
Forschung zur Evolution Blütenpflanzen entstanden vor 123 Millionen Jahren
Die Entstehung der Blütenpflanzen kam einer Revolution in der Ökologie gleich. Doch wie und wann genau das geschah, ist immer noch ein Rätsel. Jetzt hat ein deutsches Forscherteam den Zeitraum präzisiert.
Im Erdmittelalter oder Mesozoikum, das vor etwa 250 Millionen Jahren begann, herrschte auf unserem Planeten Treibhausklima. Die Temperaturen waren viel höher als heute, die Polkappen waren eisfrei und der Meeresspiegel lag etwa 250 Meter höher. Das Gebiet, das heute Europa ist, lag größtenteils unter Wasser. Die Pflanzenwelt bestand vor allem aus Moosen und Farnen sowie Nadel- und Ginkgobäumen.
Doch vor etwa 130 Millionen Jahren passierte etwas, das sich Charles Darwin, der Begründer der Evolutionstheorie, nicht erklären konnte und das er als "abominable mystery" - "abscheuliches Rätsel" bezeichnete: die Entstehung der Blütenpflanzen.

Nadelbäume zählen zu den sogenannten Nacktsamern. Ihre Samen liegen offen im Zapfen. Auch Ginkgos und Palmfarn sind Nacktsamer.
Heute etwa 300.000 Arten von Blütenpflanzen
Zwar hatte es auch zuvor schon Samenpflanzen gegeben. Doch deren Samen lagen offen und ungeschützt, weshalb sie auch als Nacktsamer bezeichnet werden. Doch plötzlich entwickelte sich eine andere Art: sogenannte Bedecktsamer oder Angiospermen. Ihre Besonderheit: Blütenblätter, die die Samen schützten. Dieses Konzept erwies sich offenbar als so erfolgreich, dass sich die Blütenpflanzen in kürzester Zeit - also in "nur" etwa 40 Millionen Jahren - über die ganze Erde verbreiteten und immer mehr Arten bildeten. Heute gibt es etwa 300.000 Arten von Blütenpflanzen - mehr als von irgendeiner anderen Pflanzengruppe.
Erdgeschichte an der portugiesischen Steilküste
Wie und warum die Blütenpflanzen aufkamen - dieses Rätsel ist bis heute nicht gelöst. Doch immerhin gibt es jetzt neue Forschungsergebnisse zu der Frage, wann das vermutlich geschah. Dafür war ein Team um die Biologin Julia Gravendyck von der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn und den Geologen Ulrich Heimhofer von der Leibniz Universität Hannover in Portugal unterwegs.
Vor mehr als 100 Millionen Jahren befand sich dort ein flaches Meer. Land ragte dort, wo heute Europa ist, nur an wenigen Stellen aus dem Wasser. Von dort spülten Flüsse Pflanzen und Pollen ins Meer, wo sie sich ablagerten. Wenn man heute vor der portugiesischen Steilküste steht, liegen die Sedimentschichten offen vor einem - die Erdgeschichte türmt sich quasi auf und die Forscher können Proben einfach herunterkratzen. Das Forscherteam um Gravendyck und Heimhofer hat Gesteinsproben aus den Sedimentschichten gesammelt, von denen sie vermuteten, dass sie Nachweise der frühesten Blütenpflanzen enthalten könnten.

An der portugiesischen Steilküste liegen die Sedimentschichten offen. So konnten die Forscher direkt Proben entnehmen.
0,02 Millimeter kleine Blütenpollen-Fossilien
Zurück in Deutschland saß Julia Gravendyck wochenlang am Mikroskop und analysierte die Proben. Es war wie die Suche nach der Nadel im Heuhaufen. Doch sie wurde fündig. Sie entdeckte vier winzige Pollenkörnchen - 0,02 Millimeter groß. Die Körnchen, sogenannte Trikolpaten, haben drei Furchen wie alle Blütenpflanzen mit zwei Keimblättern.
Die Schicht, in der sie gefunden wurden, ist 123 Millionen Jahre alt. Für das Forscherteam der Beweis, dass sich die ersten Blütenpflanzen in diesem Zeitraum entwickelten und damit mindestens zwei Millionen Jahre früher aufgetaucht sind, als man bisher dachte. Dank der eingesetzten Technik ist das Forscherteam sicher, dass die Datierung wesentlich genauer ist als bei früheren Studien.
Klimawandel als Evolutionstreiber?
Und noch mehr hat das Forscherteam herausgefunden. So vermuten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, dass die Blütenpflanzen im heutigen Portugal zum ersten Mal auftraten. Bisher ging man davon aus, dass sie eher in den Tropen entstanden sind. Aber, so Ulrich Heimhofer, es sei durchaus denkbar, dass vor etwa 120 Millionen Jahren die Temperaturen in den Tropen so hoch waren, dass die Evolution dort vielleicht sogar eingeschränkt war.
Die Frage, warum sich die Blütenpflanzen entwickelten, kann die Forschergruppe jedoch auch nicht beantworten. Manche Wissenschaftler vermuten, dass das Klima eine Rolle spielte. Heimhofer hält das für plausibel: Denn in der Kreidezeit zerfielen die riesigen zusammenhängenden Kontinente allmählich, es entstanden durch Wasser getrennte Landmassen, die mehr Niederschlag abbekamen. Die höhere Feuchtigkeit könnte die Evolution der Blütenpflanzen unterstützt haben.
Eine ökologische Revolution
Möglicherweise, so Professor Heimhofer, waren die ersten Blütenpflanzen sogar Wasserpflanzen - wie etwa Seerosen. Es könne aber auch sein, dass die blühenden Pflanzen zuerst im Schatten von Wäldern wuchsen.
Die schnelle Entwicklung der Blütenpflanzen war wie eine ökologische Revolution. Mit der wachsenden Vielfalt der Pflanzen entwickelten sich auch die verschiedensten Insekten und andere Tiergruppen. Die Biomasse wuchs, die Böden waren stärker durchwurzelt - und es gab mehr Pflanzenmaterial, das in Brand geraten konnte. Die frühen Blütenpflanzen wirkten, so Heimhofer, wie eine Art Brennstoff in den Wäldern und haben vielleicht sogar dazu geführt, dass andere Pflanzengruppen verdrängt wurden.
Übergang von Nacktsamern zu Blütenpflanzen
Noch immer gibt es bei der Evolution der Blütenpflanzen viele Fragen. Vor allem eine findet auch der Botaniker Joachim Kadereit äußerst spannend: Wie und wann fand der Übergang von Nacktsamern zu Bedecktsamern statt? "Wir müssen hoffen, dass wir irgendwann Fossilien finden, die uns diesen Übergang zwischen den Nacktsamern, also zwischen Nadelbäumen, Ginkgo, Palmfarnen auf der einen Seite, und den Blütenpflanzen auf der anderen Seite, zeigen", erläutert Kadereit. "Aber überzeugende Fossilien, die ausgestorbenen Verbindungsglieder, die Missing Links sozusagen, hat man noch nicht gefunden." Die Suche wird weitergehen.