Klimatechnologien Energierevolution auf den Shetlands
Was das Gastgeberland der Klimakonferenz zur CO2-Senkung vorhat, wird auf den britischen Shetland-Inseln besonders deutlich: Weg von Öl und Gas, hin zu Windkraft und Wasserstoff. Doch manchen gehen die Pläne zu weit.
Auf den Shetland-Inseln ist heute ein besonders windiger Tag. Hier weht es immer. Aber jetzt biegen sich sogar die Fahnenstangen vor dem Rathaus im Städtchen Lerwick im Wind. Die Wolken ziehen in hoher Geschwindigkeit über das dunkle Gebäude aus dem 19. Jahrhundert hinweg. Drinnen sitzt der Stadtrat Steven Coutts. "Die Shetland-Inseln haben ein riesiges Potenzial", sagt er. Rund um die Shetlands gibt es die windigsten Plätze in ganz Europa - ideal für Windparks auf dem Land und vor der Küste.
"Es geht um die Umstellung der Öl- und Gasindustrie auf erneuerbare Energien", sagt Coutts. "Unser Öl-Terminal könnte ein guter Ort sein für die Produktion von Wasserstoff. Und in den Pipelines, die es schon gibt, kann auch Wasserstoff transportiert oder untergemischt werden."
Die Revolution ist bereits sichtbar. Wer mit dem Auto auf der Hauptstraße von Lerwick Richtung Norden fährt, sieht überall in den Hügeln die Bagger. Noch steht kein Windrad für den größten Onshore-Windpark Europas. Aber in den Hügeln arbeiten bereits viele, Wege sind angelegt, Fahrzeuge liefern Beton, die riesigen Fundamente werden gegossen. 103 Windräder sollen installiert werden, sie sind um die 150 Meter hoch und produzieren Strom, mit dem etwa 500.000 Haushalte versorgt werden könnten. Den Windpark "Viking" planen, aufbauen und betreiben wird das britische Unternehmen SSE Renewables.
Mehr als hundert Windkraft-Anlagen sollen für den Onshore-Park "Viking" errichtet werden.
Technologiewandel vom Wohnzimmer aus
Auf der größten Insel der Shetlands, nördlich von Lerwick, wohnt Douglas Irvine. Er arbeitet für die Verwaltung und verantwortet das Energieprojekt "Orion", das die grüne Revolution bringen soll. Eine Chart-Präsentation erklärt, worum es geht: Die Shetlands CO2-neutral zu machen, die Öl- und Gasförderung umzustellen auf grüne Energie und den Export von grünem Wasserstoff zu ermöglichen. Ein Technologiewandel - gesteuert aus dem Wohnzimmer.
Auf den Karten ist dargestellt, wo neue Offshore-Windparks rund um die Shetlands entstehen sollen, wo der Strom aus Windkraft Wasserstoff produzieren soll. Der Hafen und das Öl-Terminal sind dargestellt, wo der Wasserstoff verschifft werden soll. Rund 350.000 Tonnen grüner Wasserstoff - also gewonnen aus Windkraft - könnten hier pro Jahr hergestellt werden. Beteiligt an dem Projekt sind Energieriesen wie Shell, BP und Total, Technologiekonzerne wie Babcock, ABB, Hitachi und die Universität Glasgow - und ein Technologiezentrum aus Aberdeen, gefördert mit Mitteln der schottischen Regierung.
Mit diesen Partnern und der britischen Regierung werden gerade mehrere Studien durchgeführt, um herauszufinden, wie der grüne Wasserstoff hergestellt werden kann, ob er mit Schiffen exportiert wird und welche Märkte dafür offen wären, Europa beispielsweise oder Norwegen. Das Potenzial für Windkraft sei riesig, sagt Gunther Newcombe, der Koordinator des Projekts, der in der Ölindustrie und für die britische Behörde für Kohle und Bergbau gearbeitet hat.
Kritiker halten Projekt für zu groß
Auf den Shetlands geht es auch um konkrete Anwendungen. Die maritime Wirtschaft ist hier bedeutend. Hier steht die zweitgrößte Fischfangflotte Großbritanniens, zwischen den Inseln verkehren Fähren, und Service-Schiffe arbeiten rund um die Ölplattformen. "Dieser gesamte maritime Sektor muss anfangen, darüber nachzudenken, wie man auf grüne Energien umstellen kann", sagt Newcombe.
Nicht alle auf der Insel finden die Projekte richtig. Es gibt Widerstand. Die 23.000 Bewohnerinnen und Bewohner sind gespalten darin, wie sie den Fortschritt bewerten sollen. "Viele hier verstehen, dass wir nach vorne denken müssen. Aber andere sind der Ansicht, dass dieses ganze Projekt viel zu groß ist für unsere kleine Gemeinde", sagt Douglas Irvine.
Von seinem Wohnzimmer aus kann man aus dem großen Fenster über die Wiese ins Dorf blicken. Sein Haus liegt auf einer Anhöhe. Hier ist die Insel schmal. Links die Nordsee, rechts der Atlantik. Hier ist immer was los, sagt Douglas und meint das eher aufs Wetter bezogen. Mit dem Finger zeigt er Richtung Hauptstraße. Dort ist auch das Hallenbad - eines von vier Schwimmbädern auf der Insel.
Insel profitiert von Pacht-Einnahmen
Den Ortschaften auf der Insel geht es gut. Als Ende der 1970er-Jahre ein Terminal für die Ölindustrie gebaut wurde, hat die Verwaltung gut verhandelt. Die Einwohner haben vom Umschlag profitiert. Es gibt sogar in kleinen Siedlungen ein Gemeindehaus, die vier Schwimmbäder und die Straßen sind deutlich besser als im fernen London. Das soll auch so bleiben. Die Insulaner haben über ihre Zukunft gut verhandelt.
Der Öl- und Gas-Terminal Sullom Voe entstand Ende der 1970er-Jahre. Hier wird in der Nordsee gefördertes Öl gelagert, bevor Tanker es weitertransportieren.
Der Betreiber der Windräder zahlt den Eigentümern der Ländereien eine Pacht. Und weil auch der Gemeinde Land gehört, fließt auch Geld in deren Haushalt. Außerdem wird der Betreiber - wenn die Windräder in Betrieb gehen - für jede produzierte Kilowattstunde einen Betrag an die Gemeinde entrichten, so fließen noch mal um die zwei Millionen Pfund in die Kassen. Auch Jobs werden geschaffen: Nach Angaben des Unternehmens SSE sind rund 140 Personen mit dem Aufstellen der Windräder beschäftigt, später werden 35 feste Stellen bleiben.
Wenig überzeugt von den Argumenten der Gemeindeverwaltung ist Laurie Goodlad. Sie ist auf den Shetlands geboren, hat dann in Dundee in Schottland studiert und ist wieder zurückgekommen auf die Insel, die sie liebt. Goodlad schreibt über das Leben hier und führt Touristen über die Insel. "Hier wurde mit dem Bulldozer gegen die öffentliche Meinung der Windpark durchgesetzt", sagt sie. Die Windräder wird man von weitem sehen, wahrscheinlich von allen Punkten der Insel aus. Und Laurie fragt sich, warum jetzt ausgerechnet auf den Shetlands die Energiewende so massiv vorangetrieben wird und hier der Strom für das Vereinigte Königreich herkommen soll. Außerdem befürchtet sie, dass der Schaden durch die riesigen Fundamente groß ist und Moorland zerstört wird.
Strom aus Kraft der Gezeiten
Gänzlich unsichtbar und deswegen weniger umstritten ist das Gezeitenkraftwerk auf den Shetlands. Zwischen den beiden nördlichsten Inseln Yell und Unst kann man mit dem bloßen Auge nur sehen, wie das Meer das Wasser durch die Enge drückt. Hier fließt die Nordsee in den Atlantik. An dieser Stelle steht das erste Tidenkraftwerk weltweit mit bislang vier Turbinen, zwei weitere sollen in den Fluten versenkt werden. Die Anlage ist in 30 Metern Tiefe installiert. Die Turbinen erinnern an Windkrafträder, mit zwei Rotoren. Das Unternehmen Nova Innovation aus Edinburgh hat die Turbinen hier aufgestellt.
"Wir haben nachgewiesen, dass wir verlässlich Elektrizität mit den Gezeiten herstellen können", sagt der Projektmanager Tom Wills. "Nun geht es darum, die Kosten zu drücken, so dass wir wettbewerbsfähig sind im Vergleich zu anderen Technologien. Das Potenzial, diese Technologie weltweit auszurollen, ist groß."
Auf den Shetlands vollzieht sich eine Energiewende. Eine kleine Insel, auf der sich Fortschritt, Konflikte und die wirtschaftlichen Auswirkungen wie in einem Versuchslabor beobachten lassen. Die Anwohner der Insel werden einen relativ großen Beitrag leisten zum Wandel, den Premierminister Boris Johnson für das Vereinigte Königreich versprochen hat.