Debatte über Zulassung Kinder-Impfung - das Für und Wider
Sollten Kinder und Jugendliche gegen Corona geimpft werden dürfen? Die Politik drängt dazu, die STIKO ist skeptisch, die Wissenschaft uneins. Was für eine Impfung von Jüngeren spricht - und was dagegen.
Um welche Impfstoffe geht es?
Mit BioNTech/Pfizer hat der erste Hersteller eine EU-Zulassung für 12- bis 15-Jährige beantragt. Die europäische Arzneimittelbehörde EMA will voraussichtlich am Freitag ihre Entscheidung dazu bekanntgeben. Auch der Hersteller Moderna will für seinen Impfstoff eine Zulassung ab zwölf Jahren beantragen.
In Deutschland folgt dann aber nicht zwingend eine Impfempfehlung der Ständigen Impfkommission STIKO für alle Kinder und Jugendliche. Kommissionsmitglied Rüdiger von Kries sagte dem rbb, er halte wegen des noch unklaren Risikos eine allgemeine Impfempfehlung der STIKO bei Kindern für unwahrscheinlich. Auch der STIKO-Vorsitzende Thomas Mertens äußerte sich im Deutschlandfunk skeptisch. Denn es geht um die Frage: Ist das Risiko der Erkrankung geringer als das der möglichen Nebenwirkung einer Impfung? Es würden schließlich "keine Bonbons verteilt", sondern es werde ein medizinischer Eingriff vorgenommen, betonte Mertens.
Was ist bei einer Impfempfehlung für Kinder anders?
Kinder sind biologisch gesehen keine kleinen Erwachsenen. Es reicht also nicht, eine Impfdosis einfach an ihre Körpergröße oder ihr Körpergewicht anzupassen. Für jedes Medikament sind grundsätzlich eigene Studien in der jungen Altersgruppe nötig.
Für den Antrag auf Zulassung für 12- bis 15-Jährige reichte für den Hersteller BioNTech/Pfizer ein Test an nur rund 1000 Teenagern. Der STIKO ist das für ihre Empfehlung aber nicht genug. "Das ist deutlich zu gering, um seltene Komplikationen nach der Impfung vorhersagen zu können", sagte STIKO-Mitglied Martin Terhardt, Kinder- und Jugendarzt in Berlin, kürzlich im rbb.
Deshalb warte das ehrenamtliche Gremium auf mehr Daten aus den USA und Kanada, wo der Impfstoff seit Mai an Kinder und Jugendliche verabreicht wird. Es geht um eine Prüfung zu Sicherheit, Verträglichkeit und Wirksamkeit. Die STIKO-Empfehlung werde deshalb wahrscheinlich erst deutlich nach der EMA-Entscheidung kommen, so Terhardt. Und sie könnte Einschränkungen enthalten - etwa, dass zunächst nur chronisch kranke Kinder geimpft werden sollten.
Wie gefährdet sind Kinder und Teenager überhaupt?
Für Medizinerinnen und Mediziner geht es bei einer Impfung zuerst um den individuellen Schutz des Menschen, der die Impfung bekommt. Erst danach wird der Nutzen gesehen, den eine Impfung für die Allgemeinheit bedeutet. Bei Kindern gilt das Selbstschutz-Argument nicht so stark wie bei Älteren, denn sie erkranken deutlich seltener als Erwachsene an Covid-19.
Allerdings gibt es auch bei Kindern Fälle mit schwerem oder tödlichem Verlauf - wenn auch deutlich seltener als bei Älteren. Angenommen wird, dass ein erheblicher Teil der Infektionen ohne oder nur mit milden Krankheitsanzeichen verläuft.
Spätfolgen (Long Covid oder Post Covid), die teils auch erst Monate nach der Infektion auftreten oder sich verschlechtern, werden nicht nur bei Erwachsenen, sondern auch bei Minderjährigen beobachtet. Zur Dauer und Häufigkeit ist aber noch vieles unklar. Es habe den Anschein, dass Langzeitfolgen bei Kindern eher aufträten als die akute Erkrankung, sagte Charité-Virologe Christian Drosten kürzlich im NDR-Podcast "Coronavirus-Update".
Daneben gebe es das Zusatzproblem des pädiatrischen Multisystem-Inflammationssyndroms (PIMS), das eine Krankenhausbehandlung erfordert. Das sind Entzündungen, die Kinder etwa ab dem Grundschulalter bis zur Pubertät betreffen können. Die Datenlage zu der schweren Erkrankung, die Wochen nach einer akuten Infektion auftritt, sei unklar. Zu befürchten sei, dass das Syndrom in einem von 1000 Fällen auftrete.
Lassen sich Kinder auch anders schützen?
Für Kinder unter zwölf Jahren rechnet STIKO-Mitglied Terhardt ohnehin nicht vor Ende des Jahres mit einem zugelassenen Impfstoff. Auch die Immunisierung von Teenagern bis 16 Jahre werde im Falle einer Zulassung dauern.
Allerdings profitieren Kinder und Jugendliche offenbar deutlich davon, wenn Ältere geimpft sind - und wenn in Schulen häufig getestet wird. Virologe Drosten verweist auf Erfahrungen aus Großbritannien: Vier Wochen nach den Osterferien sei die Infektionsrate in den Schuljahrgängen niedrig geblieben, twitterte er jüngst. Das sei anders, als im Teil-Lockdown November und Dezember. "Damals gab es bei Kindern ca. vier Mal mehr Infektionen als bei Erwachsenen." Die neuen Zahlen aus Großbritannien seien die Folge eines Schulbetriebs mit intensiver Testung und zunehmend geimpfter Erwachsenen-Bevölkerung sowie weit gesenkter Wocheninzidenz.
"Das ist wirklich ermutigend für den Schulbetrieb. Die Impfung der Erwachsenen könnte den Ping-Pong-Effekt zwischen Schulen und Haushalten unterbrechen." Zur Situation in Deutschland bis zum Herbst sagte Drosten, es sei zu erwarten, dass sich Eltern von Schülerinnen und Schülern impfen lassen. Diese Abschirmung der Haushalte könne hoffentlich auch den Schulbetrieb schützen, so dass dieser mit Tests offen gestaltet werden könnte.
Welche Rolle spielen Kinder für die Herdenimmunität?
Unter Herdenimmunität versteht man, dass so viele Menschen - durch Impfung oder eine überstandene Infektion - immun sind, dass sich das Virus in der Gesellschaft nicht weiter verbreiten kann. Der Präsident des Robert Koch-Instituts, Lothar Wieler, nannte kürzlich einen Anteil Immuner von 80 Prozent als Zielmarke. Bisher sind allerdings erst knapp 15 Prozent der Menschen hierzulande vollständig geimpft.
Einer Studie unter Leitung Drostens zufolge sind Kinder und Jugendliche ähnlich ansteckend wie Erwachsene. Die sogenannte Viruslast sei in allen Altersgruppen in etwa gleich, berichten die Forscher im Fachmagazin "Science". Darum zählen auch Kinder und Jugendliche, wenn es um das Erreichen einer schützenden Herdenimmunität geht. Minderjährige haben in Deutschland einen Anteil von 16,4 Prozent an der Bevölkerung.
Mit Material von dpa