Temu-Händler im chinesischen Yiwu Globale Drehscheibe für alles, was billig ist
Niedrige Preise sollen westliche Kunden dazu verleiten, mit der Shopping-App Temu direkt in China einzukaufen. Doch woher kommen die Produkte - und wie funktioniert das Geschäft?
Wie in einem Labyrinth reihen sich in den Hallen auf dem größten Großhandelsmarkt der Welt die Läden aneinander - es sind etwa 75.000. Hier gibt es Ohrringe, Armbänder, Hausdeko, Bilderrahmen, Vasen, Elektrokleingeräte, Kinderspielzeug und vieles mehr. An vielen Ecken werden Waren in Plastiktüten gepackt und große Pakete mit Klebeband umwickelt. Etwa 80 Prozent aller Weihnachtsdekoration weltweit kommt von hier.
Dieser Markt in der ostchinesischen Stadt Yiwu ist die internationale Drehscheibe, ein weltweit vernetztes Handelszentrum - auch für Shopping-Apps wie Temu, Shein und TikTok Shop. 62 Prozent der Schmuckhändler, die Shein beliefern, kommen nach Angaben des Unternehmens aus Yiwu. Mit Temu machen nach Schätzungen verschiedener Zwischenhändler vor Ort, die mit der ARD gesprochen haben, bis zu 50 Prozent der Händler in Yiwu Geschäfte.
Temu übernimmt die Logistik
"Yiwu ist wie ein großes Kaufhaus, du findest alle möglichen Waren, und die Preise sind viel günstiger als anderswo. Der Preisvorteil ist für uns das Wichtigste", sagt der 26-Jährige Zwischenhändler Wu, der im August mit Temu-Geschäften angefangen hat. Er liefert der Plattform vor allem Mützen und Schals. Mit Temu, sagt er, verdient er monatlich umgerechnet etwa 2.500 Euro.
Säcke mit Waren stehen vor den Geschäften in einer Straße in Yiwu. Dort befindet sich der größte Markt für Kleinwaren und Gebrauchsgegenstände der Welt.
Sein Tag sieht so aus: Zuerst sucht er sich passende Produkte zusammen, von denen er denkt, dass sie sich auf Temu gut verkaufen lassen. Und zwar entweder auf dem Großmarkt oder auf Online-Seiten, auf denen Fabriken ihre Produkte direkt anbieten. Dann kauft er sie ein, verpackt sie und schickt sie zu Temu. "Früher mussten wir alles selbst machen: Internationale Logistikunternehmen kontaktieren und die Waren selbst direkt ins Ausland verkaufen."
Jetzt sei alles viel leichter, denn Temu mache die ganze Arbeit für ihn: "Wir Händler beliefern Temu mit Waren. Das Unternehmen hat Lager in Guangzhou im Süden Chinas. Wir schicken unsere Waren dorthin, und dann übernimmt Temu alles weitere und sendet sie in verschiedene Länder."
Nächtliches Paketepacken neben dem Vollzeitjob
Auch der 29-jährige Wang Qihang hat Temu für sich als Nebenverdienst entdeckt: Seit Mai habe er damit umgerechnet rund 13.000 Euro verdient - und das neben seinem Vollzeitjob in einem Büro. Dazu verpacke er nach Feierabend meist bis ein Uhr nachts Waren in seiner Wohnung, erzählt er. Und schläft dann mittendrin zwischen den Paketen: "Als ich angefangen habe, habe ich in nur einem kleinen Zimmer gewohnt. Die Waren haben sich in meinem Zimmer gestapelt. Es gab fast kein Durchkommen mehr."
Doch dass sich die Waren irgendwann bis zur Decke stapelten, habe seinem Vermieter gar nicht gefallen: "Mein Vermieter wurde sauer und hat mich rausgeworfen. Jetzt habe ich wieder ein Ein-Zimmer-Apartment gemietet, das ist natürlich wieder voll mit Waren." Es können aber nicht irgendwelche beliebigen Waren sein. Die Qualität müsse stimmen, erzählt Wang Qihang. Wenn Temu mit der Qualität nicht zufrieden sei, würden die Waren an die Händler zurückgeschickt.
Es gebe sogar Strafen, wenn Kunden Mängel beklagen. Ma Chao, der über Temu Weihnachtsdekoration verkauft, sagt: "Wenn es schlecht läuft und der Kunde Qualitätsmängel entdeckt, dann werden wir bestraft. Die Strafe ist fünf Mal höher als der Preis. Wenn also ein Produkt umgerechnet sechs Euro gekostet hat, dann muss ich 30 Euro Strafe zahlen."
Vor allem Schnelligkeit zählt
Die ARD konnte Verträge einsehen, die Händler unterschreiben müssen, wenn sie sich bei Temu registrieren. Demnach behält sich Pinduoduo, der Mutterkonzern von Temu, mit dem der Vertag geschlossen wird, vor, Strafen zu verhängen und die Höhe der Strafen festzulegen, wenn Händler gegen die Vertragsbedingungen verstoßen. Eine daraufhin gestellte Interviewanfrage mit Fragen zur Zusammenarbeit zwischen Temu und den Händlern hat Temu nicht beantwortet.
Frauen an einem Verkaufsstand der "Yiwu International Trade City".
Wer für Temu arbeiten und liefern will, der müsse vor allem schnell sein. Das sagte eine Temu-Mitarbeiterin Anfang Dezember auf einer Messe für Online-Handel in Yiwu vor Publikum. Die Plattform macht Werbung für sich, wie auch die Konkurrenten Shein und der Shop von TikTok. Außerdem seien Fleiß und Innovation gefordert, die Hersteller und Händler müssten eine effiziente Lieferkette haben, erklärte sie. Temu selbst sagt, die günstigen Preise kämen durch den Direktverkauf zustande - es gibt keine weiteren Zwischenhändler und Lagerstätten auf dem Weg der Produkte von China nach Europa.
Doch nicht nur auf dem Weg dorthin, sondern auch in China selbst kann Temu Zwischenhändler einsparen. Denn die Plattform bezieht nicht nur Waren von Zwischenhändlern, sondern aus vielen verschiedenen Fabriken und Herstellern in China. Das ist dann noch günstiger.
Alle Händler sind spezialisiert
Vor dem Messestand von Temu in Yiwu hat sich Qian Longwei angestellt. Er hat eine Fabrik in Yiwu, sie sei 1.800 Quadratmeter groß, 25 Mitarbeiter habe er, erzählt er. Stolz zeigt er ein Video davon auf seinem Handy. Überall stehen Kartons und Verpackungsmaterial und lange Tische, an denen Arbeiter Luftmatratzen und andere aufblasbare Schwimmartikel herstellen. Von seiner Fabrik aus verkauft er diese direkt an Temu, sagt er. Ein Schwimmring kostet umgerechnet einen Euro pro Stück. Für Temu ist das die schnellste Lieferkette. Und der niedrigste Einkaufspreis.
Wang Songwei, ein weiterer Fabrikbesitzer, der auch einen Laden auf dem Großmarkt in Yiwu hat, meint, die Hersteller in der Stadt Yiwu hätten es durch Arbeitsteilung perfektioniert, die günstigsten Waren herzustellen. Jeder konzentriere sich auf eine Sache. Es werde in kleinen Einheiten produziert, dafür sehr flexibel - das sei die Stärke der Stadt.