Luiz Inácio Lula da Silva

G20-Gastgeber Brasilien Es wird einsamer um Lula

Stand: 18.11.2024 12:41 Uhr

Beim G20-Gipfel in Rio soll der Kampf gegen Hunger und die Klimakrise im Fokus stehen. Brasiliens Präsident Lula will auch dem globalen Süden mehr Gewicht geben. Doch sein Land steht außenpolitisch unter Druck.

733 leere Teller stecken im Sand der berühmten Copacabana, darauf 733 blutrote Kreuze. Die Installation soll eine Botschaft, ein Aufrütteln für die G20-Staats- und Regierungschefs sein, die zum Gipfel nach Rio gekommen sind. "Diese 733 leeren Teller symbolisieren den Tod", erklärt Antonio Carlos Costa von der Nichtregierungsorganisation "Rio da Paz". "Das hier machen wir, weil letztes Jahr nach UN-Angaben 733 Millionen Menschen auf der Welt an Hunger litten. Es mangelt an Solidarität und Mitgefühl."

Es wird ein zentrales Thema bei diesem Gipfel in Rio sein. Brasilien will mit den G20-Mitgliedern eine globale Allianz gegen Hunger ins Leben rufen. Bis 2030 - so das Ziel - soll auf der Hungerkarte der Welternährungsorganisation kein einziges Land mehr stehen. Dazu wirbt Brasilien auch für eine Reichensteuer, um den weltweiten Kampf gegen Armut und Ungleichheit zu finanzieren.

Kunstinstallation an der Copacabana in Rio

Hunger als zentrales Thema des G20-Gipfels: Die Installation mit 733 leeren Tellern an der Copacabana in Rio de Janeiro.

"Hunger ist ein politisches Thema"

"Letztes Jahr gab die Welt zwei Billionen und 400 Milliarden US-Dollar für Waffen aus, aber fast nichts, um Menschen mit Lebensmitteln zu versorgen, die Frühstück, Mittag- und Abendessen benötigen", so der brasilianische Präsident Luiz Inácio Lula da Silva. "Ich sage, dass wir den Hunger an dem Tag beenden, an dem wir anerkennen, dass er ein politisches Thema ist."

Für den linken Lula, der selbst in Armut aufwuchs und in seinen ersten zwei Präsidentschaften Millionen Menschen den Weg aus dem Elend ebnete, ist es auch ein persönliches Thema. Doch die Welt ist eine andere als vor 20 Jahren.

Das zeigt sich auch bei Lulas zweitem großen Thema: dem Kampf gegen den Klimawandel. Beim G20-Treffen sollten Weichen gestellt werden für Brasiliens Klimakonferenz COP30, die im nächsten Jahr in der Amazonas-Stadt Belém stattfindet. Doch diese Agenda erfuhr durch die Wahl von US-Präsident Donald Trump einen empfindlichen Dämpfer.

Lulas und Trumps Weltanschauung konträr

Trump verbinde eine politische Affinität mit dem rechten Ex-Präsidenten Jair Bolsonaro, der den Klimawandel leugne, sagt Politikwissenschaftler Mauricio Santoro. Deshalb stehe Trumps Weltanschauung der Weltanschauung Lulas "im Grunde unvereinbar gegenüber".

Und das sei auch bei Brasiliens drittem Thema der Fall: der Reform multilateraler Institutionen, um dem globalen Süden mehr Gewicht zu geben. "In den Augen der USA würde das bedeuten, die Macht Richtung China und Russland zu verschieben: nicht denkbar", erklärt Santoro. "Es ist ein komplizierter Moment, die Welt ist turbulenter geworden."

Zunehmende Spannungen zwischen China und den USA, die Kriege in Nahost und der Ukraine zeigen, dass sich das geopolitische Szenario verändert hat. Und das setzt Brasilien unter Druck. Brasilien, das sich außenpolitisch stets um Neutralität in einer multipolaren Welt bemühte, das versuchte, gute Beziehungen sowohl zu den USA, zu China und Russland zu halten. Doch Lulas Positionen zur Ukraine und zu Israel sorgen im Westen für Kopfschütteln, der diplomatische Spielraum wird enger.

Kein starker Partner für Brasilien?

Auch vor der eigenen Haustür. Lula scheiterte mit dem Versuch, in Venezuela zu vermitteln. Und mit dem wichtigsten Nachbarn Argentinien herrscht Funkstille, seit dort der rechtslibertäre Javier Milei im Amt ist.

Zu einem bilateralen Treffen wird es kaum kommen, glaubt der außenpolitische Experte Martin Schapiro. "Der Rückzug der Argentinier von der Klimakonferenz in Baku hat die Gräben zwischen den beiden nochmal vertieft." Auch, dass Milei kurz vor dem G20-Gipfel zu Trump in die USA geflogen sei, "ist ein Zeichen, dass er sich in seiner Linie - Anti-Frauenrechte, Anti-Klimawandel - gestärkt fühlt und in Zukunft auch Seite an Seite mit den USA abstimmt", so Schapiro. Die Sorge: Milei könnte beim G20-Gipfel eventuell schon mal als eine Art Vorbote Trumps, zentrale Themen - gar das Abschlussdokument - blockieren.

In dieser Gemengelage hätte sich Brasilien einen starken Partner für seine Agenda gewünscht. Der deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz, dem er auch persönlich verbunden ist, wäre so einer gewesen. Doch Scholz ist auf Abruf. Und für US-Präsident Joe Biden wird Rio der letzte Gipfel. Es wird einsamer um Gastgeber Lula, der sich selbst gern als Versöhner profilieren wollte.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete Deutschlandfunk am 18. November 2024 um 05:41 Uhr.