Abzug aus Mali Kein simples Kofferpacken
700 Soldatinnen und Soldaten sowie Material in der Größenordnung von 600 Containern muss die Bundeswehr noch aus Mali sicher nach Hause bringen. Eine Herkulesaufgabe, und die Zeit dafür ist extrem knapp.
Vom Funkgerät bis zum Fuchs-Transportpanzer - in einer gigantischen Halle des Bundeswehr-Camps in Gao in Mali wird sämtliches Material für die Rückreise nach Deutschland vorbereitet.
Wer diese sogenannte "Materialschleuse" betritt, fühlt sich fast schon an einen OP-Saal erinnert: So fein säuberlich sind Pistolen in ihre Einzelteile zerlegt und auf Folie ausgelegt.
So gründlich sind gepanzerte Fahrzeuge mit Desinfektionsmittel gereinigt und damit gegen Tierseuchen imprägniert, dass man sich kaum vorstellen kann, wie ihnen bis vor kurzem der rötliche Wüstensand Malis aus jeder Ritze rieselte.
Sich ausbreitende Terrorgruppen
Gerade wickelt ein Soldat Sturmgewehre vom Typ G36 sorgsam in stoßsichere Luftpolsterfolie ein und verstaut sie in extra gesicherte Kisten. Das G36 unterliegt - wie alle Waffen - der Priorität eins. Heißt: Auf der von eins bis fünf reichenden Wichtigkeitsskala der Logistiker steht es ganz oben und muss unbedingt nach Deutschland zurückgeführt werden.
Will die Bundeswehr doch um jeden Preis vermeiden, dass Funkgeräte, Waffen oder gepanzerte Fahrzeuge nach dem Abzug in die Hände von sich ausbreitenden Terrorgruppen fallen. Oder auch in den Besitz russischer Söldner gelangen, die auf Seiten der malischen Armee kämpfen.
Die Bundeswehr will um jeden Preis vermeiden, dass Funkgeräte, gepanzerte Fahrzeuge oder Waffen nach dem Abzug in die "falschen Hände" gelangen.
"Keine dreispurige Autobahn"
Es geht also darum, die gebotene Vorsicht mit dem extrem hohen Zeitdruck zu vereinbaren: "Der Zeitplan ist ehrgeizig. Es darf nicht viel schiefgehen, eigentlich darf gar nichts schiefgehen", gibt Kommandeur Heiko Bohnsack im ARD-Interview zu. "Wir haben hier keine dreispurige Autobahn, auf der wir unsere Kräfte, unser Material nach Hause fahren können."
Statt einer Autobahn gibt es den direkt vor dem deutschen Camp gelegenen Flugplatz in Gao. Da der Luftweg der sicherste ist, sind die Deutschen und ihre A400M-Transportmaschinen dringend darauf angewiesen, dass diese Ausgangstür, dieser Exit, für sie geöffnet bleibt:
"Der Flughafen Gao ist das größte Nadelöhr", sagt Thomas Henschke, Direktor für die materielle Rückverlegung. Henschkes Hauptproblem: Es gibt viel, zu viel, das er nur schwer beeinflussen kann. Spielen das Wetter oder die malischen Behörden nicht mit, gerät der Zeitplan ins Wanken.
Der Luftweg raus aus Mali ist der sicherste. Die Deutschen sind daher dringend darauf angewiesen, dass diese Ausgangstür geöffnet bleibt.
Auswirkungen der Sicherheitslage
Vor gut zehn Tagen setzte am Flughafen in Gao eine wohl völlig überladene russische Iljuschin-Maschine der malischen Armee zu spät auf, rollte über die Landebahn hinaus und explodierte auf der roten Schotterpiste dahinter.
Und dann sind da noch die heftig aufgeflammten Kämpfe zwischen malischer Armee und Terrorgruppen. Von der Sicherheitslage, erklärt Logistik-Experte Henschke, sei man durchaus abhängig: "Nicht, weil wir ein unmittelbares Ziel sind, sondern wegen der möglichen Auswirkungen, die Gefechte hier vor Ort auf unsere Logistik haben können.“
Nach einem blutigen Selbstmordanschlag Anfang September auf einen Stützpunkt der malischen Armee nur ein paar hundert Meter vom deutschen Camp entfernt, wurden die Flüge aus naheliegenden Gründen zeitweise eingestellt.
Bereitschaft bis zum Ende
Gegen die sich zuspitzende Lage draußen kann Henschke mit seinem Team nichts unternehmen. Sehr wohl aber kann er dazu beitragen, dass sich die Soldaten im deutschen Camp selbst bis zur letzten Minute weiter schützen können: "Das bedeutet eben auch, dass wir nicht zuerst das Material mit der höchsten Priorität, also unsere Gefechtsfahrzeuge und Waffen, nach Hause bringen. Sondern, dass bis zum Ende Gefechtsfahrzeuge und Waffen hier sind."
Und so bleibt dieser Abzug bis zur letzten Minute ein Balanceakt: Gilt es doch einerseits, das Material der Wichtigkeitsstufe eins sicher nach Hause zu bringen - andererseits aber stets genug vor Ort zu haben, damit die Truppe nicht verwundbar wird.
Mitten im Bundeswehr-Camp steht der wohl teuerste Rohbaus der Region: Mehr als 26 Millionen Euro hat der Bund für die Klinik bereits ausgegeben.
Unfertiges Krankenhaus bleibt zurück
Was übrigens auf jeden Fall zurückbleiben wird, ist der Rohbau eines Krankenhauses mitten im Bundeswehr-Camp. Wer das Gebäude betritt, ist überrascht, wie weit man hier schon gekommen war: Die Waschbecken und Desinfektionsflaschenhalter vor den OP-Sälen hängen bereits, gelbe LAN-Kabel sind verlegt, Dach und Wände sind gegen Raketenbeschuss gesichert.
Mehr als 26 Millionen Euro hatte der Bund für die Klinik bereits ausgegeben, als Anfang des Jahres die Entscheidung fiel, wegen des beschlossenen Abzugs nicht zu Ende zu bauen. Was die wohl modernste Klinik des Sahel hätte werden können, dürfte nun für immer der teuerste Rohbau der Region bleiben.
Pläne für Evakuierung
Unbedingt in die Heimat zurück verfrachtet werden - und zwar möglichst bis Weihnachten - sollen aber noch 700 Soldatinnen und Soldaten sowie Güter in der Größenordnung von 600 Containern. Ursprünglich waren es 1.000.
400 sind bereits zu Hause. Was aber passiert, wenn die Lage so bedrohlich wird, dass doch noch ein Blitzabzug oder gar eine Evakuierung nötig werden sollte? Ein sehr theoretischer Fall - für den aber Pläne in der Schublade lägen, versichert Henschke.
Pläne allerdings, über die er nicht gerne spricht. Fest steht nur eins: In diesem Fall müsste auch Material der Kategorie 1 auf der Prioritätenliste in Mali zurückbleiben. Das allerdings würde man dann vor Ort rechtzeitig vernichten müssen.