokratie und Korruption möglich ist, so wenig werden sie allerdings gefragt, wie die Modernisierung des Landes gestaltet werden soll. Mammadow berichtet von Misstrauen bei den Bürgern. Als eine Aufgabe beschreibt er die Erziehung der Bürger zu mehr Verständnis für Technik und Service.
Unprofitable Prestigeobjekte
Während im Gesundheitswesen Korruption noch an der Tagesordnung ist, unternahm das Bildungsministerium seit 2012 viel. Zumindest an einigen Spitzeneinrichtungen ist es möglich, Abschlüsse ohne Bestechung zu erlangen. Ohne reichlich fließendes Öl ist die Führung auf Einkommensquellen angewiesen, die aus neuen Wirtschaftszweigen entstehen. Dafür sind fähige Behördenmitarbeiter und kreative Unternehmer nötig.
Das Haus der Regierung symbolisiert noch den alten Stil aus Sowjetzeiten - nicht nur architektonisch, sondern auch in Bezug auf die Bürokratie hinter den Mauern.
In der Tat berichtete ein Gesprächspartner in Baku, dass junge Geschäftsleute mehr Freiraum spüren würden. Habe ein Unternehmen früher eine gewisse Größe erreicht, sei der Eigentümer üblicherweise unter Druck gesetzt worden, an eine der Oligarchen-Holdings zu verkaufen oder aufzugeben.
Der Gesprächspartner berichtete auch, dass Oligarchen wiederum ihre Firmen an die Pasha Holding der Familie von Vizepräsidentin Alijewa verkauften. Deren Manager seien es müde, Prestigeobjekte wie Luxus-Hotels auf Profitabilität trimmen zu sollen. Die Pasha Holding zählt neben der Gilan Holding der Familie des Katestrophenschutzministers zu den mächtigsten Unternehmen im Land.
Autokratie mit weiblichem Antlitz
Als Vizepräsidentin nimmt Alijewa an den Kabinettssitzungen teil. Ihr Team initiierte Anstöße zu Reformen. Aus dem Umfeld ihrer Familie kommen viele der jungen Technokraten. Auch in der Öffentlichkeit tritt sie häufiger auf. Sie verleiht der Führung ein frisches Image.
Vizepräsidentin Aliyeva brachte Reformen voran - aber auch eine politische Öffnung?
Die Frage ist, ob das Team um Alijewa auch eine Öffnung auf der politischen Ebene anstrebt und ob es gegenüber den alten Kräften die Macht dazu hätte. In der Hoffnung darauf traten viele Junge und Unabhängige als Kandidaten für die vorgezogene Parlamentswahl an.
Kaum jemand hat die Vorstellung, dass das tatsächliche Wahlergebnis den Ausschlag gibt. Aber zumindest rechnen sich Kandidaten wie der Politikexperte Bakhitiyar Hajiyev eine Chance aus, ein Mandat zugesprochen zu bekommen. Weniger optimistisch war der Oppositionspolitiker Ilgar Mammadov von der Partei REAL. Im Wahlkampf waren zwei seiner Mitstreiterinnen massiv unter Druck gesetzt worden. Er selbst ist noch gezeichnet von vier Jahren Haft.
Die jungen Menschen Aserbaidschans werden das Wahlergebnis als Zeichen verstehen, ob es der Führung um die Alijews nur um den Machterhalt oder auch das Land geht, wie modern und autokratisch Aserbaidschan sein soll - ob es ein Singapur am Kaspischen Meer wird.