Flutwelle vor einem Jahr Wie der Wiederaufbau im libyschen Darna läuft
Die Flut vor einem Jahr in Libyen riss ganze Wohnviertel ins Meer. 4.000 Menschen starben, 8.000 werden noch vermisst. Der Wiederaufbau in Darna macht Hoffnung. Aber es besteht der Verdacht, dass es dabei viel Korruption gibt.
Samira Abdel Hady schaut in eine große karierte Plastiktasche. Handtücher sind da drin, außerdem Bettlaken, Shampoo und Zahnbürsten. Mit ihrem Mann und zwei ihrer vier Kinder ist sie in eine alte Basketballhalle gekommen, um Hilfsgüter abzuholen. Verteilt werden sie von der Nichtregierungsorganisation Pulse.
Die private Organisation bietet auch ein Programm für Kinder an, die nach der Flutkatastrophe traumatisiert sind. Samira Abdel Hady ist dafür sehr dankbar. Ihre Kinder würden noch immer jeden Morgen weinen. "Wenn sie Regen hören, sagen sie: 'Die Flut'. Wenn sie einen Sturm hören, sagen sie: 'Lasst uns hier weggehen, wir werden sterben, Mama'."
8.000 Menschen in Darna noch immer vermisst
Samira Abdel Hady und ihre Kinder konnten sich vor einem Jahr gerade so in Sicherheit bringen. Aber sie mussten mit ansehen, wie ihr Schwager von der Flutwelle davon gerissen wurde. Mindestens 4.000 Menschen starben damals in Darna, von 8.000 weiteren fehlt noch immer jeder Spur. Vermutlich wurden sie weit ins Meer getrieben, als die Wassermassen in der Nacht über die Stadt hereinstürzten und ganze Stadtviertel mit sich rissen.
Jeder in der 100.000-Einwohner-Stadt Darna hat Angehörige oder Freunde verloren. Der Bedarf an Hilfe ist auch ein Jahr nach der Katastrophe riesig, erzählt Malak al-Hanoushi, die Chefin der libyschen Hilfsorganisation. Auch ihr Haus wurde zerstört, zurück kann sie noch nicht.
Die Flut riss in Darna ganze Stadtviertel mit sich.
Der Wiederaufbau läuft
Der Fluss Wadi Darna - heute nicht mehr als ein Rinnsal - teilt die Stadt in zwei Teile. Wo früher Häuser standen, ist heute nur noch eine mehr als 100 Meter breite staubige Furche zu sehen. Mittendrin stehen Kräne und Bagger. Die Brücken über den Fluss werden wieder aufgebaut.
Auch abseits der am schwersten betroffenen Gebiete gleicht Darna einer großen Baustelle. Es entstehen neue Wohnhäuser, Schulen werden instand gesetzt. Ein seit Jahren stillgelegtes Krankenhaus wurde gerade wieder in Betrieb genommen.
Verantwortlich für den Wiederaufbau ist Belgacem Haftar, einer der Söhne von General Khalifa Haftar, der autoritär über den Osten Libyens herrscht. Voller Stolz zählt Belgacem auf: "Bei der Stromerzeugung, der Trinkwasserversorgung und dem Wiederaufbau von öffentlichen Gebäuden und Wohnungen in Darna - überall kommen wir gut voran."
Der Fluss in Darna ist aktuell nur noch ein Rinnsal - und teilt die zerstörte Stadt. Aber der Wiederaufbau läuft.
Vergabe von Geldern offenbar nicht transparent
Über umgerechnet etwas mehr als zwei Milliarden Dollar soll der Wiederaufbaufonds für Darna verfügen. Wo genau das Geld des Fonds herkommt, und wie es ausgeben wird, sei allerdings alles andere als transparent, sagt Wolfram Lacher, Libyen-Experte von der Stiftung Wissenschaft und Politik.
Die Kontrolle über den Fonds nutze den Haftars in doppelter Hinsicht: "Sie profilieren sich als Erbauer. Davon profitieren sie politisch, aber es gibt auch zahlreiche Hinweise darauf, dass sie finanziell davon profitieren", so Lacher. Es sei von Korruption die Rede, bei der das Geld für die Aufträge teilweise wieder zurück in die Taschen der Haftars fließe.
Dämme brachen bei Starkregen
Ausgelöst wurde die Flut vor einem Jahr durch einen Sturm und heftigen Starkregen. Dass sie so tödlich wurde, lag aber daran, dass zwei Dämme oberhalb der Stadt brachen. Jahrelang waren sie nicht gewartet worden. Im Juli wurden zwölf staatliche Beamte zu langjährigen Haftstrafen verurteilt. Angeklagt waren sie wegen Verbrechen wie Fahrlässigkeit, Totschlag und der Verschwendung öffentlicher Gelder.
Hochrangige Politiker zogen allerdings keine Konsequenzen: "Niemand kann die Verantwortung für das tragen, was in Darna passiert ist. Das war höhere Gewalt. Kein Land der Welt hätte das verhindern können", sagt Aguilah Saleh, Präsident des Parlaments mit Sitz in Tobruk weit im Osten Libyens. Saleh war schon zu Zeiten des Langzeitherrschers Muammar al-Gaddafi ein mächtiger Strippenzieher in Libyen, heute ist er ein enger Verbündeter von General Haftar.
Kaum Kritik an Machthabern
Vor einem Jahr - wenige Tage nach der Flut - hatten hunderte Menschen in Darna gegen die Tatenlosigkeit der Politik demonstriert. Heute äußert in der Stadt kaum jemand offene Kritik an den Mächtigen.
Malak al-Hanoushi von der Hilfsorganisation Pulse ist ziemlich dankbar für den Wiederaufbau. "Darna ist eine schöne Stadt - aber hier fehlten früher Orte für die einfachsten Freizeitaktivitäten wie Spielplätze. Zum Glück gibt es die jetzt, sie sind zu wichtigen Orten geworden, wo die Menschen zusammenkommen - sogar Frauen!"
Darna ist eine streng konservativ islamische Stadt - auf den meisten öffentlichen Plätzen sind nur Männer zu sehen. Der Wiederaufbau nach der Flut, so hofft Malak al-Hanoushi, könnte auch die Kultur der Stadt verändern.