Wolodymyr Selenskyj und Donald Trump

100 Tage Außenpolitik unter Trump "Der Wahnsinn hat Methode"

Stand: 30.04.2025 14:29 Uhr

Zölle gegen fast alle, Expansionsdrohungen, Vertreibungsfantasien für Gaza, der Eklat mit Selenskyj im Oval Office: Trumps Außenpolitik war bislang turbulent - und nicht so erfolgreich wie versprochen.

Aaron David Miller hat schon viele US-Präsidenten kommen und gehen sehen. Jahrzehntelang arbeitete der Politologe als Berater im US-State Department. Aber die vergangenen 100 Tage lassen den Senior Fellow von der Denkfabrik Carnegie Endowment for International Peace nach Worten ringen: "Ich habe für die Regierungen von Jimmy Carter bis zum zweiten Bush gearbeitet", sagt der mittlerweile 84-Jährige im ARD-Interview. "Aber so etwas habe ich noch nicht erlebt."

Egal ob es um die Ukraine, den Nahen Osten, den Handelskrieg mit China und Europa oder den Umgang mit Nachbarn wie Mexiko und Kanada geht: Trump habe die bislang geltende - und von seinen Vorgängern respektierte - regelbasierte Nachkriegsordnung quasi aufgekündigt.  

Ego, Nationalismus und Deals

"Die meisten US-Regierungen glaubten an Amerikas Führungsrolle. Sie glaubten an die Relevanz und an den Wert internationaler Institutionen. Allianzen waren ihnen wichtig, auch wenn es schwierig war. Und multilaterale Diplomatie", so Miller. Trump dagegen "hat noch nicht mal eine klare Vorstellung davon, was in Amerikas nationalem Interesse ist".

Stattdessen sei der MAGA-Republikaner getrieben von seinen politischen Bedürfnissen, seinen finanziellen Interessen und seinen "grievances", also seinem verletzten Ego. Der Präsident und seine Leuten "wollen Institutionen kaputt machen, zu Hause und in aller Welt", sagt Miller. "Und wenn es eine Ideologie gibt, dann ist es die eines hyper-bösen Amerika zuerst. Ein nationalistischer Ansatz, in dem es um Transaktionen geht, um Deals. Nach dem Motto: Dein Verlust ist mein Gewinn."

Das Recht des Stärkeren

So chaotisch, unberechenbar und emotional Trumps Agieren auf internationaler Bühne auf manche Beobachter wirken mag: "Der Wahnsinn hat Methode", sagt Alison McManus von der linksliberalen Denkfabrik Center for American Progress. "Trump hat im Wahlkampf versprochen, dass er Amerika wieder großartig machen will. Und für ihn heißt das: Amerika übt unilateral und mit Zwang seine Macht aus. Es geht darum, Freunde und Feinde zu schikanieren, bis sie sich unterwerfen. Das ist das Leitmotiv."

Aber dieser Ansatz, glaubt McManus, ist zum Scheitern verurteilt. Ein Beispiel ist für die Politologin der Krieg gegen die Ukraine. Niemand habe ernsthaft geglaubt, dass Trump diesen binnen eines Tages beenden könnte. Aber das Hauptproblem sei, wie Trump Frieden definiert: "Es ist ein Frieden nach Russlands Vorstellungen - ohne Sicherheitsgarantien für die Ukraine. Also nur ein Waffenstillstand, der es Russland erlaubt, sich neu aufzustellen und gestärkt zurückzukommen."  

Erfolge, die keine sind?

An Trumps Drohung, sich ganz aus den Verhandlungen zurückzuziehen, wenn es nicht bald eine Einigung gibt, glaubt McManus nicht. "Es ist recht wahrscheinlich, dass Trump bald irgendeine Art von Deal verkündet. Etwas, das ihm erlaubt, den Erfolg für sich zu reklamieren, ohne dass tatsächlich etwas erreicht wurde." Ganz ähnlich sei es schließlich bislang auch im Nahost-Konflikt gelaufen: Auch dort konnte Trump eine Einigung zwischen Israel und der Hamas verkünden, die nicht lange hielt.  

So groß die Sorge bei Experten wie McManus und Miller, so groß die Freude über Trumps erste 100 Tage bei der ultrakonservativen Heritage Foundation. Die Denkfabrik koordinierte das sogenannte "Project 2025", in dem die jetzt im Eiltempo umgesetzten politischen Vorhaben entwickelt wurden. Die Stiftung feiert auf ihrer Webseite die bislang erzielten Erfolge. Etwa den Rohstoff-Vertrag mit der Ukraine. Der aber wurde bislang nicht unterzeichnet. Stattdessen warf Trump Präsident Wolodymyr Selenskyj aus dem Oval Office.

Wie groß wird der Schaden?

Auch der personelle Kahlschlag und die geplante Komplettschließung der Entwicklungshilfebehörde USAID wird von den Konservativen als Erfolg gepriesen. Geldverschwendung und viel zu "woke" sei die Behörde gewesen. McManus sieht das ganz anders: Das Ende von USAID schade Amerikas Ansehen in der Welt massiv: "Viele unserer Partner waren von diesen Programmen abhängig. Und nach einigen Schätzungen sterben jetzt täglich Tausende Menschen weltweit, wegen dieser 180-Grad-Wendung."

Trumps Außenpolitik werde auch den Amerikanern selbst direkt schaden, glaubt McManus. Wenn etwa durch die hohen Zölle die Preise für Verbraucher steigen. Dass Trump den Handelskrieg mit China gewinnen wird, glaubt auch Berater Miller nicht: "Er hat Präsident Xi völlig unterschätzt. Es wird ein langer Kampf. Und weil Trump schon in einigen Punkten nachgegeben hat, glaube ich, dass er als erster blinzeln wird."

Warnung an die Europäer

Für den Rest von Trumps Amtszeit hat der Außenpolitik-Berater Miller folgenden Rat für die Europäer: "Nie die Szene im Oval Office mit Trump, Vance und Selenskyj vergessen. Wenn Trump etwas will, und ihm jemand dabei in die Quere kommt, dann hämmert und pulverisiert er ihn. Das muss man wissen. Und einen Weg finden, damit umzugehen."

Julia Kastein, ARD Washington, tagesschau, 30.04.2025 09:51 Uhr

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete Deutschlandfunk am 30. April 2025 um 08:15 Uhr.