Neue Studie Extremwetterereignisse immer wahrscheinlicher
Forschende der Initiative World Weather Attribution warnen: Durch den Klimawandel werden Extremwetterereignisse wie das Sturmtief "Boris" in Zukunft doppelt so häufig vorkommen wie bislang.
Nie war ein Sommer wärmer als 2024, schrieb der EU-Klimawandeldienst Copernicus am Anfang September. Wenige Tage später war es damit vorbei: Das Sturmtief "Boris" verursachte sintflutartige Regenfälle. Mehrere Tage lang schüttete es.
Es waren die stärksten Niederschläge, die jemals in Mitteleuropa gemessen wurden. Kurz darauf Hochwasser in Polen, Tschechien, Österreich und Rumänien. Es richtete große Verwüstungen an. Mindestens 24 Menschen starben, Tausende mussten ihre Häuser verlassen.
Analyse der Attributionsforscher: Der Klimawandel ist schuld
Seit zehn Jahren analysiert die World Weather Attribution (WWA), welchen Einfluss der Klimawandel auf extreme Wetterereignisse wie Stürme, extreme Regenfälle, Hitzewellen und Dürren hat. In einer aktuellen Studie haben 24 WWA-Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus sieben europäischen Ländern sowie den USA das Sturmtief "Boris" untersucht.
Das Ergebnis ihrer Studie: Der vom Menschen verursachte Klimawandel, der die Erde seit der vorindustriellen Ära bereits um 1,3 Grad Celsius erwärmt hat, verdoppelt die Wahrscheinlichkeit für solche Extremwetterereignisse und führt dazu, dass die Regenfälle um sieben Prozent stärker werden.
Dabei betont die Forschergruppe, dass die Zunahme der Niederschläge sehr vorsichtig geschätzt sei, sie könnte also auch höher ausfallen. "Boris" könnte also kein "Jahrhundertereignis” bleiben, das nur alle 100 bis 300 Jahre auftritt. Dazu sagt der polnische Klimatologe Bogdan H. Chojnicki, Mitglied der Forschungsgruppe WWA:
Die Überschwemmungen von 1997 und 2002 in Mitteleuropa wurden als einmalige Ereignisse in einem Jahrhundert beschrieben, aber zwei Jahrzehnte später hat sich die globale Erwärmung von 0,5 auf 1,3 Grad Celsius erhöht, und sie sind wieder aufgetreten. Europa erwärmt sich sogar noch schneller als der Rest der Welt.
Ursachenforschung: Wie kam es zu diesem Starkregen?
Im außergewöhnlich warmen Sommer 2024 war das Mittelmeer so warm wie nie und verdunstete stark. Auch die Luft über dem Meer war besonders warm und nahm mehr Feuchtigkeit auf als sonst.
Die warmen feuchten Luftmassen aus Südeuropa trafen dann auf kalte Polarluft, die über die Alpen zog. Dieser Kontrast zwischen kalter und außergewöhnlich warmer feuchter Luft - ein sogenanntes Vb-Tief - führte zu dem Sturm, der die extremen Regenfälle über eine riesige Region brachte.
Ohne Schutzmaßnahmen wäre es schlimmer gekommen
Obwohl es noch nie zuvor so extreme Regenfälle gab, ist die Zahl der Todesopfer geringer als bei vergangenen Extremwetterereignissen. Derzeit schätzt man, dass 24 Menschen zu Tode kamen. Dagegen verloren im Jahr 2002, als Deutschland, Österreich, die Tschechische Republik, Rumänien, die Slowakei und Ungarn vom Hochwasser betroffen waren, 232 Menschen ihr Leben. 2021 waren es in Westeuropa insgesamt mehr als 200 Menschen.
Weniger Todesopfer als früher - das werten die Wissenschaftler der WWA als Erfolg der umfangreichen Investitionen in Vorhersagen und Frühwarnsysteme in den vergangenen Jahrzehnten. Die Notfallmanagementsysteme in ganz Europa wurden ausgebaut. So konnte der Starkregen mehrere Tage im Voraus vorhergesagt werden. Die Bevölkerung wurde gewarnt, Stauseen wurden präventiv geleert und Hochwasserschutzmauern errichtet.
Doch jedes Todesopfer sei eines zu viel, so die Forschergruppe. Das Ausmaß der Überschwemmungen hat viele überfordert - die Schäden sind so immens, dass die Europäische Union zehn Milliarden Euro für Notreparaturen bereitstellt. Die Forscher warnen vor den eskalierenden Kosten des Klimawandels.
Bebauungspläne ändern, um Leben zu retten
Maja Vahlberg, Mitglied der Forschungsgruppe und technische Beraterin des Klimazentrums des Roten Kreuzes und des Roten Halbmonds, fordert: "Diese Überschwemmungen zeigen, wie kostspielig der Klimawandel wird. Selbst nach tagelanger Vorbereitung verwüsteten die Fluten Städte, zerstörten Tausende von Häusern und führten dazu, dass die Europäische Union zehn Milliarden Euro an Hilfsgeldern zusagte. Die Länder müssen sich auf noch nie dagewesene Überschwemmungen einstellen und den Klimawandel in die Flächennutzungsplanung integrieren."
Das Fazit der Forschungsgruppe WWA: Um in Zukunft Leben zu retten, müssen die Bebauung in überschwemmungsgefährdeten Gebieten reduziert und großflächige Überschwemmungsgebiete geschaffen sowie weitere Warnsysteme aufgebaut werden.
Noch häufigere Extremereignisse erwartet
Die Forschungsgruppe hält fest: Wenn sich die Erde um zwei Grad über dem vorindustriellen Niveau erwärmt, was für die 2050er-Jahre erwartet wird, werden solche extremen Wetterereignisse noch häufiger und intensiver.
Die World -Weather-Attribution-Gruppe rechnet damit, dass dann mindestens noch einmal fünf Prozent mehr Regen fallen wird und dass extreme Niederschläge um fünfzig Prozent häufiger werden als sie es heute schon sind - auch das wieder eine vorsichtige Schätzung.
Den Klimawandel begrenzen
Es gibt keinen Zweifel: Der vom Menschen verursachte Klimawandel wird in vielen Regionen der Welt zu stärkeren Niederschlägen führen. Die an der Studie beteiligten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der WWA appellieren dringend, den Klimawandel zu begrenzen.
Joyce Kimutai vom Imperial College London betont: "Solange Öl, Gas und Kohle nicht durch erneuerbare Energien ersetzt werden, werden Stürme wie 'Boris' noch stärkere Regenfälle auslösen und zu Überschwemmungen führen, die die Wirtschaft zerstören."
Friederike Otto, Klimawissenschaftlerin am Imperial College London, kritisiert, dass sich die Politiker in ganz Europa von ihren Klimazusagen zurückziehen: "Der Klimawandel ist eine existenzielle Bedrohung, vor allem für die ärmeren Teile der Gesellschaft, und alle Europäer müssen wissen, dass die Bekämpfung des Klimawandels ihr Leben so viel besser machen wird - der Ausstieg aus den fossilen Brennstoffen schafft Arbeitsplätze, senkt die Energierechnungen, macht die Städte zu gesünderen Orten zum Leben und verringert das Risiko von tödlichen Überschwemmungen."