Gepanzertes Fahrzeug der Bundeswehr in Mali.
reportage

Bundeswehr-Abzug aus Mali Gefährlicher Rückweg

Stand: 02.10.2023 03:56 Uhr

Bis Ende des Jahres muss die Bundeswehr komplett aus Mali abgezogen sein. Die schlechte Sicherheitslage stellt die Soldaten vor Probleme - und wird zur Herausforderung.

Von Kai Küstner, NDR

Hauptmann Mathias saß gerade beim Frühstück, als der durch Mark und Bein dringende Alarmton seine Mahlzeit jäh beendete: Schwere Explosionen und Schüsse aus dem nur wenige Hundert Meter entfernt liegenden Stützpunkt der malischen Armee waren zu hören. Sofort scharte der 29-Jährige seinen Gebirgsjägerzug um sich und schickte seine Kameraden auf ihre Posten - um einen möglichen Angriff auf das deutsche Camp abzuwehren. Denn genau dafür ist sein Objektschützer-Trupp zuständig.

Querschläger pfeifen um die Ohren

Hauptmann Mathias selbst eilte zum Wachturm, von den Soldaten "Watchpost" genannt, am Haupteingang des Lagers. "Als ich dort eintraf, sah ich drei große Rauchwolken direkt gegenüber im FAMA-Camp, hörte Gefechtslärm", berichtet der Soldat. So erbittert tobte der Kampf im Lager der malischen Armee, der FAMA, dass ihm dort oben auf dem Ausguck der eine oder andere Querschläger um die Ohren pfiff: "Man sieht nix, man hört nur etwas. Das ist wie ein leichtes Surren durch die Luft. Andere bezeichnen es als Vogelgezwitscher", erzählt Mathias. "Aber optisch ist es nicht aufklärbar, weil einfach zu schnell."

Da dieses "Vogelgezwitscher" eine im schlimmsten Fall tödliche Gefahr darstellt, hieß es für ihn und seine Kameraden zunächst: Köpfe runter, in Deckung bleiben. Später sollte sich herausstellen, dass eines der Geschosse, wohl von einem AK47-Sturmgewehr stammend, in einem Dach eingeschlagen hatte. Verletzt wurde im deutschen Camp niemand.

Bundeswehrcamp in Gao in Mali

Das Bundeswehrcamp in Gao aus der Luft

Deutsche kein direktes Ziel

Passiert ist all dies in den frühen Morgenstunden des 8. September: Mindestens zwei Selbstmordattentäter hatten ihre Autos in fahrende Bomben verwandelt und in das malische Camp gesteuert - das anschließende Feuergefecht dauerte mehrere Stunden. Die Spuren der Verwüstung sind auch heute noch zu erkennen. Ein Vorfall, der verdeutlicht, wie sehr sich die Sicherheitslage auch im nordmalischen Gao, vor den Toren des deutschen Feldlagers, zuspitzt.

"Ich stelle fest: Wir sind kein unmittelbares Ziel. Das ist anders als in Afghanistan. Wir können aber durch indirekte Auswirkungen hier jederzeit betroffen sein", erklärt Bernd Schütt, der als Chef des Einsatzführungskommandos Befehlshaber für alle Auslandseinsätze der Bundeswehr ist, im ARD-Interview in Gao.

Kollateralschaden möglich

Einen direkten Angriff auf die Deutschen halten in der Tat sämtliche mit der Lage vertrauten Personen für extrem unwahrscheinlich. Warum sollten die - meist al Kaida nahestehenden - Terroristen ihre Kräfte mit einer Attacke auf die ohnehin abziehenden UN-Blauhelme verschleißen?

Auch der Kompaniechef der Objektschützer, Major Felix, sieht eher die Gefahr, dass die Deutschen sozusagen "aus Versehen" - als Kollateralschaden - von Kampfhandlungen betroffen sein könnten: "Unsere größte Herausforderung ist, dass es nicht planbar, nicht absehbar ist, in welche Richtung sich die Lage draußen entwickelt", sagt der Major.

Ein gepanzertes Fahrzeug der Bundeswehr in Mali.

Die Bundeswehr muss nicht nur alle Soldaten, sondern auch sämtliches Material ausfliegen.

Keine UN-Patrouillenfahrten

Nicht hilfreich für ein klares Bild der Lage ist, dass die malischen Militärs derzeit keine Patrouillenfahrten der UN-Blauhelme wünschen. Vermutlich, weil die in der Region Gao selber operieren wollen oder dies zumindest planen. Denn die malische Armee versucht unübersehbar, verstärkt gegen die Terrorgruppen im Norden Malis vorzugehen. Und setzt dabei bekanntermaßen auf russische Wagner-Söldner.

Doch das schier unübersichtliche Geflecht von Terroristen hatte seinen Einflussbereich zuletzt ausgedehnt. Schon parallel zum Abzug der Blauhelme sind nun die Kämpfe - übrigens auch um freiwerdende UN-Lager - verstärkt aufgeflammt.

An noch abgelegeneren Standorten der Blauhelm-Mission MINUSMA ist die Lage noch viel verzwickter als in Gao: Weil hier die Soldaten nicht einfach ausfliegen können, sind zahlreiche Blauhelme schlicht blockiert. Und es ist noch nicht klar, wie die UN sie bis Ende des Jahres außer Landes kriegt.

Zusätzliche Sicherheitsmaßnahme

Die Sicherheitslage draußen hat sich also rapide verschärft. Aber: "Wir sind kein Ziel", betont der Kommandeur des letzten Einsatzkontingents in Gao, Heiko Bohnsack. Er will deshalb auch nicht von einer entscheidenden Lageänderung für seine Truppe sprechen.

Vorsichtshalber aber hat der Kommandeur die eine oder andere Sicherheitsmaßnahme eingezogen: "Wir nehmen jetzt unsere Schutzausrüstung morgens mit dahin, wo wir arbeiten und abends mit in die Unterkunft. Bisher war das bei mir im Büro geblieben. Falls wir nachts einen Alarm haben, dass wir es gleich bei uns haben." Splitterschutzweste und Helm also liegen nun auch im gesicherten Camp für die noch rund 700 Soldatinnen und Soldaten stets in Griffweite.

Hauptaufgabe für Kommandeur Bohnsack, vor allem aber für Objektschützer wie Major Felix und Hauptmann Mathias, ist: Sicherzustellen, dass die Logistiker, die tonnenschweres Material auf die Rückreise nach Deutschland schicken müssen, im Camp in Ruhe ihre Arbeit tun können. Sie stehen extrem unter Zeitdruck, weil bis Ende des Jahres alle und alles außer Landes sein müssen. Dabei sind die Soldaten auf den Flugplatz in Gao unbedingt angewiesen. Durch die sich verdüsternde Lage vor den Toren des Camps wird der Abzug zu einer noch größeren Nervenprobe als ohnehin schon.

Kai Küstner, ARD Berlin, tagesschau, 02.10.2023 06:15 Uhr

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete Deutschlandfunk am 02. Oktober 2023 um 05:05 Uhr.