Außenministerin im Südkaukasus Baerbocks Mission in Minenfeldern
Anderthalb Tage hat sich Außenministerin Baerbock Zeit genommen, um in Armenien und Aserbaidschan für Frieden zu werben. Sie trifft auf ein Land unter Schock und eine Siegermacht voller Vorwürfe.
70 Meter vor Außenministerin Annalena Baerbock türmt sich ein Erdwall. Am Hang ist im Schatten der morgendlichen Sonne ein Christuskreuz, gelegt aus weißen Steinen, zu erkennen. Hier endet Armenien. Dahinter beginnt Nachitschewan, eine Exklave des verfeindeten Nachbarn Aserbaidschans.
Einige hundert Meter weiter sind auf felsigen Anhöhen zwei Flaggen zu erkennen, ein aserbaidschanischer Militärposten zu erahnen. Von dort sei im Juni auf das Gebäude neben ihr geschossen worden, lässt sich Baerbock von EU-Beobachtern erklären. Sie ist umringt von ihren Mitarbeitern, von Journalisten und Sicherheitsleuten.
Schusswechsel und Minen
Die EU-Mission wurde vor einem Jahr in Armenien geschaffen, dies wesentlich auf Initiative Deutschlands. Den Leiter und die meisten Mitarbeitenden stellt die Bundesrepublik. Anlass war ein Vorstoß der aserbaidschanischen Streitkräfte auf armenisches Territorium im September 2022.
Wo eine Seite entlang des Grenzverlaufs einen Militärposten unterhält, verbirgt sich meist nicht weit entfernt ein Posten des Gegners.
Immer wieder komme es zu Schusswechseln, berichten die EU-Beobachter. Bauern bestellen ihre Felder an der häufig unklaren Grenzlinie in ständiger Angst vor Schüssen. Hinzu kommen Minen, die zum Schutz vor aserbaidschanischen Angriffen verlegt wurden, aber auch die eigene Bevölkerung bedrohen.
"Augen und Ohren" der EU
Aufgabe der unbewaffneten EU-Beobachter ist es, "Augen und Ohren" der EU zu sein. Und ihre Anwesenheit soll die Lage beruhigen, im besten Fall Aserbaidschan von einem neuen Großangriff wie 2022 abhalten. Was bislang fehlt, ist der Kontakt zur aserbaidschanischen Seite. Die Regierung in Baku hatte eine EU-Präsenz auf ihrer Seite abgelehnt. Auch eine Hotline gibt es bislang nicht.
Für eine solche direkte Verbindung für Zwischenfälle setzt sich Baerbock ein. In der EU wirbt Deutschland für eine weitere Aufstockung der Mission.
Wertepartner inmitten von Krisen
Fünf Wochen nach der Flucht von mehr als 100.000 Armeniern aus Bergkarabach ist die militärische Lage ruhig. Derzeit sei kein Aufmarsch aserbaidschanischer Truppen an den armenischen Grenzen zu erkennen, zitierten lokale Medien einen Abgeordneten vor der Ankunft Baerbocks in Jerewan.
Doch in Armenien traut man der Ruhe nicht. Noch unter dem Schock der jüngsten Ereignisse reift der Wille, wirtschaftlich und militärisch aufzuholen, um wenigstens den Preis für Angriffe so hoch zu treiben, dass Aserbaidschan langfristig davon absieht.
Doch solange ist Armenien auf internationale Unterstützung und Aufmerksamkeit angewiesen. Alleingelassen von seinem Verbündeten Russland wendet sich Armenien Europa zu und hofft da auch auf militärische Unterstützung.
Baerbock präsentierte Deutschland bei ihren Gesprächen mit Premier Nikol Paschinjan und Außenminister Ararat Mirsojan als ausgewogenen Makler für Frieden. Armenien nannte sie einen Wertepartner in einer geopolitisch schwierigen Lage. Bei einer Pressekonferenz sprach sie ihren Amtskollegen mit Du an.
Deutschland gebe noch einmal 9,3 Millionen Euro an humanitärer Hilfe, um die Ankömmlinge aus Bergkarabach zu unterstützen. Außerdem liefert Deutschland dringend benötigte Dinge wie Ultraschallgeräte und Operationsbesteck. Als einen Schritt für die Annäherung Armeniens an die EU nannte die Grünen-Politikerin eine schrittweise Visaliberalisierung.
Neutrale Position
Sie betonte aber auch, dass Deutschland und die EU an der Seite beider Länder, also Armeniens und Aserbaidschans, für eine Friedenslösung stünden, um die strittigen Fragen zu Grenzziehung, zur Öffnung von Transportrouten und zum Tausch Kriegsgefangener zu klären. Auf eine Frage zu möglichen Sanktionen gegen Aserbaidschan ging sie bei der Pressekonferenz nicht ein.
Baerbock präsentierte eine dezidiert andere Position als Frankreich, dessen Regierung gerade eine Militärkooperation mit Armenien inklusive Lieferung von Militärgerät zur Luftverteidigung geschlossen hat, das einen Verteidigungsattaché in Jerewan und einen Konsul in der armenischen Grenzregion Sjunik ernannt hat. Ein gemeinsamer Besuch mit Amtskollegin Catherine Colonna kam nicht in Frage, weil sie in Baku kaum empfangen worden wäre.
Baerbocks Konter
Doch auch der Empfang Baerbocks in der aserbaidschanischen Hauptstadt war kein ausgesprochen herzlicher. Während die Bilder Baerbocks mit Präsident Ilham Alijew für einen freundlichen Austausch sprachen, ging es beim Treffen mit ihrem Amtskollegen Dschejhun Bajramow offenbar zur Sache. Jedenfalls wirkte die anschließende Pressekonferenz im Saal des Außenministeriums wie die Fortsetzung eines hart geführten Gesprächs.
Baerbock mit ihrem aserbaidschanischen Amtskollegen Bajramow in Baku
Bajramow nannte es in seinem Eingangsstatement einen "sehr regen Meinungsaustausch". Er ließ es sich nicht nehmen, Baerbock nach ihren Worten zurecht zu weisen. Er kritisierte, dass sie für Orte in Bergkarabach den aserbaidschanischen, aber auch den armenischen Namen genannt hatte, womit sie die Souveränität Aserbaidschans missachtet habe. Die Ministerin konterte, dass sich Aserbaidschan doch zur Anerkennung von Minderheitenrechten bekenne und dies die Ortsnennung in der Sprache der Lokalbevölkerung einschließe.
Litanei an Vorwürfen
Geistesgegenwärtig antwortete Baerbock auf einen Vorwurf, den eine aserbaidschanische Fragerin vom Handy abgelesen hatte, dass sie anders als in Armenien keine aserbaidschanischen Vertriebenen besucht habe. Sie habe gerade einen Vertreter aus der Bevölkerung - der Zivilgesellschaft - gesprochen, der in Armenien geboren und Anfang der 1990er-Jahre mit seiner Familie vertrieben worden sei. Er habe sich ausdrücklich gewünscht, dass die Bevölkerung beider Staaten in Frieden zusammenkomme.
Vorwürfe eines aserbaidschanischen Journalisten, Deutschland wende gegenüber Aserbaidschan andere Maßstäbe an als gegenüber Israel und verbiete im eigenen Land pro-palästinensische Demonstrationen, konterte Baerbock engagiert mit Kurzlektionen in Völkerrecht und Demokratie.
Auch im Konflikt mit dem Nachbarn äußerte Bajramow vor allem Vorwürfe an Armenien, einer davon die Verseuchung weiter Landstriche mit Minen, die immer wieder zu Unfällen mit Schwerverletzten und Toten führen. Baerbock verkündete deutsche Unterstützung, konkret die Finanzierung der NGO "Mines Advisory Group" zur Minenbeseitigung in Aserbaidschan.
Kalte Machtpolitik
Zwischen all den Vorwürfen zeigte Bajramow Bereitschaft zum Dialog mit Armenien über das geplante Friedensabkommen. Er erwähnte ein Treffen mit seinem armenischen Amtskollegen kürzlich in Teheran. Es fand im Rahmen eines Formats mit Russland, Türkei und Iran statt - mit Armenien als junger Demokratie zwischen aggressiven Regionalmächten mit diktatorischen Führern.
Präsident Alijew hatte dabei durchblicken lassen, dass man die Konflikte der Region künftig unter sich klären könnte, ohne Beteiligung von EU-Staaten und der USA. Investitionen aus dem Westen würde Aserbaidschan allerdings begrüßen.
Krieg, Krisen - keine Küsse
So ist nicht ausgeschlossen, dass es nach zwei Absagen Alijews auch wieder zu Treffen unter Vermittlung der EU kommen wird. Zudem laufen im Hintergrund Gespräche der Konfliktparteien, was dafür spricht, dass ein Friedensabkommen in den nächsten Monaten realistisch ist.
So viel Klarheit der Kurztrip Baerbocks in den Südkaukasus über die Positionen der Konfliktparteien brachte, blieb eine Frage im Raum, die gerade für reges Interesse sorgt: Was es mit dem Kussversuch des kroatischen Außenministers Gordan Grlic Radman auf sich hatte? Baerbock sagte dazu in Baku: "Über Küssen haben wir uns heute nicht ausgetauscht."