Kolumbien Für Umweltschützer lebensgefährlich
Kolumbien ist eines der artenreichsten Länder der Welt. Doch die Menschen, die diese Natur schützen wollen, leben nirgendwo so gefährlich wie in dem diesjährigen Gastgeberland der UN-Weltnaturkonferenz.
Klein wie ein Moskito wirkt die Propellermaschine über diesem unermesslichen, wilden Grün. Unten erstreckt sich ein Teppich aus Baumkronen und Schattierungen, durch den sich nur ab und an Flüsse schlängeln, wie Anakondas. Dann tauchen am Horizont die Tepuis auf, die uralten, mythischen Tafelberge, die sich schroff aus dem dichten, feuchten Dschungel erheben. "Bewegend, nicht?", sagt Esperanza Leal und zeigt aus dem Fenster.
Ein Team von Wissenschaftlern überfliegt den Chiribiquete-Nationalpark in Kolumbien. Er werde auch das "Herz des Amazonas" bezeichnet, sagt Leal, denn dort träfen vier unterschiedliche Ökosysteme aufeinander: die Orinoco-Savanne, das Bergland von Guayana, die Anden und der Amazonas. "Diese große biologische Vielfalt hier in Kolumbien ist einzigartig."
Leal und ihr Team arbeiten daran, dass es auch so bleibt. Sie gehören zur Zoologischen Gesellschaft Frankfurt (ZGF). Die deutsche Naturschutzorganisation unterstützt Kolumbien dabei, den Chiribiquete zu schützen.
Mit einer Fläche ähnlich wie der der Niederlande ist er der größte Tropen-Nationalpark der Welt. Er reguliert das Klima, speichert Wasser und ist Lebensraum nicht nur für bedrohte Jaguare und Ameisenbären, sondern auch für unkontaktierte indigene Völker.
Schneisen in die Reservate
Doch dann, je näher sich das Team beim Überflug den Rändern nähert, tauchen die ersten Lichtungen im Dickicht auf. Deutlich sind die Schneisen zu erkennen.
"Eine illegale Straße, inmitten eines indigenen Reservates", erklärt Leal. Von oben ist deutlich das typische Fischgräten-Muster zu erkennen, das heißt, an beiden Seiten wurden bereits Schneisen in den Wald geschlagen. "Das da drüben sind Kokaplantagen, und da drüben Rinderweiden."
Rund 190 Kilometer illegale Straßen existieren heute im Schutzgebiet, das ergab das Monitoring per Überflug und Satellitenüberwachung der Zoologischen Gesellschaft, allein in diesem Jahr wurden 600 Hektar neue Flächen abgeholzt. Und rundherum noch viel mehr.
Wo bewaffnete Gruppen das Sagen haben
Doch wenn das bekannt ist: Warum tut der Staat nichts dagegen? Weil er hier keine Kontrolle habe, sagt Ranger Ricardo Erazo, der ebenfalls mit der ZGF arbeitet.
"Hier haben bewaffnete Gruppen das Sagen", sagt Erazo, "auch wenn die Straße ruhig wirkt, weißt du nie, wer hinter der nächsten Kurve wartet".
Die Region wird in erster Linie von Splittergruppen der ehemaligen Farc-Guerilla beherrscht, das heißt von Gruppen, die sich nicht am Friedensvertrag beteiligt haben, den die Regierung 2016 mit der damals größten Guerilla Kolumbiens geschlossen hat.
Oder Gruppen, die wieder ausgestiegen sind und nun neue Mitglieder rekrutiert haben.
Kein Zutritt für staatliche Vertreter
Doch auch andere bewaffnete Gruppen sind in der Amazonasregion aktiv.
"Sie forcieren die Erschließung von neuem Land, für Koka-Anbau, Viehzucht, um dann Schutzgeld zu erpressen", sagt Erazo. "Die staatliche Nationalpark-Behörde, mit der wir zusammenarbeiten, wird von ihnen bedroht, sie hat hier, sowie in einem Großteil des Amazonas, keinen Zutritt."
Gleiches gilt für viele NGO, selbst das Umweltministerium, wie später die Vize-Ministerin bestätigt. Der politische Wille zum Erhalt des Parkes ist da, es gibt Finanzierung, doch die Umsetzung ist komplex.
Denn Umweltschutz ist in Kolumbien lebensgefährlich. In keinem Land werden so viele Naturschützer ermordet. 79 waren es allein 2023.
Die Natur als Geisel
Die aktuelle Regierung des linken Präsidenten Gustavo Petro hatte sich zur Aufgabe gemacht, mit allen noch verbliebenen und neuen Guerilla-Gruppen erneut über Frieden zu verhandeln.
Doch die Gewalt, die Kämpfe um Territorien, Drogenrouten und um soziale Kontrolle, gehen weiter - und nicht nur die Zivilbevölkerung gerate zwischen die Fronten, sagt Umweltschützer Felipe Henao, sondern auch Kolumbiens einzigartige Naturschätze, wie der Amazonas.
Der 29-Jährige berichtet, dass die illegalen Gruppen über die Abholzung auch Druck auf die Regierung in den Verhandlungen ausübten. "Sie nehmen so auch Einfluss darauf, ob die Regierung ihren internationalen Verpflichtungen nachkommt."
Dahinter steckten mächtige Interessen und Mafias. "Umso mehr in einem Jahr, in dem hier die COP16, die Biodiversitätskonferenz stattfindet. Der Regenwald, der Amazonas ist auch ein Opfer des Konflikts."
Henao weiß, wovon er spricht. Er kommt selbst aus einer Familie ehemaliger Kokabauern und Rinderhirten, viele seiner ehemaligen Schulkameraden sind heute Mitglieder illegaler Banden.
Seine eigene Familie hat heute 600 Hektar ehemaliges Weideland wieder aufgeforstet. Dazu gründete Felipe die Gruppe "Wächter des Chiribiquete".
Die jungen Wächter des Chiribiquete
Insgesamt 600 Kinder und Jugendliche im ganzen Department Guaviare nehmen teil. Sie pflanzen Bäume, leisten Aufklärungsarbeit, geben Umwelterziehung an Schulen. Henao ist außerdem im Netz aktiv, als investigativ arbeitender Influencer klagt er Missstände, Landraub, illegale Machenschaften an.
Trotz aller Kritik blickt er mit Hoffnung auf die COP16, "Frieden mit der Natur“, ist das offizielle Motto: "Das wird die COP der Zivilgesellschaft. Wir sind unglaublich viele, die sich einsetzen. Was wir brauchen, ist mehr internationale Unterstützung dabei, dass die Gesetze und Abmachungen, die es in Kolumbien gibt, auch eingehalten und umgesetzt werden."
Dann steigt er, gemeinsam mit zwei Bodyguards, in sein gepanzertes Auto, zieht sich eine schusssichere Weste über. 2018 wurde er entführt, seitdem erhält er immer wieder Drohungen.
Aus seiner Heimatstadt Calamar musste er fliehen, lebt mit permanentem Personenschutz. Es ist ein hoher Preis, den Naturschützer in Kolumbien zahlen.