Streit um Westsahara EU-Gericht kippt Übereinkünfte mit Marokko
Westsaharas Unabhängigkeitsbewegung Polisario hat vor einem EU-Gericht ein Urteil erstritten, das erhebliche diplomatische Auswirkungen haben könnte. Das Gericht erklärte Teile von Abkommen mit Marokko für nichtig.
Die EU muss nach einem Urteil des Gerichts der Europäischen Union Abkommen mit Marokko nachbessern, weil die "Zustimmung des Volkes der Westsahara" fehle. Wie das Gericht mitteilte, sind Entscheidungen in den Bereichen Landwirtschaft und Fischerei des EU-Ministerrats mit Marokko nichtig. Einzelne Teile der Beschlüsse dürften aber für einen bestimmten Zeitraum aufrechterhalten werden, um die Rechtssicherheit in Bezug auf internationale Verpflichtungen zu wahren.
Die Westsahara war bis 1975 eine spanische Kolonie und wurde nach Abzug der Spanier zum Großteil von Marokko annektiert, was von den meisten Staaten aber nicht anerkannt wird. Die Unabhängigkeitsbewegung Frente Polisario, die einen Teil des Gebietes beherrscht, strebt seit langer Zeit einen Abzug Marokkos aus der Westsahara an. Sie wird von Algerien unterstützt.
Fortschreibung der Rechtsprechung
Der Richterspruch baut auf vorherigen Urteilen aus den Jahren 2016 und 2018 auf. Damals hatte der Europäische Gerichtshof entschieden, dass ein Agrarabkommen der EU mit Marokko und ein Fischereiabkommen die Westsahara nicht einbeziehen dürften. Als Reaktion vereinbarte der Rat mit Marokko Änderungen, die vorsahen, die an die Westsahara angrenzenden Gewässer in den Geltungsbereich des Abkommens aufzunehmen. Dagegen hatte die Polisario 2019 Klage eingereicht.
Das Gericht stellte fest, die Westsahara sei kein Teil Marokkos. Deshalb hätten die Verträge zwischen der EU und Marokko für die Westsahara keine Gültigkeit. Die Polisario dürfe im Sinne des Völkerrechts klagen, da die "Rolle und die Repräsentativität der Klägerin geeignet sind, ihr die Klagebefugnis vor den Gerichten der Union zu verleihen". Die Organisation Western Sahara Resource Watch wertete das Urteil als "bedeutenden Sieg für das Volk der Westsahara".
Wen das Urteil vor allem betrifft
Am meisten betreffen dürfte das Urteil Marokko und Spanien. Der Vertrag sieht vor, dass Marokko vier Jahre lang 128 Schiffen aus elf EU-Staaten Fischfang vor der westafrikanischen Küste erlaubt und dafür pro Jahr 52 Millionen Euro erhält. 92 der Schiffe kommen aus Spanien.
Das Urteil könnte aber auch die Beziehungen der EU zu Marokko insgesamt weiter belasten. Marokko hatte jüngst seine Grenze zur spanischen Nordafrika-Exklave Ceuta faktisch für Migranten aus Afrika geöffnet und damit eine Massenflucht ausgelöst. Zuvor war der Chef der Polisario-Bewegung, Brahim Ghali, mit Billigung der Regierung in Madrid medizinisch in Spanien behandelt worden.
Auch die Beziehungen zu Deutschland sind belastet, nachdem sich die Bundesrepublik im UN-Sicherheitsrat gegen eine Anerkennung der marokkanischen Ansprüche auf die Westsahara ausgesprochen hatte. Daraufhin fror Rabat die Beziehungen zu Berlin im Frühjahr faktisch ein.
Mit Informationen von Stefan Schaaf, ARD-Studio Madrid