Rhythmusstörungen Wenn das Herz im jungen Alter stehen bleibt
Tausende Menschen sterben jedes Jahr am plötzlichen Herztod - und das trifft nicht nur Ältere. Auch bei jungen Erwachsenen und selbst Kindern kann das Herz schon durch ein Weckerklingeln lebensbedrohlich aus dem Takt geraten.
Jonathan Blankemeyer hatte Glück. Bei ihm wurde das Long QT-Syndrom - eine der häufigsten genetischen Herzerkrankungen - im Alter von drei Jahren diagnostiziert. Weil eine Cousine von ihm immer wieder in Ohnmacht fiel, wurde sie gründlich untersucht und dabei die genetische Veränderung festgestellt.
Daraufhin wurde die gesamte Familie durchgecheckt. Ergebnis: Auch Jonathans Vater ist betroffen und hat den Gendefekt an seinen heute 18-jährigen Sohn weitergegeben.
Beim Long QT-Syndrom ist die Reizleitung im Herzen gestört. Die Herzmuskelzellen brauchen ungewöhnlich lange, um sich nach einem Herzschlag zu entspannen und für den nächsten Schlag bereit zu machen. In dieser Zeit ist das Herz anfällig für krankhafte Extraschläge, aus denen sich urplötzlich eine gefährliche Herzrhythmusstörung entwickeln kann.
Viele wissen nichts von ihrer Erkrankung
Ausgelöst werden kann eine solche Arrhythmie nicht nur durch körperliche Anstrengung, sondern auch durch einen Sprung ins kalte Wasser oder durch Stress. Selbst akustische Signale wie eine laute Haustürklingel oder ein schriller Wecker können das Herz lebensbedrohlich aus dem Takt bringen.
Die Ursachen für einen Herzstillstand bei jungen Menschen sind meistens angeborene Herzfehler, Veränderungen der Herzkranzgefäße oder Herzmuskelentzündungen. Auch exzessiver Drogenkonsum kann tödlich enden.
Der größte Teil aber geht auf genetisch bedingte Herzerkrankungen zurück. In Deutschland sterben nach Angaben der Deutschen Herzstiftung jährlich vermutlich mindestens 1.000 bis 2.000 Menschen unter 40 an einem solchen plötzlichen Herztod - bei hoher Dunkelziffer.
Das Fatale, sagt Silke Kauferstein vom Zentrum für plötzlichen Herztod und familiäre Arrhythmiesyndrome am Institut für Rechtsmedizin des Universitätsklinikums Frankfurt am Main: Die Betroffenen merkten oft nichts von ihrer Erkrankung, der plötzliche Herzstillstand sei "das erste und einzige Anzeichen" für den genetischen Defekt.
Noch keine Therapie des zugrundeliegenden Gendefekts
Bislang gibt es keine ursächliche Behandlung für solche Herzrhythmusstörungen. An Gentherapien wird geforscht - noch aber ist kein Medikament in Sicht. Die Basistherapie basiert auf Betablockern, die die Wirkung des Stresshormons Adrenalin und des Botenstoffs Noradrenalin herabsetzen und so das Herz beruhigen.
Der beste Ratschlag, den Larissa Fabritz, Professorin am Universitären Herzforschungszentrum des Universitätsklinikums Hamburg-Eppendorf Betroffenen geben kann: Den Lebensstil anpassen. "Man sollte nicht unbedingt Bungee-Jumping machen oder in die Geisterbahn gehen und sich eine gewisse Ruhe antun", so die Kardiologin.
Warnsignale nicht eindeutig
Jonathan will sich von seiner Erkrankung nicht völlig ausbremsen lassen. Der Betablocker schützt ihn, macht ihn aber auch müde. Umso wichtiger ist ihm sein Rudersport. Nicht auf Hochleistungsniveau - davon haben ihm die Ärzte dringend abgeraten - aber doch regelmäßig. Das Training tut ihm gut.
Jonathan weiß um sein Risiko und kann sich schützen. Andere wissen nicht, in welcher Gefahr sie schweben. Umso wichtiger ist es gerade für junge Menschen, ungewöhnliche Ereignisse ernst zu nehmen. Etwa kurze Ohnmachtsanfälle bei sportlicher Belastung. Oder Krampfanfälle ohne ersichtlichen Grund. Dann sollte man abklären lassen, was dahintersteckt. Umso mehr, wenn es in der Familie schon plötzliche Todesfälle in jungen Jahren gegeben hat. Oft werden diese Fälle als "Herzinfarkt" verbucht. Dahinter steckt aber meist eine genetisch bedingte Herzerkrankung.
Genuntersuchung kann schützen
Um mehr über Ursachen und Warnsignale zu erfahren, bauen Silke Kauferstein und ihr Team von der Rechtsmedizin des Universitätsklinikums in Frankfurt am Main gerade ein bundesweites Register auf, mit Daten von jungen Menschen, die einen plötzlichen Herztod erlitten haben.
Um herauszufinden, welche Genmutation vorliegt, müssen die Verstorbenen obduziert werden. Die Forensiker suchen im Gewebe, aber auch in den Genen nach relevanten Veränderungen, die den plötzlichen Herztod ausgelöst haben. Denn noch sind viele Fragen ungeklärt, etwa was bei welcher genetischen Veränderung der konkrete Auslöser für einen Herzstillstand ist.
Doch die Untersuchungen, die nötig sind, um mehr Informationen zu sammeln, werden in Deutschland von den Krankenkassen nicht bezahlt. Die forensische Genetikerin Kauferstein finanziert ihre Arbeit bislang mit Hilfe von Stiftungsgeldern.
Gezielte Präventionsstrategien entwickeln
Je mehr Informationen Kauferstein und ihr Team über die zugrundeliegende Erkrankung gewinnen können, desto eher können sie das Risiko von Angehörigen einschätzen. In Frankfurt gibt es eine angeschlossene Ambulanz, in der Familienmitglieder betreut werden. Das Ziel: optimale Vorsorge. Die Betroffenen werden medikamentös optimal eingestellt und beraten, wie sie sich schützen können. "Das rettet Leben, weil wir das Risiko in den betroffenen Familien verhindern", sagt Kauferstein.