Nahost-Krieg Kein Frieden in Sicht - aber ein Friedensplan
Trotz internationaler Appelle und immer mehr Toten will Israel seine Offensive im Gazastreifen ausweiten. Auch die Terrorgruppen Hamas und Islamischer Dschihad wollen den Kampf fortsetzen. Welche Chance hat da ein ägyptischer Friedensplan?
Weder Israel noch die militanten Palästinenserorganisationen Hamas und Islamischer Dschihad im Gazastreifen wollen derzeit den Krieg beenden. Im Gegenteil. Nach Angaben von Israels Regierungschef Benjamin Netanyahu ist für die nächsten Tage die Ausweitung der Bodenoffensive im Gazastreifen geplant. Der Krieg sei "nicht annähernd beendet", sagte er vor Mitgliedern seiner Likud-Partei. Netanyahu hatte zuvor die Kampftruppen im Gazastreifen besucht. "Wir hören nicht auf. Wir kämpfen weiter und wir weiten den Kampf in den kommenden Tagen aus", sagte er. "Es wird eine lange Schlacht geben."
Zudem bezeichnete Netanyahu militärischen Druck als notwendig, um die verbliebenen Geiseln aus der Gewalt der radikal-islamischen Hamas zu befreien. "Ohne militärischen Druck wäre es uns nicht gelungen, bislang mehr als 100 Geiseln freizubekommen", sagte Netanyahu vor dem Parlament. "Und es wird uns ohne militärischen Druck nicht gelingen, alle Geiseln freizubekommen."
Brief von Sinwar an Hanija
Auch die militanten Palästinenserorganisationen Hamas und Islamischer Dschihad wollen weiterkämpfen. Der Hamas-Chef im Gazastreifen, Jahia Sinwar, schrieb nach Angaben der Organisation in einem Brief an den Vorsitzenden des Hamas-Politbüros, Ismail Hanija, sowie andere Mitglieder des Gremiums: "Die Kassam-Brigaden (der bewaffnete Arm der Hamas) führen einen erbitterten, brutalen und beispiellosen Kampf gegen die israelischen Besatzungstruppen." Auch der Islamische Dschihad teilte nach Angaben des Nachrichtensenders Al-Dschasira mit, man werde als Reaktion auf das Blutvergießen im Gazastreifen weiterkämpfen.
Sinwar reagierte mit dem Schreiben möglicherweise auf Berichte über einen ägyptischen Vorschlag, wie der Gaza-Krieg beendet werden kann. Hanija war zuletzt mit einer Delegation zu Gesprächen in Ägypten gewesen. Er gilt als Auslandschef der Hamas und lebt in Katar.
Wie einig ist die Hamas-Führung?
Berichten zufolge soll die im Exil lebende politische Hamas-Führung bereits hinter dem Rücken der beiden Hamas-Anführer im Gazastreifen, Sinwar und Mohammed Deif, Gespräche führen, wie der Gazastreifen und das Westjordanland nach dem Ende des Krieges regiert werden kann. Israel will Sinwar und Deif, die als Drahtzieher des Terroranschlags am 7. Oktober gelten, gezielt töten. Es wird vermutet, dass sie sich im unterirdischen Tunnelnetzwerk im Süden des Gazastreifens verstecken.
In mehreren Stufen zum Frieden
Auch Netanyahus Äußerungen dürften vor dem Hintergrund des von Ägypten vorläufigen Plans für ein Ende des Krieges erfolgt sein. Dieser sieht eine Feuerpause, eine Freilassung von Geiseln in mehreren Schritten und die Schaffung einer palästinensischen Regierung aus Experten vor, die den Gazastreifen und das besetzte Westjordanland verwalten soll. Das teilten ein ranghoher ägyptischer Regierungsbeamter und ein europäischer Diplomat mit.
Der Vorstoß sei gemeinsam mit dem Golfemirat Katar ausgearbeitet und Israel, der militant-islamistischen Hamas, den USA und europäischen Regierungen vorgelegt worden. Das dezidierte Kriegsziel Israels einer Vernichtung der Hamas ist darin nicht enthalten. Auch scheint die israelische Forderung, für längere Zeit nach dem Krieg weiterhin die militärische Kontrolle über den Gazastreifen beizubehalten, in dem Vorschlag keine Berücksichtigung zu finden.
Feuerpause von bis zu zwei Wochen
Der Vorschlag sieht nach Angaben aus ägyptischen Regierungskreisen konkret eine erste Feuerpause von bis zu zwei Wochen vor, in der militante Palästinenser 40 bis 50 der in den Gazastreifen verschleppten Geiseln freilassen würden, unter ihnen Frauen, Kranke und ältere Menschen. Im Gegenzug würden 120 bis 150 Palästinenser aus israelischen Gefängnissen freikommen.
Zugleich sollten Verhandlungen über eine Verlängerung der Feuerpause und die Freilassung weiterer Geiseln und Rückführung Getöteter nach Israel fortgesetzt werden.
Kriegskabinett beriet bereits über Vorschlag
Die Expertenregierung solle den Gazastreifen und das Westjordanland für einen Übergangszeitraum verwalten, während die palästinensischen Gruppen ihre Streitigkeiten beilegen und sich auf einen Fahrplan für Präsidentschafts- und Parlamentswahlen einigen, fügte der Gewährsmann laut Nachrichtenagentur AP hinzu.
In der Zwischenzeit würden Israel und die Hamas mit dem Ziel eines umfassenden Abkommens weiterverhandeln. Dieses sähe eine Freilassung aller verbliebenen Geiseln gegen alle palästinensischen Gefangenen in Israel vor sowie den Abzug des israelischen Militärs aus dem Gazastreifen und ein Ende der Raketenangriffe palästinensischer Extremisten auf Israel. Nach palästinensischen Zahlen werden knapp 8.000 Palästinenser wegen sicherheitsrelevanter Vorwürfe oder Urteile in israelischen Gefängnissen festgehalten.
Israelische Beamte bestätigten laut der Zeitung "Times of Israel" die Existenz eines solchen Friedensplans. Laut "Jerusalem Post" beriet Israels Kriegskabinett über den Vorschlag aus Ägypten.
Netanyahu unter Druck
Ob er eine Chance auf Umsetzung hat, darf angesichts der jüngsten Kriegsrhetorik bezweifelt werden. Allerdings nimmt der innenpolitische und der internationale Druck auf Israels Regierung zu. Die Lage der Menschen im Gazastreifen ist katastrophal, es gibt Warnungen vor Hunger und Krankheiten. Nach Angaben des von der Hamas kontrollierten Gesundheitsministeriums wurden bislang mehr als 20.400 Menschen getötet. Etwa vier von fünf der 2,2 Millionen Einwohner des Küstenstreifens wurden nach UN-Angaben während des Krieges aus ihren Wohnorten vertrieben.
Die israelische Armee hat nach eigenen Angaben bislang rund 8.000 Hamas-Terroristen getötet. Diese Angabe lässt sich derzeit nicht unabhängig überprüfen, genauso wie die Angaben der Hamas.
Angaben zu Kriegsverlauf, Beschuss und Opfern durch Konfliktparteien können in der aktuellen Lage zum Teil nicht unmittelbar von unabhängiger Stelle überprüft werden.
Regierungschef Netanyahu steht aber auch innenpolitisch unter Druck. Die Angehörigen der in den Gazastreifen verschleppten Geiseln fordern seit Wochen, mehr für deren Freilassung zu tun. Die israelische Armee barg zuletzt die Leichen von insgesamt fünf Geiseln aus einem Tunnelnetzwerk im nördlichen Gazastreifen. Etwa 130 Menschen dürften Schätzungen zufolge noch in der Gewalt der Hamas und anderer Terrorgruppen sein.