Umfragen von infratest dimap Warum die CSU nicht vom Unmut profitieren kann
Von der allgemein schlechten Stimmung und der Unzufriedenheit über die Ampel haben in Bayern AfD und Freie Wähler deutlich mehr profitiert als die CSU. Woran liegt das? Umfragen von infratest dimap liefern Erkenntnisse.
Die Landtagswahlen in Bayern und Hessen sind stark von zwei Dingen geprägt, die mit der Landespolitik wenig oder gar nichts zu tun haben: der allgemein schlechten Stimmung in Deutschland und der großen Unzufriedenheit mit der Bundesregierung. Nur ein Viertel der Bayern ist mit der Arbeit der Ampel in Berlin zufrieden - und die Zufriedenen kommen fast ausschließlich aus dem Lager von SPD und Grünen.
In Bayern halten noch 58 Prozent die wirtschaftliche Lage für gut. Das ist - verglichen mit anderen Regionen Deutschlands - zwar ein guter Wert. Aber es sind 31 Prozentpunkte weniger als vor der Wahl 2018.
Und fast zwei Drittel der Wahlberechtigten in Bayern machen sich Sorgen, dass der Klimawandel die Lebensgrundlagen zerstört, die Kriminalität zunimmt oder die Einwanderung Deutschland überfordern könnte. Auch der Ukraine-Krieg und die Angst, den Lebensstandard nicht halten zu können, machen vielen Menschen Angst. In der Umfrage, die infratest dimap in den Tagen vor der Wahl durchgeführt hat, sagen 78 Prozent dementsprechend, die Verhältnisse in Deutschland geben Anlass zur Beunruhigung. Von einer Polykrise sprechen Wissenschaftler in so einer solchen Situation, in der mehrere große Krisen zur gleichen Zeit auftreten - und für die Wahlentscheidung hat das Folgen.
Landtagswahl als "Denkzettel" für die Ampel
Bei der Frage, welches Thema für ihre Wahlentscheidung die größte Rolle spielt, nennen viele Bayern solche, über die eher im Bund als im Land entschieden wird - Klima, Zuwanderung oder wirtschaftliche Entwicklung. Und 54 Prozent der Bayern sagen, die Landtagswahl sei eine gute Gelegenheit, um den Regierungsparteien in Berlin einen Denkzettel zu verpassen.
Kein Rückenwind für CSU aus Berlin
Klassischerweise müsste eigentlich die größte Oppositionspartei besonders von einem solchen "Denkzettel" profitieren. Im Bund ist das die Union - also CDU und CSU. Doch die CSU profitiert in Bayern davon gar nicht. Zwar ist sie - wie immer seit Mitte der 1950-Jahre - auch diesmal klar stärkste Kraft geworden. Doch Markus Söder fährt erneut ein für CSU-Verhältnisse dramatisch schlechtes Ergebnis ein.
Einer der Gründe dafür dürfte in Berlin zu suchen sein. Denn nur 42 Prozent der Bayern sind der Ansicht, dass eine unionsgeführte Bundesregierung bessere Arbeit machen würde als die Ampel - Rückenwind sieht anders aus. Der andere ist in Bayern selbst zu finden: Denn hier gibt es zwei weitere Parteien, die vom "Denkzettel" für die Ampel deutlich mehr als die CSU profitieren: Die AfD und die in Bayern äußerst starken Freien Wähler (FW).
Weniger auf Streit aus - das kommt an
An Ministerpräsident Markus Söder selbst dürfte das schlechte CSU-Ergebnis eher nicht liegen. 61 Prozent halten ihn für einen guten Ministerpräsidenten - zwölf Prozentpunkte mehr als 2018. Und immerhin 55 Prozent sind mit seiner Arbeit insgesamt zufrieden. Verglichen mit Ministerpräsidentinnen und Ministerpräsidenten in anderen Bundesländern ist das zwar kein Spitzenwert. Aber bei der allgemein schlechten Stimmung in Deutschland sind Top-Zustimmungswerte um die 70 Prozent, wie sie 2021 SPD-Regierungschefin Manuela Schwesig in Mecklenburg-Vorpommern oder der Grüne Winfried Kretschmann in Baden-Württemberg bekommen haben, nicht zu erwarten.
Anders als bei der Wahl 2018 muss sich Söder diesmal vermutlich auch nicht vorwerfen lassen, im Wahlkampf den falschen Ton angeschlagen zu haben. Vor fünf Jahren hatte er mit Schlagworten wie "Asyltourismus" offenbar versucht, Wähler am rechten Rand zu gewinnen. Auch gegenüber der Schwesterpartei CDU war der Ton mitunter rau. Das kam bei vielen Bayern nicht an.
Diesmal hat Söder zwar bei Auftritten in Bierzelten wieder kräftig ausgeteilt - vor allem in Richtung Grüne. Doch insgesamt gab er im Wahlkampf eher den Staatsmann. So hatten 2018 auch noch mehr als die Hälfte der Wahlberechtigten moniert, dass die CSU zu oft Streit suche. Diesmal waren es 17 Prozentpunkte weniger. Und auch bei den Fragen, ob er führungsstark und sympathisch sei, hat Söder deutlich hinzugewonnen - sein Strategiewechsel kam also offenbar an.
Von der CSU zu den Freien Wählern
Dass die CSU weit entfernt von den Glanzwerten frühere Tage ist, hat viel mit Verschiebungen innerhalb der bürgerlichen Lagers zu tun - und damit mit dem alten und ziemlich sicher auch neuen Koalitionspartner Freie Wähler. Der Löwenanteil des Stimmenzuwachses für sie kommt von der CSU.
Zwar werden der CSU noch immer in fast allen Politikbereichen die höchsten Kompetenzwerte zugeschrieben - gerade in solchen, die für die Wahlentscheidung besonders wichtig waren, wie etwa der Wirtschaft. Doch während die CSU hier im Vergleich zu 2018 deutlich verloren hat, gewinnen die Freien Wähler hinzu.
In Bayern sind die Freien Wähler (FW) eine feste politische Größe - vor allem in den eher ländlichen Regionen, von denen es im flächenmäßig größten deutschen Bundesland eine Menge gibt. Den höchsten Stimmenanteil holen sie auch diesmal wieder in kleinen Gemeinden, wo sie nochmal deutlich hinzugewinnen. In Großstädten können sie hingegen kaum punkten.
Personalisierung statt Konzentration auf Themen
Fest verankert sind die Freien Wähler seit Jahrzehnten auf kommunaler Ebene, wo es eher um Themen als um Köpfe geht. Sie galten stets als Auffangbecken für konservative Wähler, die mit der CSU fremdeln. Das ist auch heute noch so: 46 Prozent der neuen FW-Wählenden sagt, die CSU sei ihnen nicht mehr konservativ genug.
Parteichef Hubert Aiwanger ist es aber auch gelungen, Köpfe in der Partei wichtiger zu machen - besser gesagt vor allem einen: seinen. Er ist unangefochtener Star der Freien Wähler. Und er hat es erfolgreich geschafft, sich - salopp gesagt - als "einer vom Land" zu positionieren, der es "denen da in München" mal zeigt - auch wenn Aiwanger schon qua Amt als Wirtschaftsminister und Vize-Regierungschef eigentlich zu "denen in München" zählt.
Flugblatt-Affäre schadet Aiwanger offenbar nicht
Die Flugblatt-Affäre und seine "Demokratie zurückholen"-Rede auf der Demonstration in Erding, wo er als demokratisch gewählter Politiker indirekt die demokratische Legitimation von Entscheidungen von Bundesregierung und Bundestag in Frage gestellt hatte, haben ihm offensichtlich nicht geschadet - wie das gute Wahlergebnis belegt.
Zwar glauben ihm nur 41 Prozent der Bayern, dass er das antisemitische Flugblatt, das zu Schulzeiten in seiner Tasche gefunden worden war, nicht selbst geschrieben hat. Und immerhin 29 Prozent sagen, man könne ihn und seine Partei nicht mehr von der AfD unterscheiden.
Selbst unter den FW-Wählenden glauben nur 71 Prozent Aiwangers Darstellung in der Flugblatt-Affäre - was im Umkehrschluss aber heißt, dass doch eine erhebliche Zahl ihr Kreuz bei den Freien Wählern macht, obwohl sie davon ausgehen, dass Aiwanger den unsäglichen Text als Jugendlicher selbst geschrieben hat und zudem bei der Aufklärung der Affäre nicht die Wahrheit gesagt hat.
Auf der anderen Seite kommt Aiwanger auf ähnliche gute Zustimmungswerte wie Ministerpräsident Söder: 50 Prozent sind mit seiner Arbeit zufrieden. Und noch etwas ist beim Vergleich der beiden interessant: Bei Ministerpräsident Söder glauben 56 Prozent, dass es ihm mehr um sich selbst als um die Sache geht, bei seinem Vize und Wirtschaftsminister Aiwanger sagen das "nur" 37 Prozent.
Kreuz bei den FW statt bei der AfD
Offenbar gelingt es Aiwanger und seiner Partei auch, eine ganze Reihe von Wählern davon abzuhalten, ihr Kreuz bei der in Teilen rechtsradikalen AfD zu machen. 39 Prozent der FW-Anhänger sagen, ohne die Freien Wähler würden sie in Bayern die AfD wählen.
Trotzdem ist die AfD der zweite Wahlgewinner in Bayern. Und sie ist die Partei, die besonders stark von den Unzufriedenen profitiert - ein Phänomen, das sich bei ihr seit Jahren bei nahezu allen Wahlen zeigt. Doch in der Wahrnehmung vieler Wähler wandelt sich die AfD zunehmend von einer reinen Protestpartei zu einer, der auch tatsächlich zunehmend Kompetenzen zugesprochen werden, Probleme zu lösen - wenn auch auf vergleichsweise niedrigem Niveau.
In Bayern ist die AfD extrem zerstritten und mit Katrin Ebner-Steiner und Martin Böhm angetreten - einem Spitzenduo, das auch für AfD-Verhältnisse als sehr weit rechts gilt. Mehr als Zwei Drittel der Bayern halten die AfD im Freistaat auch für eine rechtsextreme Partei.
Auffällig dabei: Von denjenigen, die die AfD dann tatsächlich wählen, sehen das gerade mal fünf Prozent so - also kaum jemand. Hier herrscht eine andere Einstellung vor: 85 Prozent der AfD-Anhänger sagen in der infratest dimap-Umfrage, es sei ihnen egal, dass die AfD in Teilen als rechtsextrem gilt, solange sie die richtigen Themen anspreche.
Selbst viele Grünen-Wähler wollen andere Asyl-Politik
Für viele AfD-Anhänger ist das vor allem das Thema Migration. Und genau dieses Thema entpuppt sich derzeit als eines der beiden großen Probleme der Grünen. Eine liberale Migrations- und Flüchtlingspolitik gehört quasi zu ihrer DNA. Lange Zeit ist das bei vielen Menschen auf Zustimmung gestoßen, doch die Stimmung hat sich hier in Deutschland in den vergangenen Monaten deutlich gedreht.
In Bayern sagen nur noch 39 Prozent, dass sie den Einsatz der Grünen für eine humane Flüchtlingspolitik gut finden - 20 Prozentpunkte weniger als 2018. Und 83 Prozent der Wahlberechtigten beantworten die Frage, ob es eine andere Asyl- und Flüchtlingspolitik geben müsse, damit weniger Menschen zu uns kommen, mit Ja. Für die Grünen-Spitze vermutlich besonders erschreckend: Selbst von den Grünen-Anhängern sagen das fast 50 Prozent.
Das zweite Problemfeld der Grünen ist die Klimapolitik. Zwar bereitet - wie oben erwähnt - der Klimawandel der ganz überwiegenden Mehrheit der Menschen große Sorgen. Doch bei der Frage, wem die Bürger die beste Umwelt- und Klimaschutzpolitik zutrauen, verliert ausgerechnet die "Klimaschutzpartei" Grüne massiv: 2018 sahen noch zwei Drittel der Bayern bei ihr die meisten Kompetenzen in diesem Bereich, 2023 ist es nur noch ein Drittel.
Minus für Grüne bei Klimakompetenz - Plus für AfD, FW und CSU
Das hat sicher nicht nur mit enttäuschten Grünen-Anhängern zu tun, denen die Grünen in der Ampel inzwischen zu viele Kompromisse beim Klimaschutz machen. Und auch nicht nur mit handwerklichen Fehlern, die die Grünen etwa beim sogenannten Heizungsgesetz gemacht haben. Dass in diesem Feld neben der AfD - die Heimat all derjenigen ist, die den menschengemachten Klimawandel immer noch leugnen - mit CSU und Freien Wählern zwei Parteien an Kompetenzzschreibung gewinnen, die eher nicht durch eine engagierte Klimaschutzpolitik auffallen, lässt sich wohl nur damit erklären, dass die Begeisterung für Klimaschutz sinkt, sobald Maßnahmen drohen, die sich tatsächlich im Alltag bemerkbar machen.
Zudem hat gerade die CSU im Wahlkampf massiv darauf gesetzt, die Grünen als "Verbotspartei" darzustellen - offenbar mit Erfolg. 62 Prozent der Wahlberechtigten stimmen der Aussage zu, dass die Grünen den Menschen vorschreiben wollen, wie sie zu leben haben - 20 Prozentpunkte mehr als 2018.
Großstädte eher grün als rot
Dass die Grünen in Bayern trotzdem nur vergleichsweise wenig verlieren, haben sie offenbar einer stabilen Kernwählerschaft zu verdanken. Die ist im Schnitt jung, gut gebildet und wohnt in Großstädten wie München, Nürnberg oder Augsburg. Und sie teilt die "Verbotspartei"-Einschätzung so gar nicht. Doch Stimmen aus anderen Lagern zu bekommen, fällt den Grünen in der gegenwärtigen Lage offenbar schwer.
Und die SPD? Für die ist Bayern schon seit Langem ein extrem schwieriges Pflaster. Auf dem Land existiert oft noch nicht mal ein Ortsverband, Hochburgen hatte sie früher allenfalls im urbanen Zentrum der großen Ballungsräume München und Nürnberg. Doch da punkten heute vor allem die Grünen, die in Großstädten gegen den Trend sogar leicht hinzugewinnen konnten. Die SPD hingegen hat bei der aktuellen Wahl selbst dort weiter Stimmen verloren.
Von allen Ampel-Parteien am härtesten abgestraft wurde aber die FDP: Sie scheitert in Bayern an der Fünf-Prozent-Hürde.