ECOWAS hebt Sanktionen auf Wie die Wirtschaftsgemeinschaft einknickte
Mit Druck und strengen Sanktionen wollte die Wirtschaftsgemeinschaft ECOWAS Putschisten in gleich mehreren westafrikanischen Staaten zum Rückzug zwingen. Inzwischen ist das Vorhaben komplett gescheitert.
Geht es nach der Größe der Bevölkerung und der Wirtschaft, ist Bola Tinubu Präsident des stärksten Landes Westafrikas. Nigeria hat riesige Rohstoffreserven, vor allem Rohöl und Gas.
Auf internationaler Bühne möchte Tinubu eine größere Rolle spielen und sein Land als Regionalmacht etablieren. Eine Möglichkeit dafür, diesem Anspruch gerecht zu werden, bot sich Tinubu Ende Mai 2023.
Nigerias Präsident Bola Tinubu bei einem ECOWAS-Treffen
"Nicht dasitzen wie eine zahnlose Bulldogge"
Kurz nach seiner Wahl zum Präsidenten übernahm Tinubu den Vorsitz der Westafrikanischen Wirtschaftsgemeinschaft (ECOWAS). Dem Verbund geht es unter anderem darum, den freien Personen- und Warenverkehr zu fördern. Aber, so schreibt es etwa das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, die ECOWAS nehme zunehmend "eine aktive Rolle als Friedens- und Sicherheitsakteur" ein.
Bei seiner Antrittsrede als Vorsitzender betonte Tinubu vor allem letzteres in einem Ton, den manch einer als aggressiv bezeichnet: "Wir müssen zurückbeißen. Wir können nicht dasitzen wie eine zahnlose Bulldogge", sagte er damals.
Putsch in Niger - ein Lackmustest
Nach Putschen in Guinea, Mali und Burkina Faso wollte Tinubu keinen Coup in seiner Nachbarschaft mehr dulden. Doch nur zwei Monate nach dieser Rede setzte in Niger das Militär den gewählten Präsidenten Mohamed Bazoum in dessen Residenz fest, der Leiter der Präsidentengarde Abdourahamane Tiani erklärte sich zum vorübergehenden Staatschef. Es war der Lackmustest für Tinubu. Würden den scharfen Worten auch Taten folgen?
Die ECOWAS verhängte Sanktionen, Nigeria stellte sogar Stromlieferungen an sein Nachbarland ein. Wirtschaftliche Strafmaßnahmen hatte man bereits gegen Guinea, Mali und Burkina Faso verhängt, deren Mitgliedschaften auch ausgesetzt wurden. Doch gegenüber Niger drohte die Wirtschaftsgemeinschaft sogar mit Gewalt.
Die Bulldogge, um im Bild Tinubus zu bleiben, zeigte also ihre Zähne. Doch sie biss nicht zu. Es wurden keine Truppen entsandt, nur abermals appelliert, Bazoum freizulassen und wieder als Präsidenten einzusetzen. Eine Aufforderung, deren Umsetzung Tag für Tag unwahrscheinlicher wurde. Heute ist sie unvorstellbar
Sanktionen warfen Nigeria zurück
Wer unter den Sanktionen am meisten litt, war jedoch nicht das Militärregime in Niamey, sondern Nigeria. Das sagt der Politikwissenschaftler Hussaini Tukur, Professor an der Nasarawa State University in Keffi.
Die Inflationsrate in Nigeria lag im Januar bei 29,6 Prozent. Preissteigerungen, die viele Menschen an den Rand der Verzweiflung brachten und auf die Straße bewegten. Die Preise, vor allem auf Sprit, waren bereits in den vergangenen Jahren extrem gestiegen.
Die meisten Nahrungsmittel, Medikamente und Industriegüter in Westafrika werden in Nigeria produziert. Nur war der Handel durch die Sanktionen beeinträchtigt.
Wiedereintritt von Burkina Faso, Mali und Niger?
Hinzu kam, dass Ende Januar die Militärjuntas in Burkina Faso, Mali und Niger ihren sofortigen Austritt aus der Wirtschaftsgemeinschaft erklärten. Die Länder hätten sich damit der Kontrolle der ECOWAS entzogen, beschreibt der Politologe Tukur. Der einzige Weg, diese noch zu "umschmeicheln" und vielleicht zum Wiedereintritt zu bewegen, sei, die Sanktionen aufzuheben.
Und genau das tat die ECOWAS am Wochenende. Am Samstag erklärte sie, dass Land- und Luftgrenzen zu Niger mit sofortiger Wirkung wieder geöffnet werden. Handels- und Finanztransaktionen zwischen den Staaten sind wieder möglich. Nur persönliche und politische Sanktionen, hieß es, gelten noch.
Am Sonntag nahm die Wirtschaftsgemeinschaft dann auch Sanktionen zurück, die sie gegen Guinea und Mali verhängt hatte. Nigerias Präsident Tinubu klang wesentlich zahmer als noch im vergangenen Jahr. In diesen Zeiten müssten "schwierige, aber mutige Entscheidungen" getroffen werden, sagte er beim Gipfel in Abuja.
Hinwendung zu Russland und China
Es handelt sich um eine realpolitische Entscheidung. Denn schon länger orientieren sich die Regime in der Sahelregion mehr und mehr nach Osten, an Russland und China. Nicht nur die Nachbarstaaten bekommen das zu spüren, sondern vor allem die ehemalige Kolonialmacht Frankreich.
Zuletzt stürzte Senegals Präsident Macky Sall sein Land und die Region in eine weitere politische Krise, als er die Wahl seiner Nachfolge vom 25. Februar auf den 15. Dezember verlegen wollte. Der dortige Verfassungsrat erklärte dies für verfassungswidrig. Paris verfolgt auch hier die Entwicklungen aufmerksam.
Senegal war bisher ein enger Verbündeter des Westens und Frankreichs. Die vor allem bei der Jugend beliebte Pastef, die Partei des eingesperrten Oppositionsführers Ousmane Sonko, macht sich jedoch gegen den Einfluss aus dem Ausland stark.
Terrorismus-Bekämpfung eine der größten Herausforderungen
Krise folgt auf Krise, speziell für die ECOWAS. Und auch für ein weiteres wichtiges Problem, sagt der nigerianische Ökonom Aliyu Yusha’u, sei die Zusammenarbeit mit den Sahelstaaten unerlässlich: die Terrorismus-Bekämpfung. Speziell Nigeria wird im Norden des Landes, an der Grenze zu Niger, von dschihadistischen Terroristen heimgesucht, die die Bevölkerung angreifen.
Auch Mali, Burkina Faso und Niger haben seit Jahren mit unterschiedlichen Gruppen zu kämpfen. Der mangelnde Erfolg gegen diese führte zu den Putschen, zu Ressentiments gegenüber französischen Soldaten und zu deren späteren Abzug.
Yusha’u erklärt im Interview mit der ARD, dass der Block der westafrikanischen Staaten nie vollkommen sein werde, wenn nicht Nigeria, Niger, Mali und Burkina Faso zusammenarbeiteten. Zu groß sei die Bedeutung der Sahel-Staaten, so der Ökonom.
Einknicken vor Militärregimen
Gleichzeitig ist das Einknicken vor den Putschisten unvereinbar mit den offiziellen ECOWAS-Werten: Demokratie und Rechtsstaatlichkeit. Das Signal, das vom Gipfel in Abuja ausgeht, ist ein Kotau vor den Militärregimen.
Um das Bild von Nigerias Präsidenten Tinubu wieder zu bemühen: Es könnte sein, dass die zahnlose Bulldogge nun ihre eigene Einschläferung beschlossen hat.