UN-Weltnaturkonferenz beginnt Wie viel Artenschutz ist nötig?
In Kolumbien startet heute die 16. UN-Weltnaturkonferenz. Ihr Hauptanliegen wird sein, den Stand des Weltnaturabkommens von 2022 zu prüfen. Aber nicht alle haben ihre Hausaufgaben gemacht.
Am 19. Dezember 2022, nachts gegen 04.00 Uhr, war es so weit: In Montréal verabschiedeten die Vertragsparteien des UN-Abkommens über die Biologische Vielfalt (CBD) den Weltnaturvertrag. Ein Rahmenwerk, mit dem weltweit der Erhalt der Ökosysteme, Arten und genetischen Ressourcen erreicht werden soll.
Bundesumweltministerin Steffi Lemke freute sich damals über die klar formulierten Ziele - etwa, dass 30 Prozent der Flächen an Land und auf See unter Schutz gestellt, der Pestizideinsatz bis 2030 halbiert oder umweltschädliche Subventionen abgebaut werden sollen. Der Grünen-Politikerin war aber auch klar: "Die Hausaufgaben fangen jetzt an, wenn alle, die hier verhandelt haben, fast 200 Staaten, wieder zu Hause sind. Dann muss dieses Rahmenwerk in nationale Politik übersetzt werden."
Haben alle ihre Hausaufgaben gemacht?
Getauft als "Kunming-Montreal Global Biodiversity Framework" enthält das Rahmenwerk 27 lang- und mittelfristige Ziele. Sie sollen in großen Teilen schon bis 2030 umgesetzt werden. Zu den bereits aufgeführten kommt zum Beispiel noch das Vermeiden von Plastikmüll. Die Aussterberate der Arten soll um das Zehnfache gesenkt werden. 30 Prozent der geschädigten Ökosysteme sollen renaturiert werden. Doch schon unmittelbar nach seiner Verabschiedung kam Skepsis auf am neuen Abkommen.
"Das Papier ist nicht geeignet, um wirklich den Stopp des Ökosystemverlusts und des Artensterbens einzuleiten", urteilte damals etwa Jörg-Andreas Krüger, der Präsident des Naturschutzbundes Deutschland (NABU), und forderte Nachverhandlungen.
Zu schwammig seien die Ziele, Zeitplan und Finanzierung seien zu unkonkret und die Ergebnisse zu unkontrollierbar - etwa, wenn Unternehmen offenlegen sollen, wie sie von Biodiversität abhängig sind und wo sie sie schädigen. "Da steht mehr oder weniger drin, man soll möglichst was tun, um das zu stoppen", kritisierte Krüger, "aber das ist natürlich nicht der Wumms, dem man braucht, um zu sagen: Das ist die Konvention, die das Artensterben stoppt".
Aktionsmodus mit angezogener Handbremse
Wie ist es nun seit dem Ende der Weltnaturkonferenz in Montréal weitergegangen? Bestenfalls gebremst - zeigt allein der Blick aus deutscher Perspektive. Positiv war etwa die Einigung der Weltgemeinschaft auf das UN-Hochseeschutzabkommen, zu dessen Erstunterzeichnern Deutschland 2023 gehörte. Auf der anderen Seite widersprechen zum Beispiel die nationalen Strategiepläne der Gemeinsamen EU-Agrarpolitik den Umweltambitionen der Europäischen Union, heißt es in einem Bericht des Europäischen Rechnungshofs.
"Wir sehen zusätzlich, dass die Gelder, die verteilt werden, sowohl auf Bundesebene als auch auf Brüsseler Ebene, nicht unbedingt dafür eingesetzt werden, die Biodiversitätsfinanzierung zu erhöhen. Ganz im Gegenteil, sie werden sogar verringert", kritisiert Heike Vesper, Vorstandsmitglied der Umweltstiftung WWF Deutschland. Sie geht mit gedämpften Erwartungen in die kommende Weltnaturkonferenz, die COP 16. Zumal der Erhalt der natürlichen Lebensgrundlagen im Moment mit so vielen anderen Krisen weltweit konkurriert.
Weniger Plastikmüll und "Frieden mit der Natur"
Dennoch erwartet Vesper von der Konferenz im kolumbianischen Cali auch positive Wendungen - etwa, dass ein verbindliches UN-Abkommen zur Beendigung der Plastikverschmutzung getroffen werden soll. Darüber soll auf der COP 16 in der finalen Runde verhandelt werden.
Für sie ist das aber auch nur eines von vielen Rädchen, an denen gedreht werden muss, damit das in Montréal verabschiedete Rahmenwerk auch endgültig umgesetzt wird. Unter dem Motto "Peace with Nature", "Frieden mit der Natur", wird es in Cali vor allem um eins gehen: Den Stand der Umsetzung der großen Ziele von 2022 zu überprüfen und wo nötig nachzujustieren. Unter Einbezug aller relevanten Akteure der Zivilgesellschaft.
Mehr Kontrolle tut Not
Dieser Kontrollschritt erscheint allein deshalb wichtig, weil bisher nur wenige Staaten ihre Aktionspläne und nationalen Umsetzungsstrategien (NBSAPs) für den Weltnaturvertrag fertiggestellt und veröffentlicht haben. "Dazu waren sie in Montréal aufgefordert worden", betont die Wissenschaftliche Geschäftsführerin des Helmholtz Zentrums für Umweltforschung (UFZ) in Leipzig, Prof. Dr. Katrin Böhning-Gaese. Auch Deutschland ist hier mit seinen Hausaufgaben nicht rechtzeitig fertig geworden.
Damit sich potenzielle Verbesserungen aus den NBSAPs zudem auch wirklich messen ließen, sagt Böhning-Gaese, müsse in Cali auch das Monitoring der Biodiversität weiterentwickelt werden. "Ein weiterer wichtiger Punkt sind die Finanzen. Ohne mehr Mittel werden sich die Ziele von Montreal nicht umsetzen lassen. Denn die globalen Hotspots der Biodiversität liegen meist in Entwicklungsländern, denen das Geld für wirksamen Naturschutz häufig fehlt."
Aus diesem Grund hatten sich die reichen Nationen in Montreal verpflichtet, Entwicklungsländern bis zum Jahr 2030 mindestens 30 Milliarden Euro jährlich für den Biodiversitätsschutz zur Verfügung zu stellen. "Das sollte dringend vorangetrieben werden."
Klimawandel und Biodiversität zusammen denken
"Noch immer kommt dem Klimawandel mehr Aufmerksamkeit aus Politik und Wirtschaft zu", gibt in diesem Zusammenhang die kolumbianische Umweltministerin Susana Muhamad zu bedenken. Doch Klima- und Biodiversitätskrise wären zwei Seiten einer Medaille. Das zu vergessen sei gefährlich. Die COP16 in Kolumbien wolle auch diese Einsicht fördern.
Ebenso soll das Thema Biodiversität wieder stärker und dauerhaft ins Blickfeld von Politik und Gesellschaft gerückt sowie Mut und Schwung für die Umsetzung des Weltnaturvertrags erzeugt werden. Das sei immens wichtig, denn "der fortschreitende Verlust der biologischen Vielfalt hat seit der Verabschiedung des Weltnaturabkommens nicht abgenommen", erklärt Kathrin Samson, Vorständin Naturschutz bei der Umweltstiftung WWF Deutschland.
Bis zum ersten Etappenziel 2030 blieben noch fünf Jahre, um die ambitionierten globalen Ziele umzusetzen und den Biodiversitätsverlust umzukehren. Wenn wir auch in Zukunft gut und sicher auf diesem Planeten leben wollen, ist jetzt keine Zeit mehr für leere Worte auf großer Bühne.