Biodiversitätskonferenz Warum von biologischer Vielfalt alle profitieren
In Kolumbien startet eine weitere internationale Konferenz zur Biodiversität. Der Wissenschaftler Thomas Hickler erklärt, warum eine Vielfalt an biologischen Arten auch gegen den Klimawandel nützen kann.
tageschau.de: Herr Hickler, warum ist Biodiversität so wichtig?
Thomas Hickler: Die biologische Vielfalt wird heutzutage in der Forschung sehr breit definiert. Es geht um die Vielfalt der Gene, der Arten, aber auch ganzer Ökosysteme. Und damit ist sie einfach unsere Lebensgrundlage. Es gibt Schätzungen dazu, was der rein ökonomische Wert aller Ökosystemdienstleistungen für unsere Gesellschaft ist. Und diese deuten darauf hin, dass die globalen Ökodienstleistungen, die für unsere klassische Wirtschaft unsichtbar sind, mehr wert sind als die gesamte globale Wirtschaftsleistung, also die Summe des Bruttonationalprodukts von allen Staaten der Welt.
Da geht es um Dinge wie positive Effekte des Waldes auf die Luftqualität, auf die Wasserqualität, oder wie Mangroven auch vor Sturmfluten oder Tsunamis schützen können, also wichtige Ökosystemdienstleistungen oder Funktionen, die in unserem Wirtschaftssystem unsichtbar sind.
Thomas Hickler ist Professor für Quantitative Biogeograpie an der Goethe-Universität in Frankfurt am Main. In seiner Forschung am Senckenberg-Institut geht es darum, wie Ökosysteme funktionieren, wie beispielsweise der Wald wächst, wie er CO2 und Kohlendioxid aus der Atmosphäre aufnimmt oder auch, wie die genetische Vielfalt der Baumarten den Wald stabiler gegenüber dem Klimawandel macht.
Artenvielfalt bedeutet Risikostreuung
tagesschau.de: Und warum sollte man Biodiversität und Klimawandel zusammen betrachten?
Hickler: Wir können den Klimawandel nicht hundertprozentig voraussagen. Wir können sagen, es wird wärmer. Aber zum Beispiel: Wenn es um die Niederschläge geht, gibt es große Unsicherheiten. Die biologische Vielfalt ist eine Art Versicherung, eine Art Risikostreuung in Zeiten des Klimawandels. Das heißt, sie wird jetzt eigentlich noch wichtiger, als sie für uns vorher war. Und wir wissen auch, dass diverse Ökosysteme, also beispielsweise Wälder mit mehr Baumarten und auch mehr genetischer Vielfalt, in Zeiten starken Klimawandels stabiler sein können.
tagesschau.de: Bei der vergangenen Biodiversitätskonferenz in Montreal 2022 haben sich die Teilnehmerinnen und Teilnehmer 23 große Ziele gesetzt. Was wurde davon in den vergangenen zwei Jahren schon umgesetzt?
Hickler: Diese Ziele waren sehr, sehr ambitioniert. Tatsächlich kann man gar nicht sagen, was davon jetzt schon umgesetzt wurde, denn der nächste Schritt ist, überhaupt erst mal ein gutes Monitoringsystem zu entwickeln. Es wurde vereinbart, dass alle Staaten Strategien entwickeln, - wie bei uns die Biodiversitätsstrategie in Deutschland - mit Maßnahmen, um den Zustand der biologischen Vielfalt zu verbessern, um das Artensterben aufzuhalten. Diese Berichte sollen auch an die Vereinten Nationen geschickt werden. Aber das haben die meisten Länder noch gar nicht getan.
Ein Beispiel für eines der Ziele wäre, dass man 30 Prozent der Land- und Meeresfläche unter Schutz stellen möchte. Aber jetzt ist der nächste wichtige Schritt, wie man das überhaupt erfasst, wie weit man ist. Ein anderes Beispiel ist, dass man umweltschädliche Subventionen verringern möchte, und zwar in einem Maß von 500 Milliarden US-Dollar pro Jahr.
Größtes Massensterben seit den Dinosauriern
tagesschau.de: Warum steckt man sich so ehrgeizige Ziele, wenn doch die Wahrscheinlichkeit, sie schnell umzusetzen so gering sind?
Hickler: Ich würde gar nicht sagen, dass die Wahrscheinlichkeit so gering ist. Wir wissen, dass der wichtigste Faktor für den Verlust an Vielfalt unsere Landnutzung ist und dass wir die teilweise tatsächlich nicht klug gestalten. Ich würde sogar sagen, dass wir das Biodiversitätsproblem eher bewältigen können als die Herausforderungen mit dem Klimawandel.
Wir müssen beides angehen, aber bei der biologischen Vielfalt ist es eventuell sogar einfacher. Und wir wissen, dass gezielte Naturschutzmaßnahmen oft sehr erfolgreich sein können. Bei uns hat sich zum Beispiel die Situation von Adlern oder größeren Greifvögeln oder Arten wie der Wildkatze deutlich verbessert. Und diese Ziele sind natürlich so ehrgeizig, weil die Situation einfach so ernst ist. Wir verlieren in einer unglaublichen Geschwindigkeit Artenvielfalt. So ein Massensterben wie jetzt gerade hat es - geologisch betrachtet - nicht gegeben, seitdem die Dinosaurier ausgestorben sind.
Große Probleme durch invasive Arten
tagesschau.de: Immer wieder fällt auch das Stichwort invasive Arten. Welche Rolle spielen die beim Thema Biodiversität?
Hickler: Invasive Arten sind tatsächlich ein sehr, sehr wichtiger, treibender Faktor, weil sich die Biodiversität ja historisch auf verschiedenen Kontinenten entwickelt hat, die voneinander getrennt waren oder auf Inseln. Und wenn man diese Grenzen einreißt, indem wir über den Handel Arten über die ganze Welt verbreiten, dann ist oft die heimische Tier- und Pflanzenwelt nicht angepasst, mit diesen Arten umzugehen.
Das klassische Beispiel ist, dass fast alle flugunfähigen Vögel auf Inseln ausgestorben sind, als da eben Seeleute hinkamen mit Ratten oder Katzen und so weiter. Aber auch bei uns gibt es eben viele Arten, die dann sehr, sehr dominant werden können, weil sie von woanders herkommen und auch in dem neuen Ökosystem erst mal kaum Feinde haben. Ja, und das führt tatsächlich zu zu erheblichen Problemen.
Was der Mensch machen kann
tagesschau.de: Was können Menschen machen, um Artenvielfalt zu fördern? Gibt es da überhaupt Möglichkeiten? Oder ist man da ein zu kleines Licht?
Hickler: Doch da gibt es auf jeden Fall Möglichkeiten. Der größte Hebel ist, wie gesagt, der Landnutzungswandel. Das heißt, es spielt eine Rolle, was wir essen und trinken. Das heißt, es kann von Vorteil sein, lokale Lebensmittel zu konsumieren. Tatsächlich ist der Fleischkonsum schon auch ein großer Hebel. Etwa ein Drittel der globalen Ackerfläche wird für Futtermittel benutzt. Dazu kommen riesige Weideflächen für die Fleischproduktion. Das heißt, der Landbedarf wird geringer, wenn wir uns mehr von Gemüse ernähren und weniger von Fleisch. Das ist übrigens ein viel größerer Hebel als das Bevölkerungswachstum.
Das Gespräch führte Bernd Großheim. Es wurde für die schriftliche Version gekürzt und redigiert.