Gesundheit Klimawandel verändert Alltag in Arztpraxen
Die aktuellen Klimaveränderungen begünstigen bestimmte Krankheiten. Das verändert auch die Arbeit in den Arztpraxen und beeinflusst organisatorische Abläufe ebenso wie die Auswahl von Medikamenten.
Ute Gebhardt ist 66 Jahre alt und wohnt in Ginsheim-Gustavsburg bei Wiesbaden. An diesem Morgen besucht sie im Ort ihre Hausärztin Ulrike Berg. "Vor drei Jahren ist mir im Sommer bei einer Veranstaltung plötzlich der Kreislauf weggesackt", erzählt Gebhardt. Das habe sie völlig verunsichert, denn sie nahm damals schon Blutdruckmedikamente und dachte, alles sei unter Kontrolle.
Berg konnte ihre Patientin jedoch beruhigen: "Es gibt Medikamente, bei denen man die Menge oder die Einnahmefrequenzen anpassen muss, wenn es heiß wird", erklärt sie - und zu denen gehörte auch das Blutdruckmedikament von Gebhardt. Die kommt seitdem zweimal jährlich zur Anpassung ihrer Medikation in Bergs Praxis. "Da bin ich auf der sicheren Seite", sagt sie.
Andere Medikamente und andere Dosierungen
Veränderte Medikamentendosierungen sind aber nur eine Facette, wie sich der Klimawandel medizinisch bemerkbar macht. Zum Beispiel beeinflusst er auch, in welcher Form Substanzen verabreicht werden, sagt Berg, wie etwa bei Wirkstoffpflastern: "Wenn es warm ist, ist die Haut besser durchblutet, und die Aufnahme des Wirkstoffs aus dem Pflaster ist höher." Bei Morphium-haltigen Schmerzmitteln etwa könne es dann besser sein, auf Tabletten umzusteigen.
Nicht zuletzt beeinflussen die aktuellen Umweltveränderungen auch die Häufigkeit von Krankheiten, ergänzt Bergs Kollegin Astrid Rehner aus Frankfurt am Main: "Wir sehen vermehrt Atemwegsbeschwerden wie Allergien", zählt sie auf. "Wir sehen hitzebedingte Herz-Kreislauf-Beschwerden. Und wir sehen, dass bei Infektionskrankheiten, die von Tieren übertragen werden, eine veränderte Impfberatung nötig wird." Ein Beispiel dafür sei die Frühsommer-Meningoenzephalitis. Sie wird von Zecken übertragen, und die breiten sich dank des wärmeren Klimas immer weiter aus.
Klimawandel beeinflusst die Organisation der Praxen
Geht es darum, die neue Lage im Umgang mit den Patienten abzubilden, ist bereits einiges im Gang. Immer öfter gibt es "Klimasprechstunden", die über die Zusammenhänge von Klima und Gesundheit informieren. Ältere Patienten bekommen an heißen Tagen frühe Termine oder werden per Telemedizin behandelt. Bei mehreren Medikamenten-Alternativen drängt sich das mit der besseren CO2-Bilanz auf. So bei Asthma-Medikamenten, bei denen die Sprays mit Treibmitteln (Hydrofluoralkane) laut der Europäischen Allergiestiftung ECARF eine etwa 25 Mal schlechtere CO2-Bilanz als Inhalatoren haben, bei denen der Wirkstoff durch tiefes Einatmen in die Lunge gelangt.
Daneben bilden sich Ärztinnen und Ärzte selbst zu den neuen Entwicklungen fort, und viele überlegen, wie sie ihre Praxen klimabewusster führen können. "Wir fragen uns inzwischen bei allem, wieviel CO2 wir dabei verbrauchen", berichtet Hausärztin Berg, "und wir versuchen, wo immer möglich, CO2 einzusparen." Bei Hausbesuchen etwa nimmt sie heute fast immer das Fahrrad.
Über die Gesundheit ein besseres Klimabewusstsein zu entwickeln, das sei trotzdem noch an vielen Stellen mühsam. Nicht nur, weil viele Patienten angesichts der vielen anderen Krisen nichts vom Klimawandel wissen wollten, sagt Medizinerin Rehner, sondern auch weil etwa die Krankenkassen die klimasensible Gesundheitsberatung noch viel zu schlecht honorierten.
"Kassen brauchen mehr Spielräume"
Organisationen wie die Deutsche Allianz Klimawandel und Gesundheit (KLUG e. V.) wollen das ändern, sagt ihr stellvertretender Vorsitzender Max Bürck-Gemassmer: "Die Kassen selbst sollten mehr Spielräume kriegen, damit sie im präventiven Bereich auch mehr proaktiv tun können", fordert er. "Ferner wäre es wichtig, dass sich die Kassen mehr verbünden und nicht gegeneinander konkurrieren, auch um ihr solidarisches Finanzierungsmodell für die Zukunft zu sichern."
KLUG selbst hat zudem das Projekt "Transformative Arztpraxen" angestoßen, das Praxen bei den anstehenden sozialen und ökologischen Veränderungen begleitet. Denn der Klimawandel unterstreicht eindeutig: Gesundheit ist unser höchstes Gut.