Chauvin-Prozess in den USA Die Anwälte haben das Wort
In Minneapolis geht das Verfahren gegen den ehemaligen Polizisten Derek Chauvin wegen des Todes von George Floyd in die entscheidende Phase: Die Schlussplädoyers von Staatsanwaltschaft und Verteidigung stehen an.
"Keine Waffen für Polizisten in diesem rassistischen System", rufen die Demonstranten an diesem Wochenende in Brooklyn Center, einem Vorort von Minneapolis. Der Tod von Daunte Wright treibt sie seit einer Woche täglich auf die Straße. Eine Polizistin hatte ihn erschossen. Angeblich aus Versehen. Aber es geht natürlich auch um den Prozess gegen Derek Chauvin, der keine zehn Meilen weiter, im hoch gesicherten Gerichtsgebäude heute auf die Zielgerade geht.
Maxine Waters, schwarze Bürgerrechtsveteranin und Kongressabgeordnete aus Kalifornien ist extra für das Prozessende angereist - und hat wie die meisten hier eine ganz klare Erwartung: Derek Chauvin, der weiße Polizist, unter anderem angeklagt wegen Mord zweiten Grades (im deutschen Recht entspricht das am ehesten Totschlag) soll schuldig gesprochen werden. Und wenn nicht, droht Waters dann noch, dann müsse weiter demonstriert werden - noch aktiver, noch konfrontativer. "Damit sie verstehen, dass wir es ernst meinen."
Ex-Kollegen belasten Chauvin
Aber erst haben heute noch einmal die Anwälte das Wort. Die Staatsanwaltschaft hat in den vergangenen drei Wochen 38 Zeugen aufgerufen und dutzende Videoaufnahmen gezeigt, darunter auch der Handy-Film einer 17-Jährigen, der die letzten qualvollen Minuten bis zum Tod von George Floyd zeigt und um die Welt ging.
Augenzeugen beschrieben unter Tränen, wie sie Chauvin vergeblich drängten, doch endlich sein Knie vom Hals von George Floyd zu nehmen. Gleich vier medizinische Experten erklärten, dass Floyd an Sauerstoff-Mangel gestorben sei. Verursacht durch über 40 Kilo Druck direkt auf seinen Nacken und Hals, so der Lungenspezialist Martin Tobin.
Noch belastender für Chauvin, der im Prozess die Aussage verweigerte: Mehrere seiner Ex-Kollegen und sogar der Polizeichef von Minneapolis sagten gegen den 44-Jährigen aus. Sein Verhalten entspreche weder dem Training noch den ethischen Werten der Polizei. Auch das macht diesen Prozess so ungewöhnlich, sagt Mark Olser, früher Staatsanwalt, heute Juraprofessor an der University of St. Thomas in Minnesota im Web-TV seiner Uni: "Manchmal ist die Rede von der blauen Mauer des Schweigens, also der Widerwille anderer Polizisten gegen ihre eigenen Leute auszusagen. Und es ist wirklich bemerkenswert, wie eindeutig und klar Chauvin in diesem Prozess von seinen eigenen Kollegen, aus der eigenen Behörde verdammt wurde."
"Geschworene sind unberechenbar"
Chauvins Verteidigung beschränkte sich auf sieben Experten - die erklärten, Floyd sei möglicherweise an Vorerkrankungen, an den Drogen in seinem Blut oder gar an einer Kohlenmonoxid-Vergiftung durch Autoabgase gestorben. Überzeugend war das nicht, findet Rechtsexperte Bakari Sellers bei "CNN". Und warnt trotzdem: "Geschworene sind unberechenbar. Und die Frage ist, ob die Verteidigung es geschafft hat, genügend Durcheinander und Zweifel an der Schuld des Angeklagten zu säen."
In den US-Medien wird vor allem darüber diskutiert, was in Minneapolis und anderswo passiert, wenn die zwölfköpfige Jury Chauvin nicht schuldig sprechen sollte. Die Anspannung im Land sei groß, sagt Tolouse Olorunnipa von der Washington Post, ebenfalls bei "CNN": "Es könnte ein Pulverfass werden, wenn dieses Urteil nicht so ausgeht, wie sich das viele Aktivisten vorstellen. Dann könnten wir wieder solche Proteste erleben wie nach dem Tod von George Floyd."
Der Druck auf die Geschworenen ist enorm. Das Wochenende durften sie noch zuhause verbringen. Mit der Auflage, keine Medien zu konsumieren. Nach den Plädoyers werden sie von der Außenwelt komplett abgeschirmt. Bis sie ein einstimmiges Urteil gefällt haben - oder, wenn ihnen das nicht gelingt - der Prozess am Ende platzt.