Generalstreik in Argentinien Erste Kraftprobe für Milei
Argentiniens Präsident Milei hat seine Amtszeit mit Radikalreformen begonnen, viele weitere sollen folgen. Nun formiert sich Widerstand: Gewerkschaften haben zum Generalstreik aufgerufen.
Es ist heiß und laut - Karina Nicolettas Leben spielt im Untergrund. Seit 29 Jahren. So lange schon arbeitet sie bei der "Subte", der U-Bahn von Buenos Aires. Zuerst als Fahrkartenverkäuferin, inzwischen als Lokführerin und Gewerkschaftsführerin. Sie kämpft für bessere Arbeitsbedingungen von Frauen, für Lohnanpassungen, besseren Kündigungsschutz.
Noch nie allerdings stand so viel auf dem Spiel wie jetzt, unter der Regierung des neuen argentinischen Präsidenten Javier Milei, glaubt die 50-jährige Argentinierin. Deswegen steht heute die U-Bahn still.
"Ich streike, um unsere Demokratie zu verteidigen, ein Leben in Würde und unsere Rechte, die wir uns als Arbeiter erkämpft haben. Mein Lohn hat mir immer fürs Leben gereicht." Aber bei der derzeitigen Inflation sei er kaum noch etwas wert, sagt Nicoletta. Die jetzige Politik träfe vor allem die Arbeiter aber auch die Mittelschicht und müsse gestoppt werden.
Erste Kraftprobe für Milei
Argentiniens mächtige Gewerkschaften haben zum Generalstreik aufgerufen. Es ist die erste Kraftprobe für den rechtslibertären Präsidenten, der sein Amt erst vor sechs Wochen angetreten hat - mit dem erklärten Ziel, das Land in Dauerkrise per "Schocktherapie" zu kurieren.
Argentiniens Haushaltsdefizit ist chronisch, der Schuldenberg gigantisch, die Inflation lag allein im Dezember bei 25 Prozent. "No hay plata" - Geld gibt es nicht - erklärte Milei am Tag der Amtsübernahme. Er legte sofort los mit einem radikalen Sparkurs. Ministerien wurden gestrichen, Beamte entlassen, Subventionen gekürzt, dazu die Währung massiv abgewertet.
Arbeiterrechte sollen flexibilisiert , Staatsbetriebe privatisiert werden. Der aus seiner Sicht übergriffige Staat soll auf ein Minimum reduziert werden, wenn nötig, auch per Dekret am Parlament vorbei, in dem er keine Mehrheit besitzt.
Rechtslibertäre Weltsicht
Die Wurzel allen Übels sieht Milei in einem angeblichen Sozialismus, der nicht nur Argentinien heruntergewirtschaftet habe, sondern auch in der restlichen westlichen Welt die Freiheitsidee bedrohe, genauso wie der Feminismus und die Ökobewegung, dozierte Milei bei seiner ersten Auslandsreise vor dem etwas verblüfften Publikum auf dem Weltwirtschaftsforum in Davos.
"Die wichtigsten Führer der westlichen Welt haben das Modell der Freiheit für verschiedene Versionen dessen aufgegeben, was wir Kollektivismus nennen", so Milei in Davos. Dabei gebe es keine substanziellen Differenzen zwischen Kommunismus, Sozialdemokratie oder dem Nationalsozialismus. Die Rede, die im Netz gefeiert wurde, sorgte in Argentinien - außer beim ideologischen Kernpublikum - eher für Stirnrunzeln.
Milei will riesiges Reformpaket durchdrücken
Sie kommt außerdem zu einer Zeit, in der Milei um die Unterstützung des Kongresses für sein sogenanntes Omnibus-Gesetz ringen muss: ein 300 Gesetze umfassendes, mehr als 600 Seiten langes Reformpaket, das unter anderem vorsieht, einen öffentlichen Notstand auszurufen.
Damit bekäme die Regierung weitreichende gesetzgeberische Sonderbefugnisse. Doch es regt sich Widerstand. Gerichte haben Einspruch gegen Teile des Dekretes erhoben, auch Teile des "Omnibus-Gesetzes" musste Mileis Team überarbeiten lassen.
Dabei tickt die Uhr. Milei weiß, dass er nicht viel Zeit hat, sagt Politikwissenschaftler Juan Negri von der Universität Torcuato di Tella in Buenos Aires: Noch habe er in der Bevölkerung relativ großen Rückhalt, auch wenn sich die wirtschaftliche Situation erst einmal verschlechtert hat. Dies nutze Milei aus. Im besten Fall komme nach einer harten Anfangszeit Besserung, aber: "Es besteht auch das Risiko, dass der soziale und politische Widerstand größer wird, bevor Mileis Politik Früchte zeigt."
Gewerkschaften kämpfen, Opposition wartet ab
Widerstand wird schon für heute erwartet. Argentiniens Gewerkschaften sind mächtig und gut organisiert. Es ist ein Erbe noch aus Zeiten von General Juan Domingo Peron und seiner Frau Evita, den Begründern des Peronismus. Diese gewährten den Gewerkschaften umfangreiche Rechte. Sechs Millionen Mitglieder zählt allein der größte Bund CGT heute. Wenn er will, steht Argentinien still.
Allerdings haben die Gewerkschaften, allen voran ihre Führungsspitze, auch den Ruf, mafiös zu agieren und mehr in die eigene Tasche zu wirtschaften als für die Rechte der Armen zu kämpfen. Das macht sie für Milei zum perfekten Feindbild: Aus seiner Sicht sind sie, wie die Peronisten, die "Kaste", die Reformen blockiert, um sich selbst zu bereichern.
Und die Gewerkschaften gehen zwar gemeinsam mit gesellschaftlichen Bewegungen in das Kräftemessen mit Milei. Die peronistische Opposition aber hält sich bisher mit Kritik zurück. Ihre Strategie scheint zu sein, vorerst abzuwarten, wie sich die Stimmung entwickelt.
Zu einem solch frühen Zeitpunkt könnte sich der Generalstreik auch als Eigentor für die Gewerkschaften herausstellen, glaubt Politikwissenschaftler Negri. "Es ist unsere Pflicht, auf die Straße zu gehen", sagt dagegen U-Bahn-Führerin Nicoletta: "Aus meiner Sicht versucht uns die Regierung auf verschiedene Weise zu stigmatisieren. Aber Milei wird verstehen müssen, dass er die Menschen, die ihn nicht gewählt haben, nicht einfach ignorieren kann - und dass er auch nicht an den Institutionen des Staates vorbeiregieren kann."