Parlamentswahl in Algerien Geprägt von Protest und Repression
In Algerien finden vorgezogene Parlamentswahlen statt. Die Regierung hofft, mit der Abstimmung Vertrauen zu gewinnen. Präsident Tebboune hatte das Parlament im Februar nach Massenprotesten aufgelöst.
Zwei Jahre sind in Algerien vergangen, seit der Langzeit-Machthaber, Ex-Präsident Abd al-Aziz Bouteflika durch wochenlange Proteste im April 2019 zum Rücktritt gezwungen wurde. "Wir sehen zwei Jahre später, dass sich fast nichts geändert hat", sagte der algerische Journalist Khaled Drareni kürzlich der ARD. Wenige Tage später wurde er verhaftet.
"Bouteflika ist weg, aber viele denken, dass wir in einer fünften Amtszeit sind, dass wir eine Fortsetzung von Bouteflikas Regime haben. Es hat zwar (Bouteflika-Vertraute) gegeben, die im Gefängnis sitzen und verurteilt wurden, aber das Regime hat sich nicht geändert", so Drareni.
Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International gab bekannt, kurz vor der Wahl seien Oppositionelle und Journalistinnen und Journalisten verhaftet worden.
Die Protestbewegung und oppositionelle Parteien in Algerien haben zum Boykott der vorgezogenen Wahlen aufgerufen.
Regime ging mit Härte gegen Proteste vor
Anfang des Jahres waren wieder zahlreiche Demonstranten der sogenannten Hirak-Protestbewegung auf die Straße gegangen, nachdem ihr Protest aufgrund der Corona-Pandemie monatelang nur digital stattfinden konnte. Je näher der Wahltermin gerückt sei, desto härter habe das Regime durchgegriffen, schrieb Drareni vor seiner Verhaftung.
"Seit dem 14. Mai werden die Demonstrationen mit Gewalt unterdrückt. Alle, die demonstrieren, alle, die Schilder tragen, werden automatisch verhaftet, angeklagt oder ins Gefängnis geworfen", so Drareni. "Das Regime hat Covid-19 ausgenutzt und findet nun, da die Pandemie in Algerien nachlässt, andere Formen der Repression."
Legitimation durch Wahlen?
Mit den vorgezogenen Parlamentswahlen versucht das algerische Regime, sich einmal mehr zu legitimieren - wie bei den Präsidentschaftswahlen 2019. Auch damals waren die Wahlen massenhaft boykottiert worden. Nach offiziellen Angaben hatten gerade mal knapp 24 Prozent der Wahlberechtigten ihre Stimme abgegeben.
Auch jetzt bei den Parlamentswahlen haben die Protestbewegung und oppositionelle Parteien zum Boykott der vorgezogenen Wahlen aufgerufen. Algeriens politische Elite tausche nur die Köpfe aus und bleibe doch an der Macht, so der Vorwurf.
Viele unabhängige Kandidaten
Es ist das erste Mal, dass von den rund 13.000 Kandidatinnen und Kandidaten für die 407 Abgeordnetensitze so viele Unabhängige gegen Kandidatinnen und Kandidaten etablierter Parteien antreten. Experten rechnen damit, dass islamistische Parteien von den Boykottaufrufen Oppositioneller profitieren könnten.
Bei den vorgezogenen Parlamentswahlen treten so viele unabhängige Kandidatinnen und Kandidaten an, wie noch nie.
Auch nach diesen Wahlen werde sich nichts ändern, prophezeit der algerische Soziologe Arab Izarouken. "Das sind keine Wahlen. Denn seit der Unabhängigkeit bis heute gab es keine echte Wahlen. Wahlen setzen eine Debatte voraus - die gab es nicht", sagt Izarouken. "Sie setzen Freiheit voraus, und die Freiheit ist abwesend - gestern wie heute."
Militär will Macht behalten
Gestern wie heute seien es auch noch dieselben Köpfe, die die politischen Fäden in der Hand hielten, so Regimekritiker: Darunter das Militär, das seine Machtposition, die Kontrolle über die Politik, aber auch über seine diversen geschäftlichen Interessen, behalten möchte. Auch das erkläre, warum die politische Elite bis heute den vom Hirak geforderten politischen Umbruch verhindert hätten, so der algerische Politikwissenschaftler Abenasser Djabi.
"Die grassierende Korruption kann erklären, dass Veränderung abgelehnt werden. Menschen, die Macht haben, wollen sich nicht ändern, weil sie es so besser haben. Wir reden über Milliarden von US-Dollar, die so verschwendet werden", sagt Djabi. "Jedes Mal bei Veränderungen, verändert sich lediglich die sichtbare Gestalt des Systems - das kann ein Präsident sein, ein Regierungschef, ein Parlament und so weiter. Aber die Substanz, die Form des Systems, wird sich nicht ändern."
Opposition ist führungslos
Also keine Veränderungen für Algerien in Sicht? Die Stärke und Schwäche des Hirak sei, so kommentierte mal ein algerischer Journalist: Die Bewegung habe keinen Kopf, den man abschlagen könne. Aber auch die Führungslosigkeit schwächt die Bewegung. Eine konkrete Idee, wie ein Weg hin zu einer Verschiebung der Machtverhältnisse aussehen könnte, hat die Protestbewegung bislang nicht skizziert.