Gletscherarchäologie Neue Konservierungstechnik für Ötzi
Das Schmelzen der Gletscher legt immer mehr archäologische Funde frei. Die Forschung sucht nach neuen Wegen um vor allem Gletschermumien wie Ötzi zu konservieren.
Es war ein Glücksfall für die Wissenschaft: Bei einer Bergwanderung in den Ötztaler Alpen im Jahr 1991 entdeckt ein Nürnberger Ehepaar auf 3.210 Metern Höhe zufällig den berühmten "Mann aus dem Eis": Eine 5.300 Jahre alte Mumie. Schnee und Eis hatten den Körper, die Kleidung und die Ausrüstung über Jahrtausende nahezu perfekt konserviert. Seit 33 Jahren wird Ötzi mittlerweile erforscht - über kaum einen Menschen weiß die Wissenschaft mehr als über den Mann aus der Kupfersteinzeit.
Der Münchner Anthropologe Albert Zink leitet die Mumienforschung am Eurac Institut in Bozen: "Das hat natürlich ganz neue Einblicke erlaubt. Inzwischen wissen wir sehr, sehr viel über den Ötzi. Wie die Lebensumstände waren vor mehr als 5.300 Jahren, seine genetische Herkunft, wie er ausgesehen hat. Und dass er eben auch viele Krankheiten hatte, die wir heute als Zivilisationskrankheiten ansehen würden, wie beispielsweise Gefäßverkalkungen."
Überraschende Erkenntnisse über Ötzis Aussehen
2012 wurde Ötzis Erbgut erstmals entschlüsselt. Daraufhin rekonstruierte man das Aussehen des Mannes, der aus dem Hinterhalt von einem Pfeil getroffen wurde und wohl daran starb: Er war etwa 1,60 Meter groß und etwa 50 Kilogramm schwer. Man glaubte, dass er hellhäutig war und langes welliges Haar hatte, ein "früher Europäer". Doch eine neue Genanalyse im Jahr 2023 lieferte die Überraschung: Ötzi war gar nicht der hellhäutige Mann, als der er lange dargestellt wurde. Die genetische Probe von 2012 war offenbar verunreinigt gewesen. In Wahrheit hatte er eher dunklere Haut, dunkle Augen und eine Halbglatze. Seine Vorfahren waren hauptsächlich Bauern aus Anatolien. Weniger als zehn Prozent seines Erbguts stammen von europäischen Jägern und Sammlern. Außerdem fand man heraus, dass er die genetische Veranlagung für Diabetes und Übergewicht in sich trug.
Gesucht: eine neue Konservierungsmethode für Ötzi
Ötzi, wie "Der Mann aus dem Eis" nach seinem Fundort genannt wird, lagert seit Ende der 1990er-Jahre im Südtiroler Archäologiemuseum in Bozen. Aus dieser Zeit stammt auch die Konservierungsmethode. Mit viel Aufwand wird er feucht und kalt gehalten. Er liegt in einer Kühlkammer bei minus sechs Grad Celsius und fast 100 Prozent Luftfeuchtigkeit unter ähnlichen Bedingungen wie an seiner Fundstelle im Eis. Dennoch verliert die Mumie kontinuierlich Wasser mit unabsehbaren Folgen für das Erbgut, das noch erhalten ist. Deshalb wird Ötzi alle zwei Monate mit sterilem Wasser besprüht. Die Eisschicht, die sich dabei bildet, soll den Körper vor der Austrocknung schützen. Das Problem, so Albert Zink: "Man muss immer wieder mit der Mumie interagieren, und das ist immer ein gewisses Risiko."
Albert Zink und der Konservator Marco Samadelli von Eurac Research suchen deshalb nach einer besseren Konservierungsmethode. Die Idee: Statt die Mumie wie bisher permanent kalt und feucht zu halten, soll sie in einen trockenen Zustand überführt werden. Statt in einer Kühlkammer könnte sie dann in einer Vitrine gelagert werden, in der Luftdruck, Temperatur und Luftfeuchtigkeit stabil blieben und Eingriffe von außen nicht mehr nötig wären. Weiterer Vorteil: Museumsbesucher könnten die Mumie noch genauer betrachten.
Eine 400 Jahre alte Gämse hilft den Forschern
Doch wie entwickelt man eine neue Methode, ohne sie an der wertvollen Mumie zu testen? Ein weiterer Zufall kommt den Wissenschaftlern zu Hilfe: 2019 findet ein Bergsteiger auf einem Gletscher den mumifizierten Kadaver einer Gämse. Das Tier war mehr als 400 Jahre lang im Eis konserviert und erst durch die Gletscherschmelze freigelegt worden. Ein ideales Forschungsobjekt.
Zwei Jahre lang werden Albert Zink und Marco Samadelli vorsichtig Proben der Gämse trocknen. Aus früheren Studien kennen die beiden Wissenschaftler die optimalen physischen und chemischen Bedingungen, um Mumienfunde zu konservieren. Diese Bedingungen stellen sie zunächst im Labor her, um dann zu untersuchen, wie sich verschiedene Konservierungsmethoden auf das Erbgut auswirken.
Forscher hoffen auf noch mehr Wissen über Ötzi
Es geht darum, eine Methode zu entwickeln, bei der man die Mumie erhält und weiter untersuchen kann, ohne die alte DNA zu zerstören. Denn, so Albert Zink: "Wer weiß, was wir in 30 Jahren alles herausfinden können, beispielsweise, wie sein Immunsystem funktioniert. Wir wissen, Organe, das Gehirn ist erhalten. Vielleicht ist irgendwann die Möglichkeit auch da irgendetwas herauszulesen, was wir uns zurzeit noch überhaupt nicht vorstellen können."
Das Projekt ist noch ganz am Anfang. Aber in zwei bis drei Jahren, so hoffen alle Beteiligten, gibt es belastbare Ergebnisse. Dann wollen die Wissenschaftler dem Museum in Bozen eine Empfehlung für die künftige Konservierung geben können.
Eine fantastische Chance für die Gletscherarchäologie
Und es geht nicht nur um Ötzi, sondern auch darum, weitere Funde aus dem Eis für künftige Untersuchungen zu konservieren. Die Chancen für archäologische Funde steigen aufgrund der klimabedingten Eisschmelze. Andererseits ist das Zeitfenster kurz, um Relikte zu entdecken und zu sichern. Denn sobald die Funde frei geschmolzen sind, drohen sie zu verrotten. 20 bis 30 Jahre bleiben den Gletscherarchäologen nach eigener Einschätzung noch, um wertvolle Überbleibsel früherer Jahrhunderte oder Jahrtausende zu finden und zu bergen. Eine enorme Aufgabe. Denn die Gletscher schrumpfen zwar rasant, doch die Fläche, die untersucht werden muss, ist immer noch riesig