Nach Wahl in Argentinien "Es lebe die Freiheit!"
Der Sieg des Rechtspopulisten Milei bei der Stichwahl in Argentinien hat bei seinen Anhängern für frenetischen Jubel gesorgt. Viele Argentinier machen sich nun jedoch große Sorgen. Experten warnen vor sozialen Spannungen.
Es war ein Erdrutschsieg, den schon wieder keine Umfrage vorhergesehen hatte - umso frenetischer war der Jubel unter den Anhängern von Javier Milei. Etwa 3.000 Menschen zogen vor seine Wahlkampfzentrale im Stadtzentrum von Buenos Aires, gehüllt in Argentinien-Flaggen, um ihr Idol zu feiern. "Ich bin glücklich!", sagte die 52-jährige Soledad, "endlich müssen diese Diebe den Hut nehmen. Es lebe die Freiheit, verdammt!"
Es sei ein Vorher und ein Nachher, sagte Rodrigo, ein junger Mann im Argentinien-Shirt. Er glaubt, "die gesamte Ära der Korruption" sei vorbei. "Wir haben doch in einer wirtschaftlichen Diktatur gelebt. Hoffen wir nun, dass dieser Präsident die Dinge besser macht."
Wenig später kam Milei gemeinsam mit seiner Schwester Karina auf die Bühne. Er trat staatsmännisch auf. Dies sei eine historische Nacht, erklärte er in ruhigem Ton: Es beginne der argentinische Wiederaufbau. "Heute endet das Modell des allgegenwärtigen Staates, das nur einigen wenigen zugute kommt, während die Mehrheit der Argentinier darunter litt. Heute umarmen wir wieder die Ideen der Freiheit."
Milei verspricht radikale Kehrtwende
Elf Prozentpunkte Vorsprung hatte Milei. Sein Wahlsieg war so eindeutig, dass sein Kontrahent, Argentiniens amtierender Wirtschaftsminister Sergio Massa, seine Niederlage bereits einräumte, als die offiziellen Ergebnisse noch gar nicht vorlagen. "Ich habe mich mit Milei in Verbindung gesetzt, um ihm zu gratulieren und ihm Glück zu wünschen, denn er ist der Präsident, den die Mehrheit gewählt hat."
Der selbsternannte "Anarcho-Kapitalist" Milei verspricht eine radikale Kehrtwende zur Politik der regierenden Peronisten, die auf einen starken Sozialstaat mit massiven Eingriffen gesetzt hatten: Er will die Zentralbank schließen und die meisten Ministerien auflösen, Sozialausgaben drastisch kürzen und den US-Dollar als Zahlungsmittel einführen. Der gewählte Präsident Milei versprach nun Freihandel, ohne Privilegien. Er werde Reformen schnell anpacken: "Die Krise Argentiniens ist drastisch. Es gibt keinen Raum für eine Politik der kleinen Schritte und für Halbherzigkeit."
"Niemand mit so extremen Ansichten in Wirtschaftsfragen ist je zum Präsidenten eines südamerikanischen Landes gewählt worden", sagt der Ökonom Mark Weisbrot vom US-Forschungsinstitut Center for Economic and Policy Research der Nachrichtenagentur dpa. "Er erkennt kaum eine legitime Rolle der Regierung in einigen der wichtigsten Politikbereiche an, die die meisten Menschen als notwendig für eine demokratische, humane und stabile Gesellschaft ansehen."
Vom Frust über Inflation und Armut profitiert
Milei hat vom Frust über den Status Quo profitiert, über eine Dauerkrise mit inzwischen 140 Prozent Inflation und 40 Prozent Armut. Und vom Frust über die peronistische Mitte-Links-Koalition, die dagegen keine Rezepte hat und zudem in Korruptionsskandale verstrickt ist. Die Wahl des libertären Populisten bedeutet auch einen Sieg für die neue, globale Rechte - Donald Trump, Elon Musk und Jair Bolsonaro gratulierten bereits.
Dass genau 40 Jahre nach Rückkehr zur Demokratie nun aber ausgerechnet in Argentinien die neue Rechte einen Sieg eingefahren hat, sorgt bei vielen auch für für extrem große Sorge. "Ich mache mir große Sorgen, dass diejenigen, die wenig haben, bald noch weniger haben werden. Dass dieses Land ein sozial unfaires Land wird, und dass uns eine sehr, sehr hässliche Zeit bevorsteht", erklärte ein junger Mann unter Tränen vor der Wahlzentrale Massas.
"Ich habe Angst, nichts weiter als Angst", sagte auch die Massa-Wählerin Belen Martinez. Sorgen mache ihr vor allem Mileis künftige Vizepräsidentin Victoria Villarruel. Die Tochter hochrangiger Militärs bedient die konservative Klientel, pflegt Kontakte zu rechten Gruppierungen auf der ganzen Welt und verharmloste immer wieder den Staatsterror während der Militärdiktatur (1976-1983) mit schätzungsweise 30.000 Verschwundenen. "Mit einem Präsidenten, der die Militärdiktatur verharmlost, der sexistisch und frauenfeindlich ist und den Klimawandel leugnet - so kann man doch kein Land für niemanden aufbauen!"
Allein wird Milei nicht weit kommen
Nun dürfte allerdings Mileis Kompromissfähigkeit getestet werden, denn allein wird der Politik-Neuling trotz seiner radikalen Rhetorik nicht weit kommen. Auch wenn er auf die Unterstützung eines Teils der konservativen Opposition unter Ex-Präsident Maurici Macri bauen kann - das sichert ihm keine Mehrheiten im Kongress.
Politikwissenschaftler Juan Negri sorgt sich um die Regierbarkeit des Landes: "Er ist ein Präsident mit sehr geringer institutioneller Unterstützung, viel geringer als sie Bolsonaro in Brasilien hatte oder Trump in den USA. Es gibt nur ganz wenige erfahrene politische Kader, die ihn begleiten, heißt: Es gibt ein sehr hohes Maß an Improvisation." Milei werde die unterschiedlichen Erwartungen, die die Wähler an ihn haben, nicht erfüllen können, so Negri, und schnell Popularität einbüßen. "Ich fürchte, wir werden einen institutionellen Stillstand erleben und große soziale Spannungen."
Die große Frage ist: Was passiert in den nächsten Tagen? Sowohl Massa als auch Milei erklärten, der jeweils andere trage Verantwortung für die sozialen und wirtschaftlichen Entwicklungen bis zur Amtsübergabe am 10. Dezember. Die abgewählte Regierung hat so gut wie keine Handhabe mehr, Massa reichte noch am Sonntagabend eine Beurlaubung vom Amt ein. Experten fürchten, es bestehe die Gefahr einer erneuten abrupten Abwertung des argentinischen Pesos, den Milei im Wahlkampf immer wieder als wertlos wie "Exkremente" bezeichnet hatte. Viel wird daher von einem für heute anberaumten Treffen zwischen dem scheidenden Präsidenten Alberto Fernández und Milei abhängen.