Anwohner betrachten aufgestapelte Autos, die von den Überschwemmungen in Valencia weggeschwemmt wurden. (Archivbild: 30.10.2024)

Klimareport Europa spürt den Klimawandel immer deutlicher

Stand: 15.04.2025 04:46 Uhr

Europa entwickelt sich zu einem Hotspot des Klimawandels. 2024 verzeichnete der Kontinent das wärmste Jahr seit Beginn der Wetteraufzeichnungen. Erstmals erreichte der Temperaturanstieg 1,5 Grad.

Von Sven Kästner, WDR

Es war ein Schock für die Menschen rund um Valencia: Am 29. Oktober vergangenen Jahres stieg nach Sturzregenfällen an der spanischen Ostküste das Wasser rasend schnell in den Straßen. Es überflutete Gebäude, schob Autos wie Spielzeugschachteln übereinander und beschädigte Verkehrsanlagen. Mehr als 200 Menschen kamen ums Leben.

Die sintflutartigen Niederschläge waren nur eines von vielen Extremwetterereignissen des vergangenen Jahres. Der Klimazustandsbericht für Europa, heute vom EU-Klimadienst Copernicus und der Weltmeteorologieorganisation WMO veröffentlicht, listet eine Vielzahl von Stürmen, Extremniederschlägen, Hitzewellen und Waldbränden auf. Die Fachleute schätzen, dass sie Schäden von mehr als 18 Milliarden Euro verursachten.

Friederike Otto, Klimaforscherin Grantham Institute für Climate Change, zum neuen Copernicus-Bericht über den Klimawandel

tagesschau24, 15.04.2025 11:00 Uhr

"Europa ist der Kontinent, der sich am schnellsten erwärmt und gerade sein wärmstes Jahr seit Beginn der Wetteraufzeichnungen erlebt hat", sagt Florence Rabier. Die Meteorologin leitet das Europäische Zentrum für mittelfristige Wettervorhersagen, das den Copernicus-Dienst im Auftrag der Europäischen Kommission betreibt.

Gletscher schmelzen schneller

Der aktuelle Bericht bestätigt, was Copernicus bereits im Januar veröffentlicht hatte: 2024 war nach 2023 erneut ein Rekordjahr, die europäische Mitteltemperatur stieg erstmals überhaupt über die 1,5-Grad-Marke des Pariser Klimaabkommens. Insgesamt war fast die Hälfte des Jahres wärmer als der langjährige Durchschnitt. 44 Tage gehörten zu den wärmsten überhaupt seit Beginn der Aufzeichnungen.

Eine Folge: In den Alpen schmolzen Gletscher im Rekordtempo, in den europäischen Gebieten nördlich des Polarkreises verlor das Eis so viel Masse wie nie zuvor. Ohnehin gehört die Arktis global zu den Regionen, die sich am schnellsten erwärmen. Der Bericht listet als Beispiel das norwegische Spitzbergen auf, wo die Temperatur im vergangenen Sommer 2,5 Grad über dem bisherigen sommerlichen Durchschnitt lag.

Was steht im Pariser Klimaabkommen?
2015 hat die Weltgemeinschaft im Pariser Klimaabkommen beschlossen, die globale Erwärmung auf unter zwei Grad zu begrenzen. 196 Vertragsparteien unterschrieben damals den Vertrag. Sie verpflichten sich, den Kampf gegen den Klimawandel konsequent anzugehen und Treibhausgasemissionen schnell zu senken. Fossile Energieträger wie Erdöl sollen praktisch nicht mehr nutzbar sein. Außer den Vereinigten Staaten ist bislang kein anderes Land aus dem Abkommen ausgetreten.
2024 lag die globale Durchschnittstemperatur laut dem Klimawandeldienst Copernicus erstmals 1,6 Grad über dem vorindustriellen Niveau.

Auf zwei Dritteln des europäischen Festlandes verzeichneten die Forscher deutlich mehr heiße und trockene Tage als im langjährigen Durchschnitt. Das betraf vor allem den Süden und Osten, während der Westen des Kontinents auch warm, aber feucht war.

Die Forschenden haben die extremen Hitzeereignisse genauer unter die Lupe genommen und festgestellt, dass Südosteuropa zwischen Juni und Anfang September von insgesamt sechs Hitzewellen getroffen wurde. Darunter war mit 13 Tagen Dauer die bisher längste überhaupt. "Wir zählen 43 der insgesamt 97 Sommertage zu diesen Hitzewellen", berichtet Copernicus-Vize-Direktorin Samantha Burgess. "Manchmal lagen nur wenige kühlere Tage dazwischen."

Aufgeheizte Meere

Die Hitze erwärmte auch die europäischen Meere, deren Oberflächentemperaturen deshalb deutlich stiegen. Besonders stark heizte sich mit einem Plus von 1,2 Grad das Mittelmeer auf. Wärme ist Energie, die den Wasserkreislauf ankurbelt. Die Verdunstung nahm zu, weshalb es in Westeuropa überdurchschnittlich viel regnete. Die Folgen waren gravierend: Flüsse in Polen, Tschechien und Rumänien traten über die Ufer, mindestens 22 Menschen starben. Eine Analyse des Alfred-Wegener-Institutes ergab, dass das verantwortliche Sturmtief "Boris" ohne den Einfluss des Klimawandels neun Prozent weniger Regen gebracht hätte.

Laut Klimazustandsbericht erlebte Europa im vergangenen Jahr die stärksten Überschwemmungen seit 2013. "Dem Weltklimarat zufolge überschritten 30 Prozent des Flussnetzes die Hochwasserschwelle und zwölf Prozent sogar den Wert für schwere Fluten", sagt Samantha Burgess. "Europa gehört zu den Regionen, deren Hochwasserrisiko am stärksten steigen wird."

Meteorologen führen auch die sintflutartigen Regenfälle und das folgende Blitzhochwasser rund um Valencia Ende Oktober auf das aufgeheizte Mittelmeer zurück. In ganz Europa waren nach Copernicus-Schätzungen mehr als 400.000 Menschen von Überschwemmungen betroffen, mindestens 335 starben.

Städte passen sich an Klimawandel an

Die Copernicus-Wissenschaftler prognostizieren, dass vielen Regionen des Kontinents in den kommenden Jahrzehnten mehr Hochwasser als bisher droht. Das Schadensrisiko werde mancherorts auf das Zehnfache steigen, heißt es im Klimabericht. Vor allem Großstädte seien darauf zu wenig vorbereitet, kritisiert Andrew Ferrone aus dem luxemburgischen Umweltministerium, der auch im Weltklimarat IPCC mitarbeitet: "Es besteht dringender Handlungsbedarf."

Aber es gibt auch Positives: Mittlerweile kommen 45 Prozent des europäischen Stroms aus erneuerbaren Quellen - ein Rekordwert. Die Hälfte der europäischen Städte plant bereits Schritte, um sich an den Klimawandel anzupassen. Vor sieben Jahren waren es nur 26 Prozent.

Es geht zum Beispiel darum, versiegelte Flächen wieder zu begrünen, mehr Bäume zu pflanzen oder Wasserrückhaltebecken zu bauen. Der Klimabericht nennt als positive Beispiele Paris, Mailand oder Bratislava. "Wir sehen, dass die europäischen Städte beachtliche Fortschritte machen", sagt Andrew Ferrone. "Das wird die Fähigkeit verbessern, den Herausforderungen des Klimawandels wirksam zu begegnen."

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete NDR Info am 15. April 2025 um 08:00 Uhr.