Knochenschwund Osteoporose schneller erkennen und besser behandeln
Obwohl Osteoporose eine Volkskrankheit ist, wird sie aktuell in Deutschland bei 70 Prozent der Betroffenen nicht diagnostiziert. Eine neue medizinische Leitlinie soll die Versorgung verbessern.
Wenn die Knochendichte abnimmt, steigt das Risiko für schlimme Knochen- oder Wirbelkörperbrüche dramatisch an. Schmerzen, Operationen, Bewegungseinschränkungen und ein erhöhtes Sterberisiko sind die Folgen.
Über sechs Millionen Menschen in Deutschland haben eine Osteoporose. Doch die Risikofaktoren und Auswirkungen scheinen vielen unbekannt, oder sie werden verdrängt. Auch die ärztliche Versorgung ist bislang nicht optimal. Die neue Leitlinie des Dachverbands Osteologie soll die Erkennung und Behandlung in Zukunft erheblich verbessern.
Fast vier Zentimeter geschrumpft
Andrea S. aus Hamburg bemerkt vor einigen Monaten, dass ihr Rücken runder wird. "Mein Brustkorb hat sich angefühlt, als würde ich nach vorn zusammensinken." Als sie sich zu Hause misst, folgt der Schock: Die 59-Jährige hat Körpergröße verloren, fast vier Zentimeter ist sie kleiner geworden. Als Physiotherapeutin weiß sie, dass dies ein Zeichen einer Osteoporose sein kann und vereinbart einen Termin bei einer Orthopädin.
Risiko soll regelmäßig ermittelt werden
Wenn die Osteoporose früh erkannt und gut behandelt wird, lassen sich schlimme Folgen wie Knochenbrüche oft verhindern. Deshalb sollen Ärztinnen und Ärzte laut der neuen Leitlinie jetzt das Risiko für Osteoporose regelhaft bei Männern bereits ab 50 Jahren ermitteln, bei Frauen nach der letzten Regelblutung. Da im Alter ab 70 auch das Sturzrisiko erheblich steigt, wird spätestens dann eine ärztliche Untersuchung empfohlen.
Neu ist außerdem, dass bei einem Sturz mit Knochenbruch anschließend immer gezielt nach Osteoporose-Zeichen gefahndet werden soll. Bislang blieb es oftmals dem Zufall überlassen, ob nach Behandlung des Bruches eine Osteoporose als Ursache erkannt und behandelt wurde.
Entscheidend: Die individuelle Gefahr von Knochenbrüchen
Bei einer Osteoporose bauen die Knochenzellen mehr Knochen ab als sie aufbauen. Daher nimmt die Knochendichte ab, und die Knochen werden poröser und anfälliger für Brüche. Dann können schon Alltagsbewegungen oder kleine Stürze zu Brüchen führen. Besonders gefährlich sind Brüche von Oberschenkelhalsknochen und Rückenwirbeln. Bei älteren Menschen heilen die Knochen schlechter und wer mit Schmerzen immobil ist, läuft Gefahr, schnell abzubauen.
Manchmal ist der Bruch dann der Anfang vom Ende. Das Knochenbruchrisiko ist also für den Verlauf entscheidend. Während bislang die Einteilung der Osteoporose-Schwere vor allem durch Grenzwerte bei der Knochendichtemessung bestimmt wurde, ist jetzt eine Einschätzung der individuellen Situation des Patienten möglich.
Mehr als 100 Risikofaktoren
In der neuen Leitlinie sind 101 Risikofaktoren für Osteoporose-assoziierte Knochenbrüche definiert: das Alter, Rauchen, starker Alkoholkonsum und Untergewicht gehören dazu. Außerdem haben Frauen ein größeres Risiko als Männer. Nach aktuellen Erkenntnissen erhöhen Erkrankungen wie Diabetes, Gelenkrheuma oder eine Schilddrüsenunterfunktion das Risiko. Cortison-Tabletten und Mittel gegen zu viel Magensäure, sogenannte Protonenpumpenhemmer, können ebenfalls den Knochen schwächen.
Bei Andrea S. überprüft die Orthopädin systematisch die entscheidenden 33 Risikofaktoren und findet eine familiäre Vorbelastung und ein starken Vitamin D-Mangel. Nicht alle der 101 Faktoren gehen in die Risikoberechnung ein, die Auswahl von 33 Faktoren und ihre Gewichtung basieren auf aktuellen Forschungsergebnissen. Der neue Risikorechner aus der Leitlinie ergibt bei Physiotherapeutin Andrea S. ein erhöhtes Knochenbruch-Risiko. Dieses Ergebnis ist dann die Grundlage für das weitere Vorgehen: Andrea bekommt eine Knochendichtemessung.
Knochendichte als ein Faktor von vielen
Die Knochendichtemessung mit der DXA-Methode ist eine bestimmte Art des Röntgens. Sie ermittelt die Knochenstruktur und den Mineralgehalt an beiden Oberschenkelknochen und in der Lendenwirbelsäule. Bislang wurde oft erst nach einem Bruch die Knochendichte gemessen. Sinnvoll kann die DXA-Messung jedoch schon bei einem frühen Osteoporose-Verdacht sein, um die Ergebnisse in die Risikoberechnung aufzunehmen. Die Werte entscheiden aber nicht mehr, wer behandelt wird und wer nicht. Auch ohne Knochendichtemessung kann bereits eine Therapie erfolgen.
Basis-Therapie und Training
Bei Osteoporose ist vor allem eine gute Basistherapie wichtig. Oberste Priorität hat eine ausreichende Versorgung mit Kalzium und Vitamin D. Und auch Bewegung ist unverzichtbar, denn das leichte Stauchen des Knochens und die Muskelarbeit beim Laufen, Hüpfen oder beim Training an Geräten wie etwa Vibrationsplatten, regen den Knochen zum Aufbau an. Koordinations- und Gleichgewichtstraining machen den Alltag sicherer und helfen, Stürze und Knochenbrüche zu vermeiden.
Medikamente für Betroffene
Ob eine Therapie über eine Vitamin-D-Gabe hinaus nötig ist, richtet sich nach dem individuellen Knochenbruchrisiko und der Situation des Patienten: Ist bereits ein Bruch aufgetreten, oder hat sich die Knochendichte im Verlauf verschlechtert? Im Prinzip gibt es zur Behandlung der Osteoporose zwei Arten von Medikamenten: zum einen Mittel, die helfen, den Knochen zu erhalten, zum anderen Mittel zum aktiven Knochenaufbau.
Die knochenaufbauenden Medikamente wurden in der Vergangenheit eher selten verschrieben, doch das soll sich jetzt ändern. Osteoporose-Spezialistin Anna-Katharina Doepfer erklärt. "Wenn ein akuter Bruch wie ein Wirbelsäulenbruch oder ein Schenkelhalsbruch vorliegt, dann braucht man ein Medikament, was schnell wirkt. Weil wir wissen, dass es zu Folgebrüchen kommen kann. Daher werden dann eher schnell wirksame Medikamente eingesetzt, die idealerweise knochenaufbauend sind und die Knochenstruktur verbessern."
"Wir fangen jetzt früher an zu therapieren"
Mit all diesen Neuerungen ist die neue Leitlinie für Doepfer ein großer medizinischer Fortschritt. "Wir fangen jetzt früher an zu therapieren", sagt die Fachärztin. "Wir warten nicht, bis der Zustand des Knochens schlecht ist, sondern wir versuchen ihn frühzeitig zu stabilisieren und damit ersparen wir den Patienten Leid und weitere Probleme."
Die Osteoporose ist nicht heilbar, aber das Risiko für Knochenbrüche kann durch eine Therapie gesenkt werden. Und auch Andrea S. schaut zuversichtlich in die Zukunft. Sie hat keinen Bruch, braucht noch keine knochenstärkenden Medikamente und hofft, dass das noch lange so bleibt.