Brasiliens Präsident Lula Enttäuscht der Hoffnungsträger?
Mit Lulas Rückkehr als brasilianischer Präsident wurden große Hoffnungen verbunden. Doch seine Positionen etwa zum Ukraine-Krieg sorgen international für Irritationen. Und auch innenpolitisch droht eine Konfrontation.
Brasilien ist zurück auf der Weltbühne, will wieder Führung übernehmen - als Sprecher Südamerikas, als Kämpfer fürs Klima, als Brückenbauer in Konflikten. Das war die Botschaft von Luiz Inacio Lula da Silva nach dem Wahlsieg gegen seinen Vorgänger Jair Bolsonaro. Sieben Auslandsreisen hat er seitdem unternommen, doch auf große Erwartungen folgte Ernüchterung.
Schon Lulas neutrale Position in Bezug auf den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine löste kontroverse Diskussionen aus. Immer wieder hatte Brasiliens Präsident angedeutet, die Ukraine sei mitverantwortlich für den Krieg. Zudem warf er den NATO-Staaten vor, mit Waffenlieferungen die Gewalt weiter zu befeuern, statt sich für Frieden einzusetzen.
Kein Vieraugengespräch mit Selenskyj
Auf dem G7-Gipfel in Japan sagte Lula: "Es gibt eine Gruppe von Ländern im Süden, die eine Lösung für den Frieden finden wollen, etwas, wozu der Norden nicht in der Lage ist." Es gebe einen Teil, der Krieg wolle, und einen Teil, der Frieden wolle. "Ich hoffe, dass die Partei, die Frieden will, als Sieger hervorgeht." Dass der als Überraschungsgast angereiste ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj beim Gipfel keine Zeit fand, den Brasilianer zum Vieraugengespräch zu treffen, spielte Lula später herunter.
Er habe unterschätzt, wie negativ viele seiner oft saloppen Kommentare im Westen aufgenommen würden, glaubt Oliver Stuenkel. Der Politikwissenschaftler ist Experte für internationale Beziehungen der Getulio-Vargas-Stiftung in Sao Paulo.
"Vielleicht hat Lula auch die geopolitischen Spannungen unterschätzt. Als er von 2003 bis 2010 Präsident war, war die Welt eben noch eine andere und man konnte einen Mittelweg finden", sagt Stuenkel. Die Strategie, wirklich neutral zu agieren, sei heute "sicherlich sehr viel schwieriger" - wegen des Ukraine-Kriegs und der Spannungen zwischen dem Westen und China. Eine Neutralität könne "dann auch oft missverstanden werden".
Neutralität zwischen den Blöcken
Brasilien pflegt eine lange Tradition der Neutralität zwischen den großen weltpolitischen Blöcken. Lula möchte sich in Großmächtekonflikten nicht vereinnahmen lassen - auch, um für das eigene Land dadurch größtmögliche Handlungsfähigkeit zu wahren. Dazu kommt: Russland ist ein langjähriger und wirtschaftlich wichtiger Partner - als Düngemittellieferant für Brasiliens mächtige Agrarindustrie.
Gleichzeitig sei vor allem bei der Linken in ganz Lateinamerika ein gewisser Antiamerikanismus latent - auch aufgrund leidvoller historischer Erfahrungen. "Wo die Hauptsorge traditionell in den letzten Jahrzehnten immer wieder war, den Einfluss der USA in der Region zu verwalten, vielleicht auch einzudämmen", erklärt Stuenkel. Insofern würden der Aufstieg Chinas und die neue Rolle Russlands als ein Land, das den USA die Stirn biete, durchaus positiv gesehen.
Lulas Ehrenteppich für Maduro
Ungeachtet der zunehmenden Aggressivität sowohl des russischen Präsidenten Wladimir Putin als auch der chinesischen Führung hält Lula an seinen Überzeugungen fest - gepaart mit einem guten Maß an diplomatischem Eigensinn. Das zeigte sich auch Ende Mai beim Treffen südamerikanischer Präsidenten in der brasilianischen Hauptstadt Brasilia. Lula lud dazu erstmals seit 2015 auch wieder Venezuelas autoritären Staatschef Nicolas Maduro ein - dem allerdings rollte er gleich den Ehrenteppich aus.
"Maduro weiß, welches Narrativ so lange gegen Venezuela aufgebaut wurde. Viele Jahre lang reisten mein Minister und ich um die Welt und erklärten, dass er nicht der Typ sei, für den die Leute ihn hielten", sagte Lula, und weiter: "Companheiro Maduro, Sie kennen das Narrativ, das gegen Venezuela aufgebaut wurde: Antidemokratie, Autoritarismus."
Darüber waren dann nicht nur Lulas eigene Berater verstört, sondern auch die Präsidenten Uruguays, Chiles und Kolumbiens - von denen die beiden letzten klar dem linken Lager zuzuordnen sind. Vor Hunger, Krise und Verfolgung sind in den vergangenen Jahren schließlich Millionen Venezolanerinnen und Venezolaner aus ihrer Heimat geflohen - meist in die südamerikanischen Nachbarländer.
Lulas Umgang mit Venezuelas Staatschef Maduro sorgte in Südamerika für Irritationen.
Brasilien bleibt wichtiger Partner
Dass man die eingefrorenen Gespräche mit Venezuela daher wieder aufnehme, sei zwar notwendig, Maduro als lupenreinen Demokraten zu legitimieren, schwäche dagegen ganz klar Lulas Position als unangefochtene Stimme der Region, sagt Politikwissenschaftler Guilherme Casaroes.
"Der Erfolg einer neuen regionalen Integration in Südamerika hängt von der Fähigkeit Brasiliens ab, zum politischen Frieden in Venezuela beizutragen", so Casaroes. "Doch die Signale, die Lula jetzt gegeben hat, disqualifizieren ihn als Gesprächspartner beziehungsweise Vermittler im Konflikt. Und sie stoßen außerdem andere Staatschefs vor den Kopf - wie etwa die Präsidenten von Chile und Uruguay."
Dennoch wäre es ein Fehler, Brasilien deswegen fallen zulassen, sagen beide Beobachter. Das Land bleibe ein wichtiger Partner, gerade auch für Deutschland - als Teil der G4-Gruppe, die die Reform des UN-Sicherheitsrates vorantreiben will, vor allem aber beim globalen Kampf gegen den Klimawandel, der ohne Brasilien nicht stattfinden könne.
Gräben in Lulas Kabinett
Doch Lulas grüne Agenda stößt auf starken Gegenwind im eigenen Kongress. So stimmte das Unterhaus für ein juristisch hoch umstrittenes Gesetz, das die Ausweisung indigener Schutzgebiete erschweren würde. Dazu wurden die Kompetenzen der Ministerien für Umweltschutz und die indigene Bevölkerung stark eingeschränkt.
Die Gräben zwischen Umweltaktivisten und Wirtschaftslobby verlaufen dabei mitten durch Lulas Kabinett. Geht er auf Konfrontation mit der mächtigen Agrarfraktion, könnte diese komplett auf Blockade gehen - knickt er ein, stößt er ausgerechnet die beiden Ministerinnen vor den Kopf, die auch im Ausland als Garanten für Lulas "Null-Abholzungs-Versprechen" stehen.
Experte Stuenkel sagt dazu: "Deshalb ist es so wichtig, Brasilien einzubinden und auch, dass diese Einbindung wirtschaftliche Vorteile für Brasilien darstellt, sodass in vier Jahren kein Präsident sagen kann: Ich werde jetzt den Amazonas wieder abholzen. Dass dann auch wirklich wirtschaftliche Eliten sagen, das können wir nicht machen: Wir wollen unseren Zugang auf den europäischen Markt nicht verlieren, wir haben uns bereits an europäische Standards angepasst."
Nach den Besuchen von Bundespräsident, Kanzler und vier Ministern geht denn auch Deutschlands Charmeoffensive in Brasilien weiter. Außenministerin Annalena Baerbock und Arbeitsminister Hubertus Heil wollen vor Ort erneut für wirtschaftliche Zusammenarbeit, Klimaschutz und Nachhaltigkeit werben.