Literaturnobelpreisträgerin Han Kang Auf der Suche nach der Sprache des Vertrauens
Es sind die Verlorenen und Ausgeschlossenen, die in ihren Büchern die Worte suchen. Für Literaturnobelpreisträgerin Han Kang geht es dabei immer auch um die großen Fragen - und das Vertrauen in die Menschheit.
Han Kang war neun Jahre alt, als sie mit ihren Eltern aus ihrer Heimatstadt Gwangju in die südkoreanische Hauptstadt Seoul zog. Ein Jahr später brach die Gewalt über Gwangju herein: Ein Protest von Studierenden gegen die südkoreanische Militärdiktatur wurde grausam niedergeschlagen. Mehr als 2.000 Menschen kamen ums Leben, darunter auch viele Kinder und Schüler.
Verlorenes Vertrauen
Han Kang erinnert sich noch genau, wie sie von diesem Massaker erfuhr. Als Raunen in den Gesprächen der Eltern war es schon etwas länger dagewesen, doch dann fand sie einen Fotoband mit den Toten des Aufstands. Das Bild eines Mädchens, dessen Gesicht schrecklich entstellt war.
Damals, so hat es Han Kang öfter in Interviews geschildert, sei etwas in ihr zerbrochen. Sie habe das Vertrauen in die Menschen verloren. Und sich immer wieder die Frage gestellt: Was wäre geschehen, wenn sie geblieben wäre?
Auseinandersetzung mit dem Trauma
Ihre Bücher sind auch eine Auseinandersetzung mit dem Trauma von damals. "Meine erste Erinnerung stammt aus Gwangju", so beginnt ihre Künstler-Erzählung "Deine kalten Hände", die Geschichte eines Bildhauers, der spurlos verschwunden ist. Nur sein Werk bleibt: Gipsabdrücke von Körpern, in denen der Künstler versuchte, das Unterbewusste seiner Modelle einzufangen. Abbildungen von Toten, die selbst nicht mehr sprechen können.
In "Menschenwerk", ihr Roman, in dem sie direkt von dem Massaker erzählt, gibt sie den Toten eine Stimme. Lässt sie ihren Schmerz und ihr Unverständnis über das, was ihnen geschieht, in Worte fassen. Ein leises, unaufgeregtes Buch, das sich auf historische Dokumente und Gespräche mit den Überlebenden stützt und das auch ihr eigenes Entsetzen beschreibt: "Sie hat kein Vertrauen in die Menschheit. Sie vertraut keinem Gesichtsausdruck, keiner Wahrheit, keinem Wort. Sie weiß, dass sie mit hartnäckigen Zweifeln leben muss und schonungslosen Fragen", heißt es über eine Überlebende in der deutschsprachigen Übersetzung des Romans von Ki-Hyang Lee.
Schonungslose Fragen
Diese schonungslosen Fragen stellt Han Kang auch in ihren anderen Büchern: Welche Auswirkungen hat eine autokratische Militärherrschaft auf die Gesellschaft? Wie kann aus einem solchen System eine Demokratie entstehen? Han Kang wählt für ihre Suche nach Antworten oft einsame, isolierte Figuren.
Wie etwa die junge Yeong-Hye aus ihrem Weltbestseller "Die Vegetarierin", für den sie 2016 den Man Booker International Prize erhielt. Yeong-Hye ist eine ganz normale Frau, so beschreibt sie zumindest ihr Mann.
Doch eines Tages, nach einem Traum, beschließt sie, auf Fleisch zu verzichten. Ein zusätzliches Organ ist ihr gewachsen, welches sie das Leid der Tiere mitempfinden lässt, was bei ihrem Mann und der restlichen Gesellschaft aber auf Unverständnis, ja Verachtung stößt. Ein Leben ohne Schuld möchte Yeong-Hye führen - doch genau das wird ihr zum Vorwurf gemacht.
Eine besondere Sprache
Das Mitleiden an der Welt macht das Leben in ihr oft schwer erträglich. Wie begehrt man dennoch auf in einer Welt, die von Normen, Zwängen und Erwartungen erfüllt ist? Davon zu erzählen braucht eine besondere Sprache. Meisterhaft hat Han Kang diese in ihrem gerade erst auf Deutsch erschienenen Roman "Griechischstunden" gefunden. Eine Schriftstellerin, die das Sprechen verlernt hat und ein Lehrer, der das Augenlicht verlieren wird, treffen hier aufeinander.
Am Anfang steht zwischen ihnen das Schweigen: "Jedes Mal, wenn sie nun einen Satz beginnen wollte, fühlte sie sich in ihrem ausdrucksleeren, vertrockneten und nur notdürftig geflickten Herzen alt." Ein Roman über die Stille, die es auszuhalten gilt, wenn uns die Worte fehlen. Doch langsam, fast wie in einer Meditationsübung geschrieben, finden beide schließlich eine neue, gemeinsame Art der Kommunikation: "Mit geschlossenen Augen reibt er seine Wange an ihrer, auf der Suche nach der zartesten Stelle."
Han Kang schreibt über die Versehrten unserer Gesellschaft. Über die Verlorenen und Ausgeschlossenen. Und gibt ihnen damit eine Stimme: Leise, poetisch und bei allem Schmerz auch hoffnungsvoll.